Im Einklang mit der Natur leben…diesen Wunsch hegen einige von uns, und doch bleibt er heute (meist) ein idealistischer Traum. Unser Verhalten schadet der Natur. Zunehmend überschreiten wir die Grenzen der Belastbarkeit von Mutter Erde. Dies äußert sich durch Artensterben, Klimakrise und zuletzt die Coronavirus Pandemie, ausgelöst durch ein Virus, übertragen von Tier auf Mensch, eine sogenannte Zoonose. Diese entwickeln sich besonders dann, wenn Tiere unter unnatürlichen Bedingungen leben und in den Kontakt mit Menschen kommen. Ein naheliegendes Beispiel dazu ist die Massentierhaltung. Eine sehr große Anzahl von Tieren wird in nicht artgerechten Ställen auf sehr wenig Raum einzwängt, was ihr Immunsystem schwächt. Gleichzeitig kommen die Tiere oder ihre Ausscheidungen in den Kontakt mit Menschen. Solche Lebensbedingungen für Tiere und Arbeitsbedingungen für Menschen begünstigen die Entstehung von Zoonosen.
Die Pandemie führt uns vor Augen, wie eng unsere Gesundheit mit der unserer Umwelt verbunden ist und wie sehr das Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Umwelt aus der Balance geraten ist. Wie finden wir zu einem ausgewogenen Verhältnis zurück?
One Health – Der Ansatz für eine ganzheitliche Gesundheit
One Health setzt genau an diesem Punkt an und fordert auf, die komplexen Synergien zwischen Menschen, Tier und Umwelt in unserem Handeln in den Blick zu nehmen. One Health ist ein Ansatz, der die Gesamtgesundheit des Ökosystems betrachtet und dabei nicht zwangsläufig den Menschen in den Mittelpunkt stellt, aber im Ergebnis die menschliche Gesundheit verbessern kann. So können zum Beispiel Projekte, die auf den Schutz der Wälder abzielen, gleichzeitig den Wald als Lebensraum für Wildtiere erhalten und die Landrechte indigener Bevölkerungen einbeziehen.
One Health heißt sektorübergreifend zusammenzuarbeiten und Silo-Denken überwinden. Damit bietet es eine erfolgversprechende Herangehensweise zu komplexen Problemen unserer Zeit und dient der Umsetzung der Agenda 2030 insgesamt, mit ihren sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen.
Landwirtschaftliche Familienbetriebe als Vorbild
Viele ländliche Bevölkerungen und indigene Gruppen leben schon seit langer Zeit nach der Idee von One Health. Der Ansatz ist eng mit der Agrarökologie verbunden, wodurch landwirtschaftliche Ökosysteme, unter anderem durch Diversität im Anbau, widerstandsfähiger gemacht werden. Agrarökologie basiert auf lokalem und traditionellem Wissen und stellt eine Alternative zur konventionellen, industrialisierten Landwirtschaft dar. Durch die Umsetzung agrarökologischer Prinzipien kann die Einkommens- und Gesundheitssituation kleinbäuerlicher Familienbetriebe langfristig verbessert werden. Dies veranschaulicht unser Partner ASPTA in Brasilien eindrucksvoll. Durch Agrarökologie konnten in einem Projekt rund 1.500 Familien ihr Einkommen verbessern und rund 105.000 Schüler*innen mit Schulessen aus lokalem Gemüse versorgt werden.
Auch für die Natur wirkt sich diese Art der Landwirtschaft positiv aus, denn sie trägt zu verbesserter Bodenqualität und Biodiversität bei. Richtig umgesetzt, kann Agrarökologie auch Kohlenstoff zurück in den Boden binden.
Traditionelles Wissen schützen und nutzen
Von unseren Partner*innen wissen wir: dieses traditionelle Wissen und die Praxis stehen unter ständiger Bedrohung durch Landraub, Abholzung oder anderweitige Interessen. Beispielsweise in Brasilien stellt der Kampf um Land ein dauerhaftes Problem für tausende Familien dar. Seit der Regierung unter Jair Bolsonaro, stehen deren Landrechte mehr denn je auf der Kippe. Ohne Land gibt es keine kleinbäuerliche Landwirtschaft und ohne die fehlt es an Einkommensmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung. Soziale Ungleichheit und Armut werden weiter geschürt.
Auch für die Natur hat das schlimme Folgen. Wenn immer mehr Land, immer weniger Menschen gehört, hat deren Umgang damit umso größere Folgen für Umwelt, Tier und Mensch.
Demzufolge hat One Health eine starke menschenrechtliche Dimension. Wenn wir Mensch, Tier und Umwelt in Einklang bringen wollen, müssen wir einander friedlich co-existieren lassen, gemeinsam die Schöpfung bewahren. Die Menscherechte auf Nahrung und Gesundheit müssen verwirklicht werden.
One Health, das neue Modewort des Gesundheitssektors?
Seit der COVID-19-Pandemie hat One Health starken Rückenwind bekommen. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat den Ansatz zu einem handlungsleitenden Prinzip erklärt und erarbeitet aktuell eine Umsetzungsstrategie dazu. Es ist unbedingt zu begrüßen, wenn die systemorientierte Betrachtung globaler Herausforderungen zunimmt.
Die bisherige Umsetzung des One Health-Ansatzes greift allerdings zu kurz und fokussiert fast ausschließlich auf Zoonosen und die Verhinderung von Pandemien. Dadurch besteht die Gefahr, dass One Health zu einer Worthülse wird, ähnlich wie die inflationäre Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffes. Altbestehende Silos werden aufrechterhalten und grün ‚überpinselt‘. In der Realität ändert sich aber nichts. Dabei ist One Health so viel mehr als Krisenmanagement! Und nur eine konsequente Umsetzung des One Health-Ansatzes kann Wirkung zeigen, auch um Pandemien zu verhindern.
Fakt ist, das Wissen und die Lösungsansätze für die komplexen Probleme unserer Zeit sind da. Was bisher fehlt, ist der politische Willen zur Umsetzung dieser. Deshalb fordern wir, dass One Health als der holistische Ansatz realisiert wird, als der er gedacht wurde und als der er Mensch, Tier und Umwelt zum Einklang verhilft.
Text von Laura Stranzl mit Mitarbeit von Mareike Haase und Stig Tanzmann. Laura Stranzl ist derzeit Praktikantin im Referat Grunddienste und Ernährungssicherheit und sie studiert Global Nutrition und Health an der Fachhochschule Kopenhagen.