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Ausbeutung Made in Europe

Eine aktuelle Studie, die Brot für die Welt gemeinsam mit der Kampagne für Saubere Kleidung herausgebracht hat, zeigt wie Näherinnen für deutsche Modemarken in Osteuropa ausgebeutet werden. Viele von ihnen sehen sich durch die Corona-Krise akut in ihrer Existenz bedroht.

Von Maren Leifker am
Näherinnen in einer osteuropäischen Textilfabrik

Näherinnen in einer osteuropäischen Textilfabrik

Mit einem "Made in Europe"-Schild am Kleidungsstück verbinden viele Menschen Qualität und bessere Produktionsbedingungen. Hochpreisige deutsche Modemarken lassen daher gerne in Osteuropa produzieren, um mit diesem Etikett zu werben. In der aktuellen Studie "Ausbeutung Made in Europe" zeigen Brot für die Welt und die Kampagne für Saubere Kleidung, dass von besseren Bedingungen in der osteuropäischen Textilproduktion keine Rede sein kann. Für die Studie wurden Zulieferer der deutschen Modemarken Hugo Boss, Gerry Weber und Esprit in Bulgarien, Kroatien, Serbien und der Ukraine untersucht. In den vier Ländern nähen insgesamt 120.000 Beschäftigte allein für den deutschen Modemarkt.

Extrem arm, chronisch erschöpft und eingeschüchtert

Die befragten Beschäftigten erhalten durchweg Löhne, die nicht zum Überleben reichen. Von ihren Netto-Gehältern zwischen 181 € (Ukraine) und 450 € (Kroatien) können viele gerade einmal die Haushaltsausgaben für Wasser, Strom, Heizung und Müllabfuhr bezahlen. Sie müssen also zwangsläufig einem Zweit- oder Drittjob nachgehen. Erschwerend kommt hinzu, dass in Akkordzeiten Jahresurlaub gestrichen wird oder die Beschäftigten gezwungen werden, im Urlaub unentgeltlich zu arbeiten. Krankmeldungen werden teilweise mit Lohnabzügen sanktioniert. Die Befragten sprachen daher einhellig von chronischer Erschöpfung und Müdigkeit. Wer sich gegen die Bedingungen wehrt, wird bedroht und eingeschüchtert. Eine Arbeiterin aus Kroatien berichtete, dass alle Beschwerden mit demselben Satz beantwortet werden: „Die Tür ist dort drüben“

Die untersuchten Zulieferer von Hugo Boss, Esprit und Gerry Weber verletzen also systematisch das Recht ihrer Beschäftigten auf einen existenzsichernden Lohn sowie gesunde und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Obwohl die Unternehmen an freiwilligen Initiativen wie dem Textilbündnis der Bundesregierung beteiligt sind und sich zur Achtung von Menschenrechten wie existenzsichernden Löhnen bekennen, haben sich diese Bekenntnisse bislang nicht in einer Änderung der Preispolitik niedergeschlagen. Die Textilfabrikanten in der Region berichten, dass die Abnahmepreise ihnen keine höheren Gehälter ermöglichen und dass die Preise trotz erhöhter Anforderungen der Marken an Arbeits- und Umweltschutz sogar noch weiter gedrückt werden.

Frauen überproportional betroffen

Frauen sind von diesen Bedingungen besonders betroffen. Weltweit sind Frauen überrepräsentiert in den am schlechtesten bezahlten Berufen, tragen die Hauptlast unbezahlter Sorgearbeit und haben unter anderem deshalb weitaus schlechtere Aufstiegschancen als Männer. Dieses Bild trifft auch auf die Textilproduktion in Bulgarien, Kroatien, Serbien und der Ukraine zu. Die Textilbranche ist in allen vier Ländern das am schlechtesten bezahlte Gewerbe. Innerhalb dieses Gewerbes ist Nähen die am geringsten entlohnte Tätigkeit. Während diese Akkord-Arbeit zu fast 100 Prozent von Frauen ausgeübt wird, finden sich in Managementpositionen kaum Frauen, was Gender-Diskriminierung nahe legt.

Verschärfung von Ungerechtigkeiten in der Corona-Krise

Die Notlage der Näherinnen und die Ungerechtigkeiten des Lieferketten-Systems verschärfen sich in der aktuellen durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Krise. Die Umsatzeinbußen durch die weltweiten Geschäftsschließungen stellen Modemarken vor gewaltige Herausforderungen. Das System der textilen Lieferketten ermöglicht den Unternehmen, ihre Risiken auszulagern. Textilfabriken gehen zur Produktion der bestellten Waren in Vorleistung, weil sie dafür Rohmaterialien wie Baumwolle und Stoffe einkaufen müssen. Die fertig gestellte Ware wird von den Auftraggebern aber erst 60-90 Tage nach Lieferung bezahlt. Modemarken wie Primark und C&A nutzen das, um Aufträge in Milliardenhöhe zu stornieren und die Zahlung zu verweigern. Die Kosten dieser Verantwortungslosigkeit tragen die Fabriken in Asien und Osteuropa und ihre Beschäftigten. Das perfide daran ist, dass sich der wirtschaftliche Erfolg der Modemarken aus der Arbeit speist, die dort geleistet wurde. In Serbien erhielten Modefirmen sogar Zuschüsse in zweistelliger Millionenhöhe für die Eröffnung von Produktionsstätten. Trotzdem sind sie Berichten von lokalen Vertreter*innen der Kampagne für Saubere Kleidung zu Folge nicht bereit, aktuell etwas zur Unterstützung der Beschäftigten zu tun, sondern verlangen finanzielle Hilfen für die Aufrechterhaltung ihrer Standorte. Die Leidtragenden davon sind die Näherinnen, die aufgrund ihrer geringen Gehälter nie in der Lage waren, Rücklagen für schlechte Zeiten zu bilden. Schlimmer noch: viele von ihnen sind tief verschuldet. So berichteten Näherinnen, dass selbst für die Anschaffung von Küchengeräten oder einem Kleid Kredite aufgenommen werden. Wenn nun Gehaltszahlungen ausbleiben, können sie ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen. In Serbien sind deshalb viele Näherinnen akut von Obdachlosigkeit bedroht.

In den Fabriken, in denen die Arbeit weiter läuft, sind die Beschäftigten erheblichen Gesundheitsrisiken durch das Corona-Virus ausgesetzt. Physische Distanzierung ist in engen Werkbänken kaum möglich und viele Näherinnen sind aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands und ihrer Armut besonders gefährdet. Zudem sind die hygienischen Bedingungen schlecht. Arbeiterinnen des kroatischen Hugo Boss-Zulieferers berichteten, dass es in der Fabrik nur morgens Toilettenpapier gibt und Seife gar nicht.

Was jetzt passieren muss

Von Unternehmensseite: Unternehmen müssen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verantwortungsvoll handeln. Dazu gehört, dass Modeunternehmen fertiggestellte oder in der Herstellung befindliche Ware, für die bereits Materialkosten entstanden sind, bezahlen. Zudem sollten bei notwendigen Stornierungen Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung der Beschäftigten ergriffen werden. Längerfristig müssen Unternehmen dringend ihre Preispolitik ändern und ihren Zulieferern Preise zahlen, die faire Gehälter und menschenwürdige Arbeitsbedingungen möglich machen.

Von Seite der Bundesregierung: Aktuell zeigt sich, dass es gesetzliche Vorgaben braucht, um Unternehmen auch in Krisenzeiten zu fairem und verantwortungsvollen Handeln anzuhalten. Die Bundesregierung sollte daher an ihrer Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag festhalten und noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen – unterschreiben Sie hier die Petition für ein Lieferkettengesetz, um die Bundeskanzlerin dazu aufzufordern.

Zudem sollten die aktuellen Milliardenhilfen nicht bedingungslos an Unternehmen vergeben werden. Dänemark hat vorgemacht, dass diese an sinnvolle Kriterien geknüpft werden können. Dort sind Unternehmen von den Hilfen ausgeschlossen, die Dividenden ausschütten oder ihren Sitz in Steueroasen haben. Durch solche Steuertricks gehen Ländern Milliarden verloren, die sie für soziale Sicherungssysteme und Unterstützung von Arbeiter*innen einsetzen könnten.

 

 

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