Sie war die beste Schülerin ihrer Klasse. Doch geholfen hat ihr das damals nicht. Erst musste Glendelyn Occeña dem Vater nur ab und an helfen. Dann wurden es zwei oder drei Tage pro Woche, an denen sie Reis pflanzen und bei der Ernte des Zuckerrohrs mitmachen sollte – die Familie mit ihren sieben Kindern lebte nur von den Erträgen eines kleinen Feldes. Am Ende wurde das Geld so knapp, dass ihre Eltern den Transport zur Highschool nicht mehr zahlen konnten und das Mädchen im Alter von 14 Jahren nach Hause holten. Fortan schuftete sie jeden Tag, mal auf Zuckerrohrplantagen, mal als Haushaltshilfe. „Ich habe die anderen Kinder beneidet“, erinnert sich Glendelyn Occeña, „weil sie zur Schule gehen konnten.“
Heute hat Glendelyn Occeña wieder Unterricht. Doch jetzt, zehn Jahre später, ist sie eine dynamische Dozentin, die zwölf junge Leute zwischen 15 und 23 Jahren betreut. Das einst scheinbar chancenlose Mädchen war nämlich inzwischen auf dem College – die Prüfung, sagt die 24-Jährige stolz, hat sie mit Auszeichnung bestanden. Nun arbeitet Glendelyn Occeña für die Organisation Quidan Kaisahan als eine jener Programmbeauftragten, die das von Brot für die Welt geförderte Kinderschutzprojekt umsetzen. Meistens erledigt sie die Aufgaben einer Sozialarbeiterin. Aber sie hilft auch als Lehrerin aus und bereitet dann Jugendliche, die nicht mehr zur Schule gehen, auf eine Abschlussprüfung vor.
Ein Wendepunkt im Leben
„Alternative Learning System“ heißt das Erfolgskonzept, mit dem man an vielen Orten auf der philippinischen Insel Negros neue Wege geht. So auch in einem Dorf namens Blumentritt – angeblich existierte hier einmal eine große Zuckerrohrfarm, deren Besitzer ursprünglich aus Deutschland stammte. Jeden Samstag verwandelt sich in Blumentritt eine Kindertagesstätte in ein Klassenzimmer. Meist paukt dann eine Gruppe Teenager Algebra oder Englischvokabeln.
Heute aber leitet Glendelyn Occeña einen Workshop über Kinderrechte. Der Unterricht sei eine Chance für Schulabbrecher, ihr Leben wieder auf die Erfolgsspur zu bringen, kommentiert Glendelyn Occeña. „Ob als Verkäuferin im Supermarkt oder als Wachmann: Für Jobs auf den Philippinen kann man sich nämlich nur mit einem anerkannten Abschluss bewerben.“ Die junge Frau weiß, wovon sie spricht: Schließlich markierte der Förderunterricht auch für sie persönlich einen Wendepunkt im Leben. Eine Mitarbeiterin der Organisation Quidan Kaisahan motivierte sie, sich einzuschreiben. „Acht Monate lang habe ich dann gepaukt. Das war nicht einfach, weil ich manche Fächer noch nicht kannte und nebenher ja immer noch arbeiten gehen musste“, erzählt sie. „Doch ich habe weder vorher noch nachher in so kurzer Zeit so viel gelernt. Auch meine Persönlichkeit hat sich verändert: Früher war ich schüchtern, doch durch das gemeinsame Lernen mit den anderen Jugendlichen hat sich das gelegt.“
Vorbild für andere
Heute ist es für Glendelyn Occeña selbstverständlich, vor Gruppen zu referieren und Diskussionen zu moderieren – ganz gleich, ob es sich bei den Teilnehmenden um Schüler, Eltern oder Vertreter der Gemeinden handelt. „Ich habe auf dem College gelernt, selbstbewusst aufzutreten. Da wurden genau solche Situationen trainiert.“
Vier Jahre hat die 24-Jährige auf ihren Bachelor hingearbeitet, was nur mit Hilfe eines Stipendiums möglich war. „Quidan Kaisahan hat mir nicht nur meine Bücher finanziert, sondern auch die Kosten für das Wohnheim und meinen Lebensunterhalt übernommen.“ Doch die Unterstützung ging noch weiter: „Ich habe oft im Büro übernachtet. So konnte ich den ganzen Abend lang das Internet nutzen und für meine Hausarbeiten recherchieren.“ Als sie den Abschluss in der Tasche hatte, machte Quidan Kaisahan der Stipendiatin gleich ein Jobangebot. Das Einkommen reicht der Sozialarbeiterin nicht nur, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch ihre Eltern und Geschwister profitieren, weil sie ihnen einen Teil ihres Gehaltes abgeben kann. „Kinderarbeit ist leider immer noch Teil des Alltags auf den Philippinen“, sagt sie. Aber anders als früher gebe es nun viel mehr Engagement, die Situation zu verändern. Und auch rechtlich habe sich einiges getan. „Es gibt viele Leute, die einem helfen können, seine Ziele zu erreichen – ganz gleich, wie viele Hindernisse auf dem Weg liegen. Das muss man sich immer vor Augen halten.“ Auch in schwierigen Zeiten hat Glendelyn Occeña die Hoffnung, dass sich ihr Leben eines Tages zum Besseren wenden würde, nie aufgegeben. „Ich bin dankbar, dass ich für die Schülerinnen und Schüler nun ein Vorbild sein kann: Wenn ich meine Geschichte erzähle, motiviert sie das, es auch zu versuchen.“