„Sie könnten schließlich die Moral der anderen Schülerinnen durch ihr schlechtes Beispiel negativ beeinflussen.“
Deshalb werden Mädchen und junge Frauen, sobald sie schwanger sind, der Schule verwiesen. Auch nach der Geburt dürfen sie nicht zurückkommen, um weiter zu lernen. Dass die frühe Schwangerschaft in den wenigsten Fällen eine freie und bewusste Entscheidung ist, spielt dabei anscheinend keine Rolle. Für die Betroffenen kommt es noch schlimmer. Ohne einen guten Abschluss einer weiterführenden Schule sinken die eh schon geringen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben für Frauen im Südsudan noch mehr. Während immerhin ein Drittel der Jungen einen Sekundarschulabschluss erreicht, sind es bei den Mädchen nur halb so viele. Verschenktes Potential, dass sich eine Gesellschaft in der nur etwas mehr als ein Drittel der Bevölkerung überhaupt des Lesens und Schreibens mächtig ist, eigentlich nicht leisten kann.
Vielleicht war das der Beweggrund, warum sich die Entscheidungsträger aus Kedi´ba, einer dörflichen Region 180 km nordwestlich von der Hauptstadt Juba, an die lokale Organisation EPF (Education and Peace Foundation) mit der Bitte um Unterstützung für einen Schulbau wandte. In Zukunft sollen 200 junge Mütter und Schwangere in der neuen Schule in inspirierender und freundlicher Lernumgebung mit großzügigen Außengelände lernen. Sogar an einen Basketballplatz wurde gedacht, schließlich der Nationalsport des Landes. Das Grundstück stiftete die Bezirksregierung, ein Zeichen der Aufbruchsstimmung nach der Unabhängigkeit vom Sudan 2011. Verantwortliche von EPF wiederum setzten sich mit ihren Partnern in der Kirchengemeinde Norderney in Verbindung, ob diese das Projekt finanziell unterstützen würden. Da die finanziellen Ressourcen beider Partner nicht ausreichten, um das ambitionierte Vorhaben auf einmal umzusetzen, sollten zunächst vier Klassenräume errichtet werden. Auch dank eines Projektzuschusses des Partnerschaftsprojektefonds (PPF) von Brot für die Welt in Höhe von 10.500€ sowie dem hohen Engagement der lokalen Bevölkerung konnte zeitnah mit dem Bau begonnen werden. Das Fundament war schnell gelegt aber von einem Tag auf den anderen sah die Welt im Südsudan ganz anders aus.
Der Krieg kehrte zurück nach Kedi´ba. Schon seit 2013 hielten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Truppen des Präsidenten Salva Kirr und denen seines ehemaligen Vizepräsidenten Riek Machar große Teile des jungen Staates in Atem. In Kedi´ba und Umgebung war es lange ruhig und weitestgehend friedlich geblieben. Doch dann ab Herbst 2015 plünderten die Einheiten der regulären Armee und Rebellenverbände auch hier Ernteerträge, zündeten Häuser an, ermordeten vermeintliche Unterstützer*innen des jeweils anderen Lagers und missbrauchten die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde. Wer konnte floh in den Busch oder verließ die Gegend. Andere schlossen sich den verschiedenen bewaffneten Gruppen an. An einen Weiterbau der Schule war nicht mal ansatzweise zu denken, wer die Region betrat galt als lebensmüde. Auch als das im August 2018 geschlossene Friedensabkommen die Region beruhigte, konnte der Bau nicht vollendet werden. Drei Jahre erneuter Bürgerkrieg haben furchtbare körperliche und unfassbare seelische Spuren bei den Menschen hinterlassen. Im Vordergrund standen die grundlegenden Bedürfnisse nach Befriedung, Sicherheit und Wiederaufbau der Gesellschaft. Der Vorsitzende des Partnerschaftsausschusses in Norderney beschreibt die Situation: „Unser Freund und Partner Canon Sylvester Thomas fragte, ob das Geld für den Schulbau nicht genutzt werden könne, um Kurse zur Trauma Bewältigung in mehreren Dörfern durchzuführen, mit dem Ziel, dass die Bevölkerung gemeinsam die Schrecken und Brutalitäten des Krieges verarbeiten kann, um Versöhnung gedeihen zu lassen. Wir waren sehr froh, dass Brot für die Welt der Umwidmung zugestimmt hat.“
Die Fotos, die während der Traumaworkshops entstanden sind, sprechen für sich. Menschen werden von ihrem Hass befreit und lernen vergeben. Als Christinnen und Christen begraben sie buchstäblich ihre Sünden vor dem Kreuz. Auch Militärs von der Regierung und der Opposition wagen einen gemeinsamen Neuanfang, der durch das Pflanzen eines Bäumchens sichtbar gemacht werden soll.
Die Hoffnung, dass eines Tages tatsächlich Mädchen und junge Frauen in der Sekundarschule lernen, haben die Beteiligten noch nicht begraben, aber sie ist in weite Ferne gerückt in einem Land, in dem derzeit nur ein Viertel der Mädchen regelmäßig eine Schule besucht.