Palash Sarker, Ruhul Amin, Mahmodul Hasan und Mousumi Halder arbeiten im Klimaprogramm der Christlichen Kommission für Entwicklung in Bangladesch (CCDB). Sie haben eine besonders vom Tropensturm Amphan betroffene Region im Süden des Landes besucht, in der CCDB kommunale Klimaanpassung unterstützt. Ihr Bericht aus dem Krisengebiet ist am 4. November in der ‚Dhaka Tribune‘ erschienen, einer der größten Tageszeitungen des Landes.
Mir ist Bangladesch seit Jahrzehnten zweite Heimat. Ich kenne das Land und weiß um seine Nöte. Deshalb hat mich sehr berührt und auch nachdenklich gemacht, was die Kolleg*innen von CCDB berichten. Ihren Bericht möchte ich hier in Auszügen widergeben, verbunden mit dem dringenden Appell an uns alle, die wir unter der Corona-Krise leiden, niemals die Augen davor zu verschließen, dass die Entbehrungen, die unsere Mitmenschen in Bangladesch und in dutzenden anderen armen Ländern derzeit erleiden, weit schlimmer sind. Es ist richtig, wenn wir jetzt nach vorne schauen und darüber nachdenken, wie Deutschland und Europa gestärkt und besser gewappnet aus dieser Krise hervorgehen können. Aber dabei sollten wir immer auch daran denken, dass die Menschen in Bangladesch und anderswo jetzt unsere Hilfe mehr denn je benötigen, damit auch sie wieder hoffnungsvoll in die Zukunft blicken können.
Klimawandel hat Region in Hochrisikogebiet verwandelt
Zumal in Bangladesch die Schäden, die der Klimawandel verursacht, die Auswirkungen der Pandemie verstärken. Davon möchte ich in diesem Blog berichten. Die Küste am Golf von Bengalen im Süden Bangladeschs ist einer Vielzahl von Klimarisiken ausgesetzt. Die Menschen sind daher seit jeher leiderprobt darin, mit Wetterextremen umzugehen. Jedoch hat der Klimawandel die Region in den letzten Jahren immer mehr in ein Hochrisikogebiet verwandelt und mit dem Meeresspiegelanstieg sowie der damit einhergehenden Versalzung auch neue Probleme geschaffen, die es immer schwieriger für die sehr arme Landbevölkerung machen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dennoch haben die Menschen niemals aufgegeben. Nahezu jedes Jahr müssen sie tropischen Wirbelstürmen, Sturmfluten, Überschwemmungen, Küstenerosion und dem Eindringen von Salzwasser trotzen. So ist die Klimakrise Bestandteil ihres Lebens geworden.
Zyklon Amphan trifft Küste während Corona-Lockdown
In diesem Jahr jedoch ist die Corona-Pandemie hinzugekommen und verlangt den Menschen mehr ab, als sie zu erdulden im Stande sind. Für viele der ohnehin sehr hart arbeitenden Männer und Frauen ist es fast unmöglich geworden, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der traurige Tiefpunkt dieser Tragödie, die bis heute nicht beendet ist, wurde am 20. Mai erreicht, als der Super-Zyklon Amphan mit voller Wucht auf die Küste von Bangladesch getroffen ist. Es fällt sehr schwer, sich die Folgen einer solchen Katastrophe auszumalen, die sich inmitten der Pandemie ereignet hat, zu einem Zeitpunkt also, zu dem das komplette öffentliche Leben aufgrund des Lock-Down zum Stillstand gekommen war. Um die Lage vor Ort besser einschätzen zu können, hat sich das Team von CCDB von der Hauptstadt ins zwölf Stunden entfernte Vamia auf den Weg gemacht, eines der am stärksten von Amphan verwüsteten Dörfer im Distrikt Shatkhira. Der Ort liegt unweit der indischen Grenze direkt am Rande der Sunderbans, des weltweit größten Mangrovenwaldes, der aufgrund seiner Einmaligkeit Weltnaturerbe ist.
Viele Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren
Ziel der Mission war es, die lokalen Auswirkungen sowohl von Amphan als auch von der Pandemie zu erheben, sich ein Bild davon zu machen, wie die Menschen mit dieser existenzbedrohenden Situation umgehen, und wie ihnen am besten dabei geholfen werden kann, wieder Tritt zu fassen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Die meisten Dorfbewohner*innen leben von dem, was ihnen das Land, der Fluss sowie die Mangroven bieten. Einige verdingen sich auch als Tagelöhner. Als die Regierung Ende März einen landes-weiten „Zwangsurlaub“ verhängte und alle Bewegungen über das eigene Nahumfeld hinaus verbot, verloren die Menschen von einem Tag auf den anderen ihre Erwerbsgrundlage. Die Dorfbevölkerung war zu diesem Zeitpunkt bereits in größter Sorge vor dem Virus. Andererseits war aber auch die Befürchtung groß, Hunger leiden zu müssen.
Die Schulen schlossen, das normale Alltagsleben kam nahezu völlig zum Erliegen und niemand durfte das Dorf verlassen, es sei denn in Notfällen. Selbst der Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen war nicht mehr möglich, und im Dorf selbst gibt es keinen Arzt. Dann, inmitten dieser dramatischen Ausnahmesituation, traf Zyklon Amphan auf das Dorf, ein Super-Zyklon, der mit 150 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit über das Land hinwegfegte und hier wie in 26 küstennahen Distrikten mit mehreren Millionen Einwohner*innen eine Schneise der Verwüstung hinterließ.
Überleben in Schutzbauten – Abstand halten unmöglich
Die mehrere Meter hohe Flutwelle zerstörte Dämme auf einer Gesamtlänge von 150 Kilometern. Ungeheure Wassermassen ergossen sich daraufhin über das weite Land, welches weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegt. Der Damm, der Vamia vor dem Fluß Chuna schützt, kollabierte ebenfalls. Viele Häuser wurden völlig, andere teilweise zerstört. Die Teiche, in denen die Menschen Fische, Krabben oder Krebse züchten oder ihr Trinkwasser beziehen, wurden von den Wassermassen überschwemmt. Die Ernte auf den Feldern wurde zerstört und wichtige Süßwasser-Reservoirs mit Salzwasser kontaminiert. „Immer wieder sind wir aufgestanden, wenn uns eine Katastrophe ereilt hat. Auch wenn es sehr hart war – immer ist es uns gelungen, von neuem zu beginnen, alles instand zu setzen, neu zu sähen. Aber dieses Mal ist es anders. Diese Katastrophe hat uns gebrochen“, berichtet ein Bauer dem CCDB-Team. Hinzu kam die Corona-Pandemie. Die einzige Chance, Amphan zu überleben, bestand darin, das Dorf zu evakuieren und in einem nahe gelegenen Zyklon-Schutzbau Zuflucht zu suchen. Hier geht es aber zwangsläufig sehr eng zu und die Menschen hatten gar keine andere Chance, als viele der Abstands- und Hygieneregeln zu missachten. Mehr als einen Tag harten sie hier aus, bei hohem Infektionsrisiko. Und so, wie es den Menschen in Vamia erging, ging es vielen Millionen mehr, die im Angesicht des Zyklons keine andere Wahl hatten, wollten sie überleben. Der Überlebenskampf hatte jedoch bereits begonnen, bevor Amphan die Küste traf. Aufgrund des Lock-Downs konnten Fischer ihren Fisch und Krabbenfischer ihre Krabben nicht mehr verkaufen. Auch die Bäuerinnen blieben auf ihrem Gemüse sitzen, Honigsammler wurden ihren Honig nicht mehr los und die Tagelöhner fanden keine Arbeit mehr. Dennoch musste das Leben irgendwie weitergehen und die Bevölkerung mühte sich, ihre knapper werdenden Ressourcen effektiv einzusetzen.
Die wichtigste Überlebensstrategie bestand darin, auf Ersparnisse zurückzugreifen oder Kredite aufzunehmen. In einem so armen Dorf wie Vamia waren die Ersparnisse aber bald aufgebraucht und die Pandemie ging weiter. Die meisten nahmen jetzt Kredite bei Nichtregierungsorganisationen auf, oder auch bei den lokalen Geldverleihern. Letzteres bedeutet aber hohe Zinsen. Zudem leistete die Regierung finanzielle und Nahrungsmittelhilfe – jedoch längst nicht für alle im Dorf und nicht in ausreichendem Maße. Als dann der Super-Zyklon kam, wurden die lokalen Anpassungsfähigkeiten überschritten. Die Bevölkerung versuchte noch unter Lebensgefahr, den Dammbruch zu verhindern – jedoch vergebens. Die eindringenden Wassermassen zerstörten die Lebensgrundlagen der meisten im Dorf. Ab diesem Zeitpunkt hing das Überleben der Menschen von der Nothilfe ab, die Regierung und NGOs leisteten. Wo das nicht reichte, verkauften die Menschen, was sie noch hatten, oder nahmen neue Kredite auf. Heute sind daher viele im Dorf stark überschuldet, was sie noch vulnerabler macht. Viele Familien suchen neue Erwerbsquellen, andere bemühen sich um weitere Kredite, um ihre alten Erwerbsgrundlagen wiederherzustellen.
Kurzfristig hatte das “Nahrung für Arbeit”-Programm der Regierung entscheidenden Anteil daran, dass viele Tagelöhner ihre Familien zumindest ernähren konnten. Alles in allem sind diejenigen am besten gefahren, deren Erwerbsgrundlagen stärker diversifiziert oder aber weniger anfällig gegen Klimaextremereignisse sind, wie etwa Verwaltungsangestellte. Fest steht, dass mit Amphan für viele Familien der Hunger kam. Die meisten Betroffenen hatten aufgrund der Pandemie schon zuvor ihre Nahrungsaufnahme eingeschränkt. Jetzt jedoch mussten sie Nachbarn um Nahrung oder Trinkwasser bitten. Die Reduzierung der Mahlzeiten, Reduktion des Trinkwasserverbrauchs, oder die Verwendung von Salzwasser im Haushalt sind dann unvermeidbar. Doch das führt zu Fehl- und Mangelernährung, verursacht Krankheiten und verschlechtert den Gesundheitszustand der Betroffenen weiter.
Frauen sind besonders von den Krisen betroffen
Während der Krise – die noch nicht überstanden ist – spielen einmal mehr die Frauen eine hervorgehobene Rolle, das Überleben der Familie zu sichern. Sie neigen mehr als die Männer dazu, für Krisensituationen vorzusorgen: Mit eigenen Ersparnissen, indem sie sich zusätzliche Einnahmemög-lichkeiten schaffen, wie etwa die Zucht von Enten, Ziegen oder auch Kühen, und indem sie Gemüse anbauen. Andere nähen in Heimarbeit, stellen Handarbeiten her oder betreiben nebenher ein kleines Geschäft. Ohne diese zusätzlichen Einkommen hätten viele Familien in Vamia den Lockdown nicht durchhalten können – und schon gar nicht die ersten Wochen nach der Sturmflut. Das CCDB-Team hat herausgefunden, dass Frauen, die als Kleinstunternehmerinnen tätig sind, von der doppelten Klima- und Corona-Krise weniger stark betroffen sind. Aber die Arbeitsbelastung der Frauen ist aufgrund der zusätzlichen Hygieneanforderungen und der Betreuung der Kinder zuhause weiter gestiegen. Und wenn am Essen gespart werden muss, sind es zuerst die Frauen, die auf Mahlzeiten verzichten. Die typischen Anpassungsstrategien der Dorfbevölkerung erlauben es, eine kurze Notsituation zu überstehen. Sie sind jedoch untauglich dafür, den langfristigen Konsequenzen einer Pandemie oder gar den Folgen des voranschreitenden Klimawandels zu begegnen. Im Gegenteil vertiefen sie häufig Abhängigkeiten und verstärken die Vulnerabilität. Auch haben sich auch viele der von Nichtregie-rungsorganisationen propagierten Anpassungsstrategien in der doppelten Krise als nicht ausreichend erwiesen. Was im Großen für ein Land oder einen Kontinent gilt – ‘Green recovery’ und ‘Build Back better’ – gilt genauso auch auf lokaler Ebene: Vamia selber hat bis heute keine Strategie des nachhaltigen Wiederaufbaus und der Stärkung der Resilienz. Hierzu fehlt es u.a. an den finanziellen Mitteln und dem Wissen. Die wichtigste Schlussfolgerung des CCDB-Teams lautet daher, dass es wichtig ist, die tatsächliche Wirkung von Anpassungsmaßnahmen auf vulnerable Bevölkerungsgruppen besser zu messen, um dann zielgerichteter diejenigen Instrumente einzusetzen, die tatsächliche die Resilienz der Bevölkerung erhöhen. Denn die nächste Katastrophe wird kommen und Wetterextreme werden aufgrund des Klimawandels an Häufigkeit und Intensität zunehmen.
Vorausschauendes Klimarisiko-Management nötig
Nichtregierungsorganisationen und lokale Behörden müssen Klimaanpassung viel stärker und systematischer als bislang in ihre Entwicklungsprogramme integrieren. In Risikogebieten wie Vamia sollte kein einziges Projekt mehr auf den Weg gebracht werden, das Klimarisiken nicht bereits bei der Planung prüft und bei der Umsetzung angemessen berücksichtigt. Ohne vorausschauendes Klimarisiko-Management sind Projekte nicht nachhaltig und werden langfristig zwangsläufig scheitern. Denn der nächste Super-Sturm wird kommen. Sind bis dahin keine besseren Vorkehrungen getroffen, werden wieder Investitionen vernichtet und die so überaus knappen Ressourcen der Dorfbevölkerung ins Meer gespült.