Bereits seit Monaten kritisieren zahlreiche NGO´s und Aktivist*innen die Situation der menschenunwürdigen Unterbringung, Hygiene, Sicherheit und Perspektivlosigkeit der Geflüchteten in Camps u.a. auf Lesbos, Samos und Chios. Seit der Ankündigung des türkischen Präsidenten Erdogan am 29.02.2020 zur Öffnung der türkischen Grenzen in Richtung Griechenland hat sich die Situation für die flüchtenden Menschen jedoch noch einmal stark verschlechtert. Als ob dies nicht genug wäre, bedeutet der Ausbruch von Covid-19 in Griechenland, dass die dramatische Situation der Geflüchteten sich weiter zuspitzt. Gleichzeitig rückt sie die Situation in den Camps medial zunächst in den Hintergrund.
Menschenrechtsverletzungen auf den Ost-ägäischen Inseln und an der griechisch-türkischen Grenze
Derzeit halten sich ca. 41.500 Menschen in den Camps auf, bei einer Kapazität von ca. 6.000 Personen. Der ohnehin seit Monaten existierende Druck durch die überfüllten Camps auf den Ost-ägäischen Inseln, wurde durch die Ankündigung der Türkei noch deutlich verschärft, indem Teile der Zivilbevölkerung Geflüchtete, NGO Mitarbeitende und Journalist*innen angriffen, Zufahrtswege zur Versorgung Geflüchteter versperrten sowie Lagerhäuser für Sachspenden anzündeten. Dies geschah insbesondere mit dem Argument der Überforderung und der fehlenden Verantwortungsübernahme durch die Europäische Union. Unterstützt wurden sie in ihrer Position auch durch rechtsextreme Gruppen aus anderen EU Mitgliedsländern.
Eine Partnerorganisation des Programms Kirchen helfen Kirchen auf Chios macht es sich seit 2015 zur Aufgabe Geflüchtete in ankommenden Booten nach den sogenannten Landings u.a. mit trockener Kleidung, Essen und Spielzeug zu versorgen. Sie sind sich jedoch nicht sicher, ob sie langfristig weiterarbeiten können, da sie Angst um ihre internationalen freiwilligen Helfer haben. Die Initiative kann ihre Arbeit seither nur noch mit Polizeischutz durchführen. Aus Angst vor Übergriffen stimmt sie Pressestatements aktuell nur noch unter Anonymität zu.
Das Zusammenspiel der Auswirkungen des EU-Türkei Deals und die Verbreitung von Covid-19 bringt Geflüchtete in eine ausweglose Situation
In Zeiten der Pandemie Covid-19 ist die dramatische Situation der Geflüchteten an der Grenze und in den Camps nun medial in den Hintergrund gerückt, obwohl gerade die besonders gefährdet sind: Das geforderte „Physical distancing“ ist in den überfüllten Camps nicht möglich und die hygienischen Bedingungen sowie der fehlende Zugang zu sauberem Wasser erhöht das Ansteckungsrisiko.
Bisher gibt es keine genauen Zahlen darüber, wie viele Personen in den Camps und Unterkünften bereits infiziert sind. Eine Partnerorganisation des Programms Kirchen helfen Kirchen, berichtet von einer hohen Polizeipräsenz sowie der Durchführung einiger Virus Tests in den Camps. Seit dem 03.04. ist nun bekannt, dass es im Camp Ritsona, in der Nähe von Athen eine erste Person positiv auf den Virus getestet wurde. Die 300 Bewohner*innen werden jedoch nicht evakuiert, sondern stehen nun für die nächsten zwei Wochen unter Quarantäne und dürfen das Camp nicht verlassen.
Wo es bisher jedoch für mehrere Hundert Personen nur eine*n Ärzt*in gab, kann eine flächendeckende Behandlung nicht gewährleistet werden. Die Isolierung von Infizierten kann bei Ausbruch des Virus, insbesondere in den Camps auf den Inseln praktisch nicht stattfinden. Es ist davon auszugehen, dass die Krankheitsverläufe für einige Geflüchtete mit bereits geschwächtem Immunsystem, hervorgerufen durch die Überwinterung in sporadischen Zelten, schwerwiegend sein könnten. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele NGO´s und Initiativen ihre Arbeit im Zuge der Übergriffe durch die lokale Bevölkerung unterbrochen haben oder reduzieren mussten. Dies kann für den Ausbruch der Covid-19 Pandemie in den Camps zusätzlich fatal sein, da sich die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln sowie medizinischer Versorgung seit Beginn des Monats noch verschlechtert hat. Für den in der Rechtsberatung engagierten KhK Partner, der Griechisch-Orthdoxen Kirche in Athen/ Ecumenical Refugee Program bedeutet dieses Zusammenspiel an Maßnahmen einen enormen Einschnitt in ihre Arbeit: Büros müssen schließen und nur in einigen Fällen können Beratungen weiter über das Telefon stattfinden und der Kontakt zu den Klient*innen gehalten werden. In den meisten Fällen müssen Projektaktivitäten zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Zwei Partner planten derzeit den Aufbau von dringend benötigten Programmen zur Unterbringung von Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen (UMF) in Athen und Katerini. Auch diese Vorhaben können nun nur mit zeitlicher Verzögerung beginnen.
Viele Geflüchtete sind auf den Inseln der aktuellen Situation also ausgeliefert. Griechenland hat bereits als Folge der türkischen Grenzöffnung am 1. März das allgemeine Recht auf Asyl für einen Monat ausgesetzt. Im Zuge der Covid-19 Pandemie hat das Griechische Ministerium für Migration und Asyl zusätzlich nun zunächst vom 13.03.-10.04. 2020 alle Aktivitäten, die den persönlichen Kontakt mit Antragsteller*innen erfordern, wie z.B. Registrierungen, Interviews, Einreichung von Berufungsverfahren bei abgelehnten Asylanträgen sowie Anhörungen für Familiennachzug eingestellt.
Schließlich wurde nun auf Grund des eingeführten Versammlungsverbots von Personengruppen zum Schutz vor Covid-19 auch der Zugang zu den Camps für viele Organisationen stark eingeschränkt. Dies bedeutet noch weniger Einblick in die Situation vor Ort und für die Geflüchteten noch weniger Aussichten als sonst, zeitnah aus den Camps evakuiert zu werden.
Partnerkirchen und -organisationen fordern Solidarität und verstärkte Aufnahme von Geflüchteten
Partnerkirchen und -organisationen von Kirchen helfen Kirchen in Griechenland verurteilen sowohl das brutale Vorgehen der griechischen Polizei als auch das der lokalen Bevölkerung auf den Inseln: „Die Situation ist menschenunwürdig. Wir fühlen uns alleine gelassen.“, und fordern eine verstärkte Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland in andere Länder der Europäischen Union.
Für eine sofortige Aufnahme von Geflüchteten in Länder der EU, haben sich zivilgesellschaftliche Bewegungen, wie die „Die Seebrücke“, eingesetzt. Auch der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisierte die Situation: „Anstatt humanitäre Lösungen zu finden, bei denen alle Länder Europas Verantwortung übernehmen, hält man sich Männer, Frauen und Kinder, die Schutz suchen, mit Tränengas vom Leib“. Bisher hat aber weder Deutschland noch die EU konkrete Maßnahmen für die Evakuierung der Camps oder für eine verstärkte Aufnahme von Geflüchteten durchgeführt.