Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht und dieses Datum wird nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen Ländern Europas als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert. Den diesjährigen 75. Jahrestag wollte man in der Hauptstadt mit zahlreichen Gedenkfeiern und Veranstaltungen begehen. Diese können nun aufgrund der Pandemie großenteils nicht im öffentlichen Raum, sondern nur virtuell stattfinden. Die Landesgesellschaft „Kulturprojekte Berlin“ lädt mit dem Projekt „75 Jahre Kriegsende“ zu einer digitalen Zeitreise in den Frühling 1945 ein, einer Reise, die „an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und deren Folgen ebenso erinnert wie an die Verdienste der Alliierten, die dem NS-Terror ein Ende setzten.“
Kulturprojekte Berlin: Digitale Zeitreise zum Mai 1945
Die digitale Themenwoche wurde gemeinsam mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst entwickelt, und sie wird von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa unterstützt. Weitere Kooperationspartner sind die Stiftung Topographie des Terrors, das Alliierten-Museum und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Die Themenwoche widmet sich den Ereignissen in der ersten Mai-Woche 1945. Diese werden mit einer virtuellen Ausstellung, einer Podcastreihe und einer „Augmented-Reality-App“ ausgehend von symbolischen Orten in Berlin beleuchtet. Die Angebote werden bis zum 2. September, dem internationalen Tag des Kriegsendes, online zu sehen sein.
Kampagne gegen sexualisierte Kriegsgewalt
Die feministische Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale nimmt den Jahrestag des Kriegsendes ebenfalls zum Anlass für Erinnerung: sie möchte mit einer Kampagne gegen sexualisierte Kriegsgewalt auf die unzähligen Vergewaltigungen aufmerksam machen, die vor allem Frauen und Mädchen „während und am Ende des Krieges durch alle beteiligten Armeen erleiden mussten“. Millionen Frauen und Mädchen seien im Zweiten Weltkrieg sexualisierter Gewalt ausgesetzt gewesen, so medica mondiale. Viele starben an den Folgen von Vergewaltigungen oder wurden anschließend getötet, andere töteten sich selbst. Zu den Tätern gehörten SA- und SS-Männer, Wehrmachts-Soldaten und Polizisten sowie ihre Kollaborateure in den besetzten Ländern. In Konzentrationslagern und besetzten Gebieten - zum Beispiel in der Sowjetunion, Polen, Frankreich und den Niederlanden – wurden Frauen durch deutsche Soldaten vergewaltigt, zwangsprostituiert und Opfer vielfältiger sexualisierter Übergriffe. Auch die japanische Armee verschleppte und versklavte Frauen zum Beispiel aus Korea (damals Kolonie) und aus besetzten Ländern wie China, Taiwan oder den Philippinen.
Auch in der Nachkriegszeit setzte sich die Gewalt fort. Es sind zahlreiche Übergriffe durch sowjetische, US-amerikanische, französische und britische Soldaten dokumentiert. Nicht nur in Europa sondern auch in Asien wurden Frauen im Kontext von Flucht, Vertreibung und Besatzung von alliierten Soldaten vergewaltigt. Ihr Leid sei in den Nachkriegsgesellschaften meist ignoriert und verdrängt worden – auch in Deutschland - so beklagt medica mondiale. Die meisten hatten kaum Möglichkeiten, über das Erlebte zu sprechen und blieben ohne psychosoziale Unterstützung. Da sie ihre Erlebnisse nicht verarbeiten konnten wurden sie lebenslang davon beeinträchtigt. Traumata würden oft an die folgenden Generationen weitergegeben und prägten die Gesellschaft bis in die Gegenwart. Die Kampagne „Niemals nur Geschichte. Gemeinsam gegen sexualisierte Kriegsgewalt“ soll an das erlittene Unrecht und die Schicksale von Frauen erinnern und ein Forum bieten „für ihre Geschichten und die ihrer Angehörigen, bis hin zu Kindern und Enkel*innen.“ So soll ein öffentlicher Erinnerungsort entstehen für Frauen und Mädchen, „die damals und seitdem weltweit sexualisierte Gewalt erleiden mussten.“
Verbrechen ahnden, Frauen stärken, Kriegen vorbeugen und Frieden fördern
Die Aktualität und Brisanz der Folgen „sexualisierter Kriegsgewalt“ haben auch Partner von Brot für die Welt in den vergangenen Jahren immer wieder nachdrücklich verdeutlicht. Darauf hat unter anderem der kongolesische Gynäkologe und Friedensnobelpreisträger Dr. Denís Mukwege aufmerksam gemacht, indem er den Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 zu einer Resolution ermutigte, die zur Überwindung der Gewalt im Kongo und zur konsequenten Strafverfolgung aufrief (Brot für die Welt hat diese Initiative unterstützt). Bereits vor 20 Jahren haben die Vereinten Nationen mit der Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheitfestgestellt, dass sexualisierte Kriegsgewalt als Verbrechen zu ahnden ist (Art. 11) und dazu aufgefordert, die Betroffenen zu unterstützen. Außerdem ruft die Resolution dazu auf, die Rolle von Frauen in der Aufarbeitung von Gewalt und in Friedensprozessen weltweit zu stärken.
Auch die deutsche Bundesregierung hat sich zur Umsetzung von "1325" verpflichtet. Sie möchte in diesem Jahr ihren Umsetzungsbericht zum 2. Nationalen Aktionsplan zu „Frauen, Frieden, Sicherheit“ fertigstellen und in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Akteuren den 3. Aktionsplan entwickeln. Seit Herbst 2019 führt sie dafür Konsultationen mit NGOs in Deutschland und in fragilen Staaten, Konflikt- und Nachkriegsregionen durch. Das ist ein zusätzlicher Anlass, konkrete Schritte für eine genderbasierte Friedenspolitik einzufordern und aufzuzeigen – in Deutschland, Europa und global. Um die Resolution 1325 weiter zu entwickeln und zur Umsetzung zu bringen, wird jedoch nicht nur über Strafverfolgung, die Durchsetzung von Rechten und Entschädigungen für Betroffene oder die politische Beteiligung von Frauen beim Aufbau von Nachkriegsordnungen zu reden sein; man sollte auch eine Auseinandersetzung mit militarisierter Männlichkeit und gender-Konstruktionen auf die Agenda setzen, um Gewaltkonflikten effektiver vorzubeugen, so wird von manchen mit Recht gefordert.