Gibt es einen Zuwachs an fremdenfeindlicher Gewalt in der Corona-Pandemie?
Tshikaya: Es gibt noch keine genauen Daten dazu, aber aus Berichten lässt sich ableiten, dass mehrere fremdenfeindliche Angriffe während des Lockdowns stattfanden.
Was ist die Haltung der Regierung dazu?
Robyn: Die Regierung sendet widersprüchliche Signale, die die Gesellschaft spalten. Offiziell verurteilt sie natürlich die Fremdenfeindlichkeit im Land, aber dann gibt es populistische Aussagen von Regierungsmitgliedern wie „South Africans first“. Sie bezeichnen Migrantinnen und Migranten als Kriminelle, schließen vorübergehend ihre Läden, verweigern ihnen wichtige Dokumente.
Tshikaya: Das Handeln der Regierung ist offensichtlich fremdenfeindlich. Mitten in der Corona-Krise hat sie für mehr als zwei Millionen Euro einen Zaun an der Grenze zu Simbabwe errichten lassen und die Einwanderungsämter geschlossen, so dass die Menschen weder Asylgesuche einreichen noch ihre bestehenden Papiere erneuern konnten. Ohne aktuelle Papiere können sie aber nicht zum Arzt oder zur Schule gehen und bekommen auch keine lebenswichtigen Medikamente mehr.
Das klingt fast systematisch. Was steckt dahinter?
Robyn: Das Ausmaß der Fremdenfeindlichkeit steht in direktem Zusammenhang mit der Unfähigkeit der südafrikanischen Regierung, effektiv gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Korruption vorzugehen. Deshalb wird befürchtet, dass die Regierung sich weiter fremdenfeindlich äußert, um damit bei den nächsten Wahlen Stimmen zu gewinnen. Fremdenfeindlichkeit ist in Südafrika kein neues Phänomen.
Wie hängt es mit der Geschichte des Landes zusammen?
Robyn: Südafrikas Geschichte ist durch Kolonisation und Apartheid geprägt und damit sehr gewalttätig, was unsere Gesellschaft leider bis heute in allen Bereichen beeinflusst. Ein Beispiel dafür sind die Gewaltausbrüche gegen Migrantinnen und Migranten, aber es trifft auch andere Gruppen, etwa Frauen und Kinder.
Tshikaya: Die fremdenfeindliche Ausgrenzung richtet sich gegen schwarze afrikanische Migranten der Arbeiterklasse. Insofern ist es eine Fortführung der Apartheid-Logik und damit eher eine „Afrikanerfeindlichkeit“ oder Afrophobie, die stark verknüpft ist mit der Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Daher ist ein Anstieg der Arbeitslosigkeit wie jetzt durch die Corona-Pandemie gefährlich. Wir hatten zu Jahresbeginn eine offizielle Arbeitslosenquote von etwa 30 Prozent, Stand Oktober liegt die Quote wegen Corona bei 42 Prozent.
Was hat sich in den vergangenen Jahren geändert?
Tshikaya: 2005 waren 2,8 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung Migrantinnen und Migranten, 2020 sind es 7,2 Prozent. In diesen 15 Jahren hat sich auch die Zahl fremdenfeindlicher Vorfälle erhöht. 2008 war das schlimmste Jahr, es kam zu landesweiten Ausschreitungen mit 62 Toten und hunderten Verletzten. Seitdem gab es weitere große gewalttätige Ausschreitungen 2013, 2015, 2016 und 2019.
Wie unterstützen LCOF und TCOE die Betroffenen?
Robyn: Die Migrantinnen und Migranten sind in den meisten Fällen arbeitslos und haben keine Papiere, in vielen Fällen sind es alleinerziehende Mütter. Wir unterstützen sie dabei ihre Rechte wahrzunehmen und ermöglichen ihnen eine Berufsausbildung, um wirtschaftlich unabhängig zu sein. In der Corona-Krise haben wir in unseren Nähkursen auch Masken hergestellt und verteilt. Außerdem bieten wir Sprachkurse an und helfen bei der Integration. Manchen geben wir Arbeit direkt bei der LCOF, soweit möglich.
Tshikaya: Wir arbeiten mit Migrantinnen und Migranten in ländlichen Gebieten und auf Farmen, wo sie oft massiv ausgebeutet werden. Wir unterstützen sie zum Beispiel mit Rechtsberatung und Lobbyarbeit, so dass sie ihre Rechte kennen, eine Unterkunft haben und zu fairen Bedingungen arbeiten können. Wir haben in der Corona-Krise auch Nahrungsmittel- und Hygiene-Pakete verteilt. Die Zivilgesellschaft erfüllt gerade die Aufgaben des Staats. Human Rights Watch appelliert seit Mai an die südafrikanische Regierung, Migrantinnen und Migranten zu unterstützen, um eine humanitäre Katastrophe im Land zu vermeiden.