Ursula von der Leyen nutzte die Gelegenheit für eine engagierte und durchaus überzeugende Europa-Rede, als sie dem Parlament die Kommissionspläne am 27. Mai vorstellte. Die sehen vor, den Schuldenrahmen in der Union zu erweitern und eine gemeinsame Aufnahme von Geld zu günstigen Bedingungen am internationalen Kapitalmarkt zu ermöglichen. In ähnliche Richtung hatten zuvor auch schon Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron argumentiert. Der Kommissionsvorschlag geht über deren Pläne allerdings weit hinaus. Zwei Drittel der Mittel sollen als nicht rückzahlungspflichtige Zuwendungen und nur ein Drittel in Form von Krediten vergeben werden. Ein solches Finanzpaket wird von den Regierungen der Länder begrüßt, die besonders stark von den Folgen der Coronakrise beeinträchtigt wurden (Spanien und Italien), stößt aber bislang bei einigen Mitgliedern auf Skepsis - insbesondere bei den Nettozahlern Österreich, Dänemark, Schweden und Niederlande, die im Brüsseler Diskurs als die "sparsamen Vier" geführt werden. Nach dem Willen der Kommission sollen die Mittel aus dem neuen Corona-bedingten "Recovery Fund" nicht als Paket ausbezahlt, sondern in den neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR 2021-27) integriert werden, den die Kommission mit weiteren 1,1 Billionen Euro ansetzt.
Neuer Entwurf für den Mehrjährigen Finanzrahmen
Für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-27, in dem die groben Linien für die Ausgaben der nächsten sieben Jahre abgestimmt werden, hatte die Kommission unter Präsident Juncker bereits 2018 einen ersten Entwurf vorgelegt. Zahlreiche Verordnungen dazu wurden vom EU-Parlament (EP) inzwischen begutachtet und abgestimmt, aber es gibt weiterhin viele strittige Punkte. Sie betreffen nicht nur die Höhe einzelner Budgets, sondern auch den Zuschnitt der Finanzierungsinstrumente. Darüber wird immer noch intensiv zwischen dem EP, der Kommission und dem Rat, also den Vertretern der Mitgliedstaaten, verhandelt.
Der erste Entwurf der Kommission war bei kirchlichen Hilfswerken sowie friedens- und entwicklungspolitischen NGO-Netzwerken vor allem deshalb auf heftige Kritik gestoßen, weil er recht hohe Beträge für militärische Zwecke vorsah - 13 Mrd Euro für den neu gegründeten Europäischen Verteidigungsfonds, mit dem die europäische Rüstungsindustrie für Forschung und Entwicklung subventioniert werden soll, und 6,5 Mrd Euro für militärische Mobilität (Infrastrukturmaßnahmen zur Truppenverlegung in Europa), sowie eine deutliche Aufstockung der Mittel für den Ausbau der Grenzschutzbehörde Frontex zur Migrationsabwehr. Außerdem wurde ein Umbau der Finanzarchitektur angekündigt, der mit der Zusammenlegung wichtiger außen- und entwicklungspolitischer Förderinstrumente einherging ("Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und Internationale Kooperation", NDICI). Wichtige Aufgaben des bewährten "Instruments für Stabilität und Frieden" wurden von 2,3 Mrd Euro im laufenden Finanzrahmen auf weniger als 1 Mrd reduziert. (Über die Risiken und entwicklungs- und friedenspolitischen Implikationen dieser Pläne - vor allem die "Versicherheitlichung" von Entwicklungs- und Migrationspolitik - wurde in diesem "Blog" 2018 und 2019 fortlaufend ausführlich berichtet).
Weniger Mittel für militärische Zwecke, mehr für "Nachbarschaft, Entwicklung und Internationales"
Der neue, zweite Entwurf der EU-Kommission macht zwar den Umbau der Instrumente nicht rückgängig, hat aber doch die Ausgaben teilweise neu justiert. So werden die Mittel für den EU-Verteidigungsfonds (mit 8 Mrd Euro in Preisen von 2018, bzw. 9 Mrd in laufenden Preisen) und die Militärische Mobilität (mit 1,5 Mrd bzw. 1,69 Mrd Euro) jetzt deutlich niedriger angesetzt als im ersten Kommissionsentwurf. Damit "verliert" der militärische Bereich, während das neue "Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und Internationale Kooperation" (NDICI) nun 6,7 Mrd zusätzlich - aus dem "Recovery Fund" erhalten soll und mit 84,9 Mrd Euro (bzw. 96,4 Mrd) veranschlagt wird.
Die Höhe des EU-Verteidigungsfonds war nicht nur von europäischen FriedensaktivistInnen, sondern auch von einigen Mitgliedstaaten in Frage gestellt worden, und manche Länder (darunter Österreich) wollten die Ausgaben für militärische Mobilität eigentlich lieber ganz der NATO überlassen. Diese Widerstände dürften mit zu dem jetzigen Kompromissvorschlag beigetragen haben. Man kann die Kommission dafür beglückwünschen, dass sie in diesen Punkten wenigstens ein Stück weit zurückgerudert ist. Positiv ist auch zu werten, dass der neue Budgetvorschlag die Coronahilfen nicht ausschließlich auf die wirtschaftliche Sanierung der Mitgliedsländer konzentriert, sondern die Finanzierung von Bedarfen im Globalen Süden zumindest mitbedenkt. Auch die Ausgaben für humanitäre Hilfe wurden erhöht. Ein Wermutstropfen ist die Kürzung des Haushalts für die "Gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik" der EU um 274 Millionen Euro. Auch diesem Budget kommt schließlich für diplomatische und zivile Ansätze der Prävention, Friedensförderung und Stabilisierung Bedeutung zu, und dieses hätte angesichts der zahlreichen internationalen Herausforderungen bei der Überwindung von Gewaltkonflikten eher mehr als weniger Mittel verdient.
Erhöhung der Mittel für zivile Krisenprävention und Friedensförderung bleibt eine Kernforderung
Der am 27.5. vorgelegte MFR-Entwurf zeichnet bislang nur den Rahmen für die übergeordneten Budgetlinien und trifft keine Aussagen zu den Aufgaben einzelner Finanzierungsinstrumente - diese Feinjustierung erfolgt auf EU-Ebene erst gesondert im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren (Verordnungen). Diese sollte man wachsam begleiten und die politischen Mandats- und Entscheidungsträger*innen auf europäischer und nationaler Ebene weiterhin dafür sensibilisieren, dass sie die Mittel für zivile Krisenprävention und Friedensförderung, die im bisherigen "Instrument für Stabilität und Frieden" mit 2,3 Mrd Euro ausgestattet waren, auf keinen Fall kürzen dürfen. Sie sollten vielmehr verdoppelt oder verdreifacht werden. Nur so kann die EU ihre friedenspolitische Glaubwürdigkeit bewahren und angemessen auf mögliche Krisen und Gewaltkonflikte reagieren, die im Zuge der weltweiten Corona-Pandemie möglicherweise eher zunehmen als abflauen werden.
Herausforderung für die Deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Die EU-Kommission wird nun bei den Mitgliedstaaten für ihre Pläne zum wirtschaftlichen Wiederaufbau und für ihren neuen Haushaltsentwurf intensiv werben und vor allem die "sparsamen Vier" überzeugen müssen. Die deutsche Regierung wird in der zweiten Jahreshälfte, also ab Juli 2020, die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Auf sie kommen große Herausforderungen zu: die Verabschiedung des Mehrjährigen Finanzrahmens, des EU-Haushalts für 2021, die Neugestaltung der Beziehungen der EU mit der Afrikanischen Union und mit China (für beides sind Gipfeltreffen vereinbart). Man kann nur hoffen, dass die ursprünglichen Ankündigungen des deutschen Außenministers, die Stärkung der Kapazitäten für zivile Friedensmissionen der EU zu einem Kernanliegen der Ratspräsidentschaft zu machen, angesichts dieser Themen nicht in Vergessenheit geraten.
Die wichtigsten o.g. Haushaltsposten des MFR im Überblick
(in Euro, in Preisen von 2018 / in laufenden Preisen):
Migration und Grenzmanagement: 31,122 Mio / 35,292 Mio
Europäischer Verteidigungsfonds: 8,000 Mio / 9,080 Mio
Militärische Mobilität: 1,500 Mio / 1,691 Mio
Nachbarschaft, Entwicklung, Internat. Kooperation: 85,995 Mio / 96,412 Mio
Humanitäre Hilfe: 14,760 Mio / 16,468 Mio