Bereits bei der analogen Wirtschaft entschied politischer Rückenwind über Gewinner und Verlierer. Den Entwicklungs- und Schwellenländern fehlt er, mit ganz wenigen Ausnahmen. Lediglich eine Handvoll ost- und südostasiatischer Länder wie Südkorea, Singapur und Malaysia, integrierte sich erfolgreich in den Weltmarkt. In all diesen Ländern kombinierte die Regierung stark steuernde und gegen ausländische Anbieter und Produkte gerichtete wirtschaftspolitische Eingriffe in die Handels- und Investitionsentscheidungen von Unternehmen. Auch ein zeitlich begrenzter Zollschutz, der neue Wirtschaftszweige vor billigen Importen bewahrte, gehörte zum wirtschaftspolitischen Instrumentarium.
Vor diesem Hintergrund fordern entwicklungspolitische Organisationen wie Brot für die Welt seit langem eine Reform des Welthandelssystems. Ländern des globalen Südens sollte es zukünftig erlaubt sein, Schutzmaßnahmen nicht nur in wirtschaftlichen Notlagen ergreifen zu dürfen. Die Regeln der Welthandelsordnung sollten vielmehr dahingehend erweitert werden, dass Regierungen u. a. auch Maßnahmen zur Bewahrung ihrer Sozialsysteme ergreifen dürfen sowie eine auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnittene Wachstumspolitik zu betreiben. Forderungen, die von den Industrienationen bislang mit Verweis auf die Welthandelsorganisation WTO und dem liberalen Credo, wonach Freihandel letztendlich dem Wohlstand aller Menschen und Nationen dient, rundweg abgelehnt wurden.
Deutschland entdeckt die Industriepolitik, für sich
In seinem Diskussionspapier „Nationale Industriestrategie 2030“ stellt Bundeswirtschaftsminister Altmaier nunmehr fest, dass in unserer freien Marktwirtschaft Unternehmen in erster Linie an ihrem eigenen Fortkommen interessiert seien, nicht hingegen an der Weiterentwicklung der gesamten Volkswirtschaft. Altmaier plädiert deswegen für einen neuen Ansatz in der Industriepolitik unseres Landes. Demnach solle die Politik Schlüsseltechnologien identifizieren, die nach Ansicht der Bundesregierung die Grundlage für langfristigen Wohlstand in unserem Land bilden, - um diese dann aktiv zu fördern und vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Ordo Liberalen, wie Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut, gehen solche staatliche Vorgaben zwar zu weit, aber auch er plädiert für eine stärkere staatliche Förderung von Zukunftstechnologien, wie künstlicher Intelligenz und 3-D-Druckern.
Grund für diesen Sinneswandel ist die Sorge, Deutschland könne langfristig nicht mit den digitalen ‚Supermächten‘ China und USA mithalten, da in beiden Nationen die Wirtschaft auf direkte bzw. indirekte Unterstützung durch den Staat zählen könne. Diese neuen Töne aus der Wirtschaft fallen auch andernorts auf fruchtbaren Boden, wie kürzlich das Fachgespräch von Bündnis90/Die Grünen ‚Industriepolitik: Innovation statt Größe‘ verdeutlichte.
Der Markt soll es richten, zumindest im Süden
Während sich im globalen Norden peu á peu die Meinung durchsetzt, der digitale Wandel müsse von Gesellschaft und Politik proaktiv gestaltet werden, suchen die Entwicklungsländer nach wie vor vergeblich nach Fürsprechern, für eine eigene nationale oder regionale wirtschaftslenkende Politik. Im Gegenteil. Was schon für den analogen Handel galt, soll nun auch für den digitalen Handel gelten. Die EU und andere sog. Freunde des E-Commerce setzen sich mit Nachdruck im Rahmen von bilateralen Abkommen sowie der WTO für eine Liberalisierung des Handels mit digitalen Waren und Dienstleistungen ein.
Die UNCTAD warnt demgegenüber in ihrem Bericht ‚Trade and Development Report‘, vom Oktober 2018, ausdrücklich davor, in bi- und multilateralen Handelsabkommen übereilt Regeln zu treffen, die eine weitere Liberalisierung des digitalen Handels vorantreiben. Die Erfahrungen lehre, so die UNCTAD, das eine Liberalisierung von Handelsbeziehungen stets zu Lasten der Länder gehe, die sich auf einem niedrigeren Entwicklungsniveau befinden.
Gerechte Digitalisierung in Nord und Süd
Was Industrienationen wie Deutschland gewährt wird, darf den Ländern des Südens nicht verwehrt werden. Lasst uns gemeinsam für eine faire Digitalisierung in Nord und Süd eintreten. Der Weg dorthin ist lang, Brot für die Welt hat erste Ansatzpunkte formuliert.