Obwohl der Welthandel deutlich abgekühlt ist, sind Rohstoffe weltweit gefragter als je zuvor. Eine der Ursachen besteht im Ausbau so genannter Zukunftstechnologien. Die Folgen lassen sich am Earth Overshoot Day ablesen; dem Tag an dem die Menschheit das Budget der Natur für das laufende Jahr aufgebraucht hat. In 2020 fiel der Erdüberlastungstag bereits auf den 22. August.
Verwendung von Rohstoffen wird zur Menschheitsfrage
Mit der Globalisierung von Produktionsprozessen und Dienstleistungen ab den 1980er Jahren ist der weltweite Verbrauch an mineralischen und energetischen Rohstoffen um weit über 80 Prozent gestiegen. In den kommenden Jahrzehnten wird die globale Mittelschicht, insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum, stark wachsen – und mit ihr der Rohstoffverbrauch. Für Asien und Pazifik wird ein Wachstum der Menschen mit mittlerem Lebensstandard, bis 2030, von gut einer halben Milliarde auf über drei Milliarden prognostiziert. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und den aus ihrem Abbau entstehenden sozialen Konflikten und Umweltzerstörungen wird demnach auch zukünftig eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleiben. Diese stellt sich auch für entwicklungspolitische Hilfswerke wie Brot für die Welt, die über ein breites Partnerspektrum im globalen Süden verfügen.
Wachstum kann Armut verschärfen
Grundsätzlich kann der Abbau natürlicher Rohstoffe der Wirtschaft eines Landes und auch dem sozialen Fortschritt seiner Bevölkerung dienen. Eine solche Entwicklung ist allerdings an eine Reihe ökonomischer, politischer und rechtlicher Bedingungen geknüpft, die in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern nicht gegeben sind. Der Human Development Index (HDI) zeigt, dass die Menschen in vielen Staaten keine Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren, auch wenn Regierungen und Unternehmen in ihren Ländern einen massiven Abbau energetischer und mineralischer Rohstoffe mit jährlichen Wachstumsraten von fünf Prozent und mehr zu verzeichnen hatten. Laut HDI hat sich der Wohlstand der Menschen in einigen Staaten durch den verstärkten Rohstoffabbau sogar verschlechtert. Vor Beginn der Erdölförderung 2002 stand beispielsweise der Tschad auf Platz 166. Im Jahre 2017 belegte das Land nur noch Platz 186.
Solche Fehlentwicklungen haben vielfältige Ursachen. Die Gewinnung der Rohstoffe findet zum einen häufig auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt statt. Großprojekte führen zur irreversiblen Zerstörung ganzer Landstriche und entziehen den dort lebenden Menschen ihre Lebensgrundlage, ohne ihnen Alternativen zu bieten. Die Gewinne aus dem Rohstoffabbau kommen zum anderen nur wenigen Akteuren zugute. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger und vor allem die lokalen Gemeinschaften in den Abbau- und Förderregionen profitieren meist kaum von den erzielten Gewinnen. Gerade letztere sind häufig Leidtragende der negativen Begleiterscheinungen des Abbaus, da die Regierungen oft nicht willens oder in der Lage sind, die Rechte der Bevölkerung gegenüber wirtschaftlichen Eliten zu schützen.
Brot für die Welt engagiert sich
Die Konsequenzen des Ressourcenabbaus in den Fördergebieten beschäftigen seit vielen Jahren zahlreiche Partnerorganisationen von Brot für die Welt. Viele Partnerorganisationen, deren Aufgabe beispielsweise in der Förderung ländlicher Entwicklung besteht, widmen inzwischen einen Teil ihrer Arbeit der Analyse von Folgewirkungen des Rohstoffabbaus und der Betreuung von betroffenen Menschen vor Ort.
Da ein nennenswerter Anteil der natürlichen Rohstoffe aus Entwicklungs- und Schwellenländern in die Industrienation Deutschland exportiert wird, wenden sich Partnerorganisationen mit der Bitte an Brot für die Welt und Misereor, gemeinsam auf die in ihrem Land tätigen Unternehmen und die Importeure in Deutschland Einfluss zu nehmen. Im Fall der in Brasilien gelegenen, weltweit größten Erzmine Carajás entstand daraus ein sogenanntes Dialogprogramm mit Unternehmen aus der Stahl- und Aluminiumindustrie, das sich ab 1992 über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren erstreckte.
Fragile Staaten sind eine besondere Herausforderung
In Regionen mit fragiler Staatlichkeit sind die Konsequenzen extraktiver Projekte besonders tiefgreifend, denn dort tragen sie häufig zur Eskalation von Konflikten bei. Die Betroffenen und die Zivilgesellschaft stellt das vor große Herausforderungen. Dies gilt sowohl für autoritär geführte Regime wie im Tschad oder Sudan als auch für Staaten, in denen (private) bewaffnete Gruppierungen sich durch den Abbau und Verkauf der Rohstoffe finanzieren, etwa die Demokratische Republik Kongo. In diesen Ländern fallen nicht nur die ländlichen Produktionssysteme und die Natur der Ölförderung oder dem Abbau von Mineralien zum Opfer. Menschen werden eingeschüchtert und mit dem Tod bedroht, Ausgangssperren für Dorfbewohner*innen verhängt und soziale Strukturen sowie traditionelle Solidarsysteme zerstört. Dies erschwert es den Betroffenen erheblich, gemeinsam ihre Rechte einzufordern – bzw. macht es ihnen in einigen Fällen sogar unmöglich.
Lehren für zukünftige Dialoge und Kampagnen
Die Publikation Konfliktstoff Rohstoffe – Chancen und Grenzen von Dialogprozessen und Kampagnen im Rohstoffsektor untersucht und bewertet vier langjährige, transnationale, zivilgesellschaftliche Prozesse mit Unternehmen und multilateralen Institutionen: das Dialogprogramm der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) zu Carajás, die Arbeit von ECOS und Brot für die Welt zur Erdölförderung im Sudan, das Engagement der AG Tschad zur Erdölförderung im Tschad und den dortigen Dialog mit Esso und der Weltbank sowie die Arbeit unseres Werkes und des ÖNZ zum Coltan-Abbau in der DR Kongo. Diese Auswertung soll dazu beitragen, die Wirkungen, Dynamiken und Fallstricke der Dialogprozesse besser zu verstehen und daraus Rückschlüsse für künftige transnationale Programme zu ziehen.
Dazu werden zunächst die vier Prozesse skizziert und in der Folge die typischen Spannungsfelder bei solchen Prozessen aufgezeigt, die anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht werden. Obwohl die Prozesse unter sehr unterschiedlichen Bedingungen stattfanden, lassen sich trotzdem Lehren ziehen, die als Bausteine für zukünftige Kampagnen und Dialogprozesse dienen können. Die neun strategischen Empfehlungen bilden das Herzstück unserer Analyse.