Als sich im Februar 2020 die Nachricht über die erste auf dem afrikanischen Kontinent positiv auf SARS-CoV-2 getestete Person verbreitete, waren die Befürchtungen groß, dass die Gesundheitssysteme der Länder einer explosionsartigen Verbreitung der Pandemie nicht Stand halten können. Doch glücklicherweise verläuft die Pandemie in den meisten der 54 Staaten eher milde - für den Moment. Ende Juli wurde die bisher größte Zahl an Neuinfektionen der WHO gemeldet, seitdem sind die Zahlen der täglichen Neuinfektionen in Afrika für den Moment rückläufig. Auf dem gesamten Kontinent wurden bisher über 1,9 Millionen Menschen positiv auf das Virus getestet. Der größte Teil befindet sich mit mehr als 742.000 Erkrankten in Südafrika, gefolgt von Äthiopien und Nigeria. Mindestens 45.000 Erkrankte sind nachweislich an den Folgen von Covid-19 in Afrika gestorben. Bereits im März, nach dem Auftreten der ersten Fälle, reagierten viele afrikanische Regierungen prompt mit Grenzschließungen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Ausgangssperren, Schließung von Märkten und Bildungseinrichtungen und weiteren Maßnahmen der Kontaktbeschränkung.
Unsere afrikanischen Partnerorganisationen wurden zuerst überwältigt von den Auswirkungen der Corona-Welle: Programmaktivitäten mussten durch die inländischen Reise- und Kontaktbeschränkungen zeitweise ausgesetzt werden, einige Partner erkrankten selbst an Covid-19. Leider haben wir dadurch auch Kollegen verloren. Soweit es ging, arbeiteten die Mitarbeiter*innen von zu Hause. Doch in vielen Fällen machte eine schlechte Internetverbindung oder fehlender Strom die Arbeit so gut wie unmöglich. Doch schon nach kurzer Zeit haben sich unsere Partner von den anfänglichen Schocks erholt und waren wieder „an Bord“. Täglich erhielten wir Anfragen für Programmittelumwidmungen oder zusätzliche Mittel, um die Ausbreitung der Pandemie in ihrer Projektregion zu verhindern.
Brot für die Welt reagierte sofort:
- mit 16 zusätzlichen „Corona-Projekten“ mit einem Bewilligungsvolumen von etwa 8 Millionen Euro, davon 1 Million Euro Spendenmittel: Training von Gesundheitspersonal zum Thema Corona und Präventionsmaßnahmen, Aufklärungsmaßnahmen und Medienkampagnen für die Bevölkerung, Ausstattung von Krankenhäusern und Gesundheitsstationen mit Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln, Thermometern, Sauerstoffkonzentratoren, Ausstattung von besonders benachteiligten Menschen mit Hygiene-Kits und Lebensmittelpaketen, Umrüstung von Gebäuden in Quarantänezentren; durch diese Projekte konnten wir mehr als 3,4 Millionen Menschen erreichen!
- In allen 32 Ländern, in denen Brot für die Welt in Sub-Sahara tätig ist, haben Partner Programmmittel in mindestens 130 laufenden Projekten für Aufklärungsmaßnahmen, Anschaffung und Verteilung von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln sowie für die Verteilung von Lebensmitteln genutzt.
Die gemäßigten Verläufe in den meisten Ländern Afrikas, die wahrscheinlich auch dank dieser frühen Maßnahmen ermöglicht wurden, stehen jedoch im Gegensatz zu den teilweise dramatischen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Bevölkerung – vor allem auf die Armen und Marginalisierten. Über die indirekten Folgen und Schäden der Pandemie werden zurzeit unzählige Daten erhoben und ausgewertet. Ein genaues Bild entsteht erst langsam, doch Tendenzen sind bereits erkennbar. Wie bereits von vielen Seiten berichtet wird, ist die Corona-Krise ein Verstärker der multidimensionalen Krisen in vielen Ländern der Erde. Sie spült die täglichen Herausforderungen und Überlebens-kämpfe der Mehrheit der Weltbevölkerung an die Oberfläche und schließlich in die öffentliche Wahrnehmung. Die teils drastischen Maßnahmen der Regierungen zur Eindämmung der Pandemie führen weltweit zu einer massiv steigenden Zahlen von Menschen, die in Armut leben und Hunger leiden, Frauen und Kindern, die Gewalt ausgesetzt sind und nicht zuletzt Staaten, die in Überschuldung zu versinken drohen. Die positiven Wachstumstrends für die Länder südlich der Sahara, die noch im letzten Jahr prognostiziert wurden, wurden nun von der UNO und Weltbank revidiert. Letztere spricht von der ersten Rezession seit 25 Jahren in der Region. Und die ILO (Internationale Arbeitsorganisation) geht davon aus, dass Millionen Arbeitsplätze in Afrika verloren gehen. Doch nur die wenigsten der Betroffenen werden in einem sozialen Sicherungsnetz aufgefangen. Die Mehrheit der Bevölkerung Afrikas arbeitet nämlich nicht im sicheren Angestelltenverhältnis.
Einkommensverluste und Existenzängste
Etwa bis zu drei Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sub-Sahara-Afrika verdienen ihren Lebensunterhalt durch informelle Arbeit, also durch die Herstellung und den Verkauf von Waren auf lokalen Märkten bzw. am Straßenrand sowie durch das Anbieten von einfachen Dienstleistungen. Die Menschen, die im informellen Sektor ihr tägliches Einkommen verdienen, haben nahezu überall schwere Einkommensverluste erlitten. Lockdowns, die mit der Schließung von Märkten einhergingen sowie Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen, die zum Beispiel auch den kommer-ziellen Personentransport einschränkten, von dem Millionen von Menschen in vielen Ländern Afrikas beispielsweise als Motorradfahrer abhängig sind, führten zu enormen Einkommensverlusten und Existenzängsten. Für die städtischen Räume wird ein starker Anstieg der Menschen, die in Armut leben, prognostiziert.
Ländliche Gebiete buchstäblich abgeschnitten
Noch lebt aber die Mehrheit der Afrikanerinnen und Afrikaner in ländlichen Räumen. Wie ist die Situation für die Menschen, die auf dem Land leben? Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben auch hier viele Gesichter. In den ländlichen Gebieten lebt der Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Die lokalen Bewegungseinschränkungen führten dazu, dass produzierte Lebensmittel nicht mehr auf Märkten verkauft werden konnten. Einkommensverluste für die Bäuerinnen und Bauern waren die Folge. Auch die Händlerinnen und Händler aus den Städten hatten keine Möglichkeit mehr, auf den ländlichen Märkten ihre Produkte zu kaufen, was zu einer Verknappung und schließlich Verteuerung dieser Lebensmittel in den Städten führte. Durch geschlossene Grenzen entstand außerdem ein stark eingeschränktes Angebot an Düngemitteln und Saatgut, das hauptsächlich importiert wird. Die importorientierten Ökonomien sowie die damit verbundene Abhängigkeit von Weltmarktschwankungen wie der aktuellen und gerade im Hinblick auf Nahrungsmittel, sind ohnehin ein Fallstrick für viele afrikanische Länder. Laut der UN-Organisation UNCTAD werden 70 Millionen Menschen in Sub-Sahara-Afrika ihre tägliche Ernährung aufgrund der „Corona-Krise“ nicht mehr sichern können.
Monatelang geschlossene Schulen und Universitäten
Fast flächendeckend waren Schulen und weitere Bildungseinrichtungen teilweise über sechs bis sieben Monate in den meisten afrikanischen Staaten geschlossen. Der Unterrichtsstoff konnte nur in wenigen Ausnahmen, vor allem bei den Kindern und Jugendlichen, die über digitale Endgeräte verfügen, nachgeholt werden. Zwar wurden Unterrichtseinheiten auch über Radios kommuniziert, jedoch verfügt nur die Minderheit der Haushalte über entsprechende Geräte (Sehen Sie hier, wie unser Partner SIGA in Sierra Leone diesen Umstand verbessert hat.). Gerade jetzt müssen wieder viele Kinder fehlendes Einkommen oder durch die Reisebeschränkungen fehlende Hilfskräfte auf den Feldern ausgleichen. Viele Partner berichten, dass vor allem Mädchen und junge Frauen von den Einschränkungen betroffen sind. Nicht wenige landen in der Prostitution oder sind von Menschenhandel betroffen. Teenager-Schwangerschaften und Kinderehen haben laut Berichten aus ostafrikanischen Medien zugenommen. Unsere Partnerorganisationen fürchten und bestätigen bereits, dass die Zahl der Kinder, die in die Klassenräume zurückkommen, geringer sein wird, da sie weiterhin als Arbeitskraft in der Familie dienen müssen.
Es reihen sich noch unzählige weitere Beispiele hier ein, wie sich die weltweite Krise auf die Länder Afrikas auswirkt: Die Vernachlässigung der Behandlung anderer Krankheiten, sinkende Rücküberweisungen von Verwandten aus anderen Ländern, die selbst ihre Jobs durch die Corona-Krise verloren haben, der Anstieg geschlechtsspezifischer Gewalt und vieles mehr. Und eines steht fest: Es handelt sich um eine Verschärfung bestehender Probleme und Herausforderungen. Die Krise stellt diese ins Licht, lässt sie sichtbarer werde und es sind diese Herausforderungen, denen sich Brot für die Welt mit seinen Partnerorganisationen tagtäglich stellt. Wir begleiten allein in Afrika über 600 Projekte in 32 afrikanischen Ländern südlich der Sahara, um die Ursachen dieser Ungerechtigkeiten, der Armut und des Leids zu mindern.