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B Grundrechte durch Coronakrise eingeschränkt

Die Coronakrisa verändert unser Leben und verlangt von uns viele Einschränkungen. Doch selbst im Katastrophenfall dürfen Grundrechte nicht einfach ausgesetzt werden. Jede Beschränkung von Menschen- und Freiheitsrechten muss überprüft werden, ob sie legal, legitim, notwendig und verhältnismäßig ist.

Von Christine Meissler am
Ausgangsbeschränkungen

Menschen und Rechte in Quarantäne?

Das Coronavirus SARS-CoV-2 bringt uns an unsere Grenzen. Es stellt eine erhebliche Bedrohung für unsere öffentliche Gesundheit dar und bestimmt inzwischen unseren Alltag. Das öffentliche Leben findet nicht mehr statt. Das private Leben wird drastisch reglementiert. Schulen, Kitas, Universitäten, Kirchen, Geschäfte, Restaurants, Bars, Clubs, Konzerthäuser und Theater sind geschlossen. Eine allgemeine Kontaktsperre verbietet Versammlungen von mehr als zwei Personen, wenn diese nicht zusammen in einem Haushalt leben. Einzelne Bundesländer haben Ausgangsbeschränkungen erlassen. All das scheint gerechtfertigt, um eine humanitäre Krise zu vermeiden wie sie sich bereits in Norditalien abzeichnet: Die Zahl der Infektionen muss klein gehalten werden, damit alle die ärztliche Versorgung brauchen, diese auch in den nächsten Wochen und Monaten in ausreichendem Maße bekommen können und unser Gesundheitssystem nicht kollabiert. Denn jedes Leben zählt gleich viel.

Massive Einschränkungen der Rechte und Freiheiten

Doch bei allem Verständnis für notwendige Maßnahmen sollten wir dabei nicht ganz aus dem Blick verlieren, dass im Moment als Reaktion auf die Coronakrise auf der ganzen Welt Menschenrechte verletzt, unsere Freiheiten und Handlungsräume massiv eingeschränkt werden: Bei Ausgangssperren und Ausgangsbeschränkungen werden Grundrechte und v.a die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Das Versammlungsrecht wird quasi abgeschafft. Die individuelle Überwachung wird in vielen Ländern massiv ausgeweitet. Selbstverständlich müssen Regierungen die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren wie dem Coronavirus und seinen Folgen schützen und dazu angemessene Schutzmaßnahmen ergreifen. Gleichzeitig sind die Regierungenaber auch verpflichtet, die Verfassung, Gesetze und das Völkerrecht einzuhalten, auch wenn es sich um einen Not- oder Katastrophenfall handelt.

Notstand und Katastrophenfall

Am 30. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch des Coronavirus zu einem "öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung". In den letzten Wochen folgten immer mehr Staaten wie Südkorea, Italien, Island, in dem sie den Notstand oder den Katastrophenfall ausriefen. Der Notstand oder Katastophenfall setzt meist gewaltige Befugnisse für die Exekutive frei. In vielen Ländern heißt das, dass die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle der Regierung stark limitiert oder sogar ganz außer Kraft gesetzt wird: Oft bedeutet es, dass auch ein demokratischer Regierungschef eine unbegrenzte, quasi diktatorische Befugnisse bekommt. Der Regierung wird damit die Möglichkeit gegeben im Katastrophenfall schnell und flexibel zu agieren.

Maßnahmen müssen legal, legitim, notwendig, verhältnismäßig sein

Implizit wird aber auch vorausgesetzt, dass die Exekutive eine Selbstbeschränkung ausübt und ihre Notstandsbefugnisse fair, vernünftig und begrenzt anwendet. Fionnuala Ní Aoláin, UN-Sonderberichterstatterin für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Terrorismusbekämpfung, erinnert in einem Bericht an den UN Menschenrechtsrat von 2018 an das wichtige Rechtsprinzip, dass Staaten und Entscheidungsträger*innen auch im Notstand jede Maßnahme dahingehend prüfen müssen, ob sie legal, legitim, notwendig und verhältnismäßig ist. Die Sonderberichtserstatterin befürchtet, dass viele Staaten und Sicherheitsbehörden Notstandsbefugnisse generell begrüßen, weil sie schnelles Agieren möglich machen. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Befugnisse oder zumindest Teile davon auch nach dem Notstand bestehen bleiben. Auch deshalb gehört zur Verhältnismäßigkeit auch immer die zeitliche Begrenzung. 

 

Einschränkungen der Menschenrechte und Freiheiten

Bei den vielen Grundrechtseinschränkungen, wie z.B. den Ausgangssperren, scheint es angesichts des Ausmaß und der Dramatik der Krise, wegen steigender Infektions- und Todeszahlen, aber auch der Unsicherheit über die tatsächliche Wirkung von Ausgangssperren schwer abzuschätzen, ob sie notwenig und verhältnismäßig sind. Bei anderen Sachlagen ist es einfacher zu beurteilen, was gerechtfertigt und wirkungsvoll ist: Am Anfang der Krise konzentrierte sich die chinesische Regierung zunächst darauf, Informationen über das Coronavirus und seine Symptome zu unterdrücken und ihre Verbreitung zu verhindern. Iranische Behörden haben in ähnlicher Weise journalistische Berichte zensiert und Personen verhaftet, die beschuldigt wurden, Gerüchte über die Verbreitung des Virus zu verbreiten. Diese Maßnahmen haben nicht nur zur Verschlimmerung der Gesundheitssituation beigetragen, sondern auch die Meinungsfreiheit und das Recht auf Information grob verletzt.

In einigen Ländern wird der Notstand instrumentalisiert: Ausweitung von Überwachung und Gewalt

Aus einigen Ländern wird außerdem berichtet, dass Regierungen die Krise wohl auch als Vorwand nutzen, um Menschenrechte einzuschränken: Nach dem Ausbruch des Coronavirus verlangte China von den Bürger*innen, dass sie auf ihren Smartphones eine Software installieren, die Auskunft über ihren Gesundheitszustand gibt, ihren Aufenthaltsort verfolgt und feststellt, ob sie einen öffentlichen Ort betreten können. Die Software teilt diese Informationen mit der Polizei und schafft damit eine Vorlage für neue Formen der Kontrolle, die noch lange nach dem Abklingen der Epidemie bestehen könnten. Im Irak sah sich die Regierung mit weit verbreiteten Protesten wegen Korruption, Arbeitslosigkeit und ineffizienten öffentlichen Diensten konfrontiert. Die Regierung reagierte mit Gewalt und tötete Anfang März schätzungsweise 600 Demonstranten. Am 26. Februar wurden unter Berufung auf das Coronavirus alle Versammlungen an öffentlichen Orten verboten, obwohl es zu diesem Zeitpunkt nur eine bestätigte Infektion gab.

 

Grobe Verletzungen des Datenschutzes auch in Demokratien

Sogar demokratische Staaten wie Taiwan setzen im Kampf gegen das Virus auf den Einsatz modernster Überwachungstechnik und schränken Datenschutz und Persönlichkeitsrechte massiv ein: Einwanderungsbehörde und die staatliche Krankenversicherung arbeiten zusammen. Krankenhäuser und selbst Apotheken haben beim Scannen der Krankenkassekarte Zugriff auf deren Reisetätigkeiten der letzten zwei Wochen, um Risikopatient*innen zu identifizieren. Anwohner*innen unter Quarantäne werden über ihre Mobiltelefone kontrolliert, ob sie nicht heimlich ihre Wohnungen verlassen haben und Regelbrecher*innen werden mit hohen Geldstrafen bestraft.
In Südkorea gilt radikale Transparenz: Zweimal am Tag werden Regierungsbriefings online gestellt und Bewegungsabläufe von Infizierten publiziert. Wer in der Nähe vieler Infizierter wohnt, wird proaktiv von der Regierung per SMS angeschrieben. Auch aus Israel wurde bekannt, dass wegen der Coronakrise infizierte Personen über Ihre Handys getrackt werden. In Österreich macht der Mobilfunkanbieter A1 der Regierung die Bewegungsdaten aller österreichischen Bürger zugänglich.

Blick nach Deutschland

Neben der Sorge um die eigene Gesundheit und die der Familienangehören, Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen bewegt Menschen in Deutschland die Frage, ob und wie grundlegende Freiheitsrechte wie das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Grundgesetz), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz), das das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Grundgesetz), die Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet (Art. 11 Grundgesetz), das Asylrecht (Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz) und weitere Freiheitsrechte eingeschränkt werden.
Handydaten der Deutschen Telekom werden in Deutschland vom Robert Koch Institut genutzt, um Rückschlüsse auf die Ausbreitung des Coronavirus zu ziehen. Ziel sei es, Bewegungsströme von Menschen in Deutschland abzubilden – bundesweit, auf Ebene der Länder und bis auf die Gemeinden herunter gebrochen. Die digitale Beobachtung einzelner Bürger oder infizierter Menschen, wie es derzeit in asiatischen Ländern und auch in Israel gemacht wird, soll mit den Daten nicht möglich sein.  Deshalb wird die Übergabe der Daten nach Meinung von Datenschutzbeauftragten als verhältnismäßig gesehen. Kritische Experten aus dem Chaos Computer Club sind jedoch skeptisch. Sie fordern, dass die Maßnahmen befristet sind sowie offen und transparent damit umgegangen wird, welche Daten geliefert und wie sie anonymisiert werden.

Die größten Eingriffe in die Freiheitsrechte seit dem zweiten Weltkrieg

Schwieriger ist die Frage, ob eine allgemeine Ausgangssperre verfassungs- bzw. rechtskonform ist. Auch weil es umstritten ist, ob es für Ausgangssperren eine rechtliche Grundlage gibt, erlassen Bundesländer wie Bayern, das Saarland und Sachsen wohl ganz bewusst Ausgangsbeschränkungen. Bundesweit umgesetzt wird nun ein Kontaktverbot bzw. ein Verbot von Versammlungen an öffentlichen Orten von mehr als zwei Personen - es sei denn, es sind Angehörige aus dem gemeinsamen Haushalt. Diese Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sind die massivsten Eingriffe in die Freiheitsrechte seit dem zweiten Weltkrieg. Sogar die heftig umstrittenen Sicherheitsgesetze der RAF-Zeit und die Sicherheitspakete gegen den islamistischen Terrorismus waren nicht so grundstürzend wie die Verwaltungsverfügungen, mit denen nun in die Grundrechte eingriffen wird.

Folgen für besonders Schutzbedürftige bei Entscheidungen beachten

Vor allem dürfen wir bei der Entscheidung von Maßnahmen die Folgen für besonders Schutzbedürftige nicht aus dem Blick verlieren: Was bedeutet die Ausgangssperre für gefährdete Kinder, wenn psychischkranke und gewalttätige Eltern über Wochen ihre einzigen Bezugspersonen sind? Was heißt es für die kranken Flüchtlingskinder an den Grenzen Europas und in den griechischen Flüchtlingslagern, wenn die Mitgliedsstaaten der EU das Asylrecht quasi außer Kraft setzen? Solche und viele andere Fragen müssen bei Entscheidungen beachtet werden, um Schaden bei den besonders Schutzbedürftigen zu vermeiden.

Auch Not kennt Gebot

Problematisch ist, wenn es wie im Moment unsicher ist, wie lange die Einschränkungen der Freiheiten und der Katastrophenfall dauern werden. Ganz besonders wichtig ist es, dass Notstandsgesetze und -maßnahmen nach der Krise nicht in das allgemeine Recht übernommen werden. Leider gehört meist zur Krise, dass der als starke Autorität und Führungspersönlichkeit gesehen wird, der entschlossen entscheidet und sich um die Recht- und Verhältnismäßigkeit wenig kümmert. Doch bloße Entschlossenheit kann und darf wichtige Rechtsprinzipien nicht ersetzen. Ein Not- oder Katastrophenfall scheint den Verzicht auf Menschenrechtsschutz und demokratische Normen zu rechtfertigen. Aber es stimmt nicht, dass Not kein Gebot kennt. Das Maß der Mittel muss vom Recht und der Verhältnismäßigkeit bestimmt werden. In der Coronakrise sollten nicht nur die Menschen, die im Verdacht stehen infiziert zu werden, getestet werden. Alle Überlegungen zu Einschränkungen der Menschenrechte im Ausnahmezustand müssen vorher auf ihre Rechtmäßigkeit, Legitimität, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit hin geprüft und zeitlich begrenzt werden. Außerdem sollten die Gründe und Ergebnisse von Abwägungen, die zur Einschränkungen von Grund- und Menschenrechten führen, transparent und umfassend der Bevölkerung erklärt werden.

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