Das Heim ist kein sicherer Ort für Frauen
1999 riefen die UN den 25. November zum Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (auch Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) aus. Frauen, besonders in Lateinamerika, hatten jedoch bereits viel früher auf die Problematik aufmerksam gemacht. Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist vielfältig. So berauben Zwangs- oder Frühverheiratung, Genitalverstümmelung und Vernachlässigung aufgrund des Geschlechts unzähligen Mädchen ihrer Gesundheit, ihrer Rechte und ihrer Chancen auf Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Gleichberechtigung. Wie sich die Corona-Pandemie auf Mädchen auswirkt habe ich in einem früheren Blog beschrieben.
In Form häuslicher Gewalt ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit verbreitet und zu allen Zeiten ein großes Problem. Das Spektrum der Gewalt reicht von psychischer Gewalt über Schläge und Vergewaltigung bis hin zu Mord und Totschlag. Weltweit wurden laut UNOCC im Jahr 2017 30.000 Frauen, d.h. 82 täglich, von ihren Partnern ermordet. In Deutschland ist 2019 statistisch betrachtet fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners gestorben. Weitere 20.000 Frauen sind 2017 durch die Hand anderer Familienmitglieder gestorben. Den gefährlichen fremden Mann, der Frauen nach dem Leben trachtet, gibt es nur in Ausnahmefällen. Die Gefahr für Frauen und Mädchen lauert in ihren Familien!
Mord und Totschlag stellt die Spitze des Eisbergs dar. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben weltweit etwa 30 Prozent aller Frauen in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner erlebt. In den 12 Monaten vor der Corona-Pandemie waren weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren häuslicher Gewalt ausgesetzt. In Deutschland waren 2019 über 141.000 Frauen betroffen, eine Zunahme von 0,7 Prozent im Vergleich zu 2018. Die Folgen sind gravierend. Gewalt gegen Frauen und Mädchen gefährdet ihre physische, psychische, sexuelle und reproduktive Gesundheit und beeinträchtigt ihre Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und gesellschaftliche Teilhabe.
Die Corona-Pandemie befördert Gewalt gegen Frauen und Mädchen
In der aktuellen Krisensituation ist weltweit eine dramatische Verschärfung der Situation zu beobachten, wie im Laufe der vergangenen Monate von Medien und Aktivist*innen häufig berichtet wurde. Partnerorganisationen haben Brot für die Welt ebenfalls auf eine erhebliche Zunahme häuslicher Gewalt hingewiesen. Als Indikator diente in vielen Fällen eine Zunahme von Anrufen betroffener Frauen bei den entsprechenden nationalen Hotlines um häufig 25 bis 30 Prozent. UN Women bezeichnet die massive Zunahme inzwischen als Schatten-Pandemie. Die durch die anhaltende Corona-Pandemie erzeugte Unsicherheit ist ein Grund dafür. Eine immer größere Zahl von Menschen, besonders im globalen Süden, verliert ihre Lebensgrundlage, leidet Not und fürchtet um ihre Gesundheit. Der emotionale Stress und die Frustration wachsen angesichts dieser existentiellen Sorgen. Sie finden ein Ventil in häuslicher Gewalt, die durch die häufig beengten Wohnverhältnisse der Menschen zusätzlich befördert wird.
Die Krisensituation darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gewalt gegen Frauen Ausdruck fest verankerter struktureller Benachteiligung sowie Geschlechternormen und –stereotype sind, die Männer und Jungen privilegieren und ihnen Macht und Autorität in der Gesellschaft im Allgemeinen und der Familie im Speziellen zuweisen. Gewalt ist dabei ein Mittel, um Kontrolle über Frauen und Mädchen auszuüben. Daran ändert auch die Pandemie nichts.
Anstrengungen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit weltweit verstärken
Inzwischen wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen und ihre Auswirkungen in vielen Ländern der Welt thematisiert und durch Gesetzte, der Schaffung spezifischer Institutionen und Gleichstellungspolitik mit einigem Erfolg bekämpft. Die Zivilgesellschaft hat dabei einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Gleichberechtigung der Geschlechter bleibt jedoch weltweit eine Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Vielerorts können Frauen und Mädchen nicht über ihr Leben entscheiden. Sie werden durch Gesetze sowie gesellschaftliche Normen und Praktiken diskriminiert und benachteiligt. Eingriffe in ihre physische Integrität durch sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt manifestieren auf die grausamste Weise die historisch verwurzelten diskriminierenden Wertehierarchien und ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen.
Die Pandemie zeigt, dass Erfolge, die mit Hilfe von Gesetzten, der Schaffung spezifischer Institutionen und Fortschritten in der Gleichstellungspolitik sowie zivilgesellschaftlichem Engagement erreicht haben, nicht ausreichen. Es braucht noch viel stärkere politische und gesellschaftliche Anstrengungen in Verbindung mit der entsprechenden Finanzierung, um die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und Machtverhältnisse, die Frauen und Mädchen diskriminieren und als minderwertig betrachten, aufzubrechen und zu verändern.