Streit über das Lieferkettengesetz
Seit der Entscheidung der Bundesregierung, die Konsequenzen aus dem Scheitern der freiwilligen Unternehmensverantwortung zu ziehen und entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, wird hitzig über dessen Ausgestaltung gestritten. Besonders umstritten ist die Frage, ob Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Ausland haften sollten. Für die mehr als 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich mit Brot für die Welt zur Initiative Lieferkettengesetz zusammengeschlossen haben, ist klar, dass das Gesetz die zivilrechtliche Haftbarkeit von Unternehmen vorsehen muss. Sonst wäre es wirkungslos und nicht geeignet, den Rechtsschutz von Betroffenen aus dem globalen Süden zu verbessern. Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden versuchen dagegen, die Vorschläge zur zivilrechtlichen Haftung durch irreführende Behauptungen in den Medien zu diskreditieren, um ein wirksames Lieferkettengesetz zu verhindern. Auch deshalb wird die Debatte momentan besonders erbittert geführt. Der heute veröffentlichte Faktencheck "Haftung nach dem Lieferkettengesetz - verhältnismäßig und zumutbar" dient daher dazu, mit den Vorurteilen gegen eine Unternehmenshaftung aufzuräumen und zur Versachlichung der Debatte beizutragen.
Irreführende Behauptungen zur Haftung
In den letzten Wochen behaupteten Vertreter*innen von Wirtschaftsverbänden in den Medien immer wieder, dass das Lieferkettengesetz zu einer Klagewelle führen werde, die Haftungsrisiken unüberschaubar seien und dass Unternehmen damit angeblich für das Verhalten von Dritten haften müssten.
Insbesondere die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) stach mit solchen Aussagen hervor:
Peter Clever, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BDA, sagte gegenüber dem Handelsblatt: „Der Maschinenbauer beispielsweise weiß doch gar nicht, woher das Metall kommt, das in den Kabeln steckt, die er verbaut. Wie soll er da für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden?“
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der BDA, bekundete im Deutschlandfunk, es sei problematisch, wenn Unternehmen für Missstände aufkommen müssten, die auf Dritte zurückzuführen seien und nicht in ihrem eigenen Verschulden lägen. Dies sei unter keinen Umständen zu akzeptieren.
Die Wirtschaftsverbände stellen die Vorschläge zur zivilrechtlichen Haftung als vollkommen überzogen dar und unterstellen, man wolle Unternehmen für Schäden zur Verantwortung ziehen, auf die sie keinerlei Einfluss haben.
Worum es eigentlich geht
Fakt ist, dass das Haftungs-Thema Haftung in den letzten Wochen extrem aufgebauscht wurde. Tatsächlich sind die in den bekannt gewordenen Eckpunkten für das Lieferkettengesetz vorgesehenen Kriterien zur Haftung sehr streng und sehen viele Ausnahmen für Unternehmen vor. So müssen Unternehmen keine Haftung befürchten, wenn sie getan haben, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten angemessen war, um Schäden zu vermeiden. Zudem ist eine Freistellung von der Haftung für fahrlässiges Verhalten vorgesehen, wenn Unternehmen staatlich anerkannte Branchenstandards umsetzen. Schließlich liegt die Beweislast für die Verletzung von Sorgfaltspflichten bei den Geschädigten. Da Sorgfaltspflichten-Prozesse unternehmensinterne Vorgänge sind, ist dieser Nachweis für Externe, wie die betroffenen Personen, kaum zu führen.
Es ist also so, dass sich die Haftung mit einem Lieferkettengesetz, wenn es so wie geplant zustande kommt, auf wenige schwerwiegende Einzelfälle beschränken wird, bei denen Unternehmen grob gegen ihre eigenen Sorgfaltspflichten verstoßen haben. Im Faktencheck wird dies anhand von Fallbeispielen veranschaulicht. Z.B. muss ein Unternehmen mit Haftung rechnen, wenn es mit einer Ananasplantage in Costa Rica Geschäfte betreibt, wo Arbeiter*innen durch krankmachende Pestizide vergiftet werden, und nichts dagegen unternimmt, obwohl die Vorfälle bekannt sind. In den meisten anderen Fällen ist die Haftung aber allein schon deshalb ausgeschlossen, weil sich das Unternehmen bemüht hat, die Zustände zu verbessern. Auf den Erfolg kommt es dabei regelmäßig nicht an.
Dass ein Unternehmen bei schwerwiegeden Menschenrechtsverletzungen, wie Gesundheitsschäden oder dem Tod von Beschäftigten, auf die es einen Einfluss hatte, haften muss, ist eine Selbstverständlichkeit und entspricht den anerkannten Prinzipien der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung. Im globalen Geschäftsverkehr sind die Rechtslücken jedoch so groß, dass Unternehmen sich selbst aus dieser grundlegenden Verantwortung stehlen können. Das ist unhaltbar und muss mit dem Lieferkettengesetz dringend behoben werden.