Der malische Präsident Ibrahim Boubacar Keita und Premierminister Boubou Cissé wurden am 18. August von Einsatzkräften des Militärs zum Rücktritt gezwungen und zur Auflösung des Parlaments angehalten. Dem Coup waren umfangreiche Bürgerproteste vorausgegangen, maßgeblich unterstützt von der „Bewegung des 5. Juni / Sammlung der Patriotischen Kräfte“ (M5-RFP), einer Koalition aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, politischer Opposition und Anhänger*innen des Predigers Mahmoud Dicko (CMAS - „Coordination des mouvements, associations et sympathisants“). Nach der Festsetzung der Regierung verkündeten die Putschisten die Gründung eines Nationalrats zur Rettung des Volkes (CNSP) und versprachen, das Land zu „glaubwürdigen“ und freien Wahlen zu führen. Berichten von Amnesty International zufolge wurden im Zuge des Umsturzes vier Menschen durch Schüsse getötet und 15 weitere verletzt. International wurde der Putsch teilweise scharf verurteilt. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, Präsident Keita sei „demokratisch gewählt“ und man halte an ihm fest. Diese Haltung war offenbar von der Sorge getragen, dass es in den Nachbarstaaten mit schwachen Regierungen zu ähnlichen Entwicklungen kommen könnte. ECOWAS schloss Mali aus, forderte die Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung und verhängte Sanktionen. Eine Verhandlungsdelegation der ECOWAS erwirkte, dass der Präsident in sein Privathaus zurückkehren konnte, während der ehemalige Regierungschef in einer „abgesicherten Residenz“ untergebracht werde. Zunächst hieß es, die Junta plane eine dreijährige Übergangsphase für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, in der sie die Mehrheit der Regierungsmitglieder stellen wolle.
Die Armee als Garant für Veränderung?
Bereits 2012 putschte die malische Armee. Damals setzte sich ein Offizier an die Spitze, der in US-amerikanischen Einrichtungen ausgebildet worden war. Auch die Protagonisten des aktuellen Putsches haben vielfältige Qualifizierungen im und durch das Ausland erfahren. In den vergangenen Jahren wurde die malische Armee unter anderem auch von der EU und ihren Mitgliedstaaten regelmäßig mit Militärhilfe bedacht (Mali ist ein Hauptpartner für die sogenannte bundesdeutsche „Ertüchtigungsinitiative“). Das Erstaunliche an dem neuerlichen Putsch ist, dass er unter den Augen einer umfassenden internationalen Präsenz vorbereitet werden konnte. Neben der UN-Mission Minusma und diversen EU-Ausbildungsmissionen (EUTM, Eucap) befinden sich dort französische Einheiten im Kampf gegen Dschihadisten (Operation „Barkhane“), und erst kürzlich wurde eine weitere Kampf-Mission („Takouba“) mit europäischer Beteiligung ins Leben gerufen, es mangelt also nicht an internationaler Begleitung.
Über die Gründe für den aktuellen Putsch wird kontrovers spekuliert: Es wird gemutmaßt, dass die Militärs den massiven Bürgerprotesten, die sich im Land gegen Korruption, Wirtschaftsmisere und schlechte Regierungsführung formiert hatten, zuvorkommen wollten. Wie schon 2012 spielte jedoch wohl auch die Unzufriedenheit in Teilen der Armee über deren Ausstattung eine Rolle, und dazu kam das offensichtliche Scheitern der malischen und internationalen Akteure im sogenannten Antiterrorkampf, der hohe Verluste mit sich brachte, aber die Gewalt nicht eindämmen, sondern allenfalls verlagern konnte. Dass die Militärjunta Colonel Assimi Goita zu ihrem Anführer ernannte, der eine Spezialeinheit befehligt, wird von manchen Beobachtern als Zeichen dafür gewertet, dass dem Kampf gegen gewaltbereite Extremisten, die Teile des Landes bedrohen, weiterhin besondere Bedeutung beigemessen wird.
Widersprüchliche Partnerschaften
Allerdings galt sowohl den Vereinigten Staaten, als auch den in der Region präsenten europäischen Partnern, die vorhergehende Regierung bislang als Garant für Stabilität und verlässlicher Bündnispartner im militärischen Kampf gegen gewaltbereiten Extremismus im Sahel. Das eigenmächtige Handeln der - durch internationale Partnerschaften ertüchtigten Offiziere - stieß insbesondere bei der US-Regierung auf Widerspruch. Die verurteilte den Putsch aufs Schärfste. Sie unterbrach zudem die Militärhilfe für Mali, nachdem bekannt wurde, dass mindestens einer der beteiligten Offiziere u.a. auch Ausbildungen in China und Russland absolviert hatte, und als Gerüchte aufkamen, die russische Regierung sei eine treibende Kraft hinter dem Putsch. Belastbare Belege dafür gibt es bislang nicht, jedoch wird eines deutlich: Angehörige der malischen Streitkräfte wurden in den vergangenen Jahrzehnten von den unterschiedlichsten Armeen in Ost und West geschult und rüstungstechnisch auf Stand gebracht. Der neu ernannte Führer der Junta, Colonel Goita absolvierte u.a. eine Ausbildung am George C. Marshall European Center for Security Studies – einem von fünf regionalen Zentren des US-Verteidigungsministeriums für Sicherheitsstudien - in Deutschland. Dass mit solchen Schulungen ein ausgeprägtes Demokratieverständnis und Fähigkeiten für Regierungsführung vermittelt werden, darf bezweifelt werden. Skeptisch stimmen auch die gewaltsamen Übergriffe und Tötungen von ZivilistInnen durch Armeeangehörige, die seit 2019 in UN-Berichten dokumentiert wurden. Amnesty International weist darauf hin, dass die malische Armee in den vergangenen Jahren für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war und damit selbst zu Unsicherheit und Instabilität im Lande beigetragen hat. Das „willkürliche Agieren der Sicherheitskräfte und die anhaltende Straflosigkeit" hätten zu einem "massiven Vertrauensverlust in der Zivilbevölkerung" geführt. Amnesty forderte das malische Militär auf, die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz der Zivilbevölkerung mit oberster Priorität zu garantieren.
Zivilgesellschaft fordert „gute Regierungsführung“
Die Reaktionen der malischen Bevölkerung auf den Putsch sind gespalten. Schließlich galten Präsident Keita und seine Regierung als korrupt und unfähig im Umgang mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen, die von der Corona-Pandemie noch verschärft wurden. So erklärt sich, dass viele, die sich an den Protesten in den letzten Wochen beteiligten, den Rücktritt der bisherigen Regierung bejubelten. Dazu zählt auch das genannte Bündnis (M5-RFP). Während viele internationale Beobachter eher bezweifeln, dass die Therapie - Putsch und militärische Führung - zielführend ist, sehen zivilgesellschaftliche Akteure im Lande dennoch Chancen für eine Veränderung zum Positiven. Sie fordern einen klaren Zeitplan für unabhängige und faire Wahlen, Garantien für „gute Regierungsführung“ und auch von den ausländischen Akteuren einen Strategiewechsel. Zu ähnlichen Schlüssen kommt Ornella Moderan, Leiterin des Mali-Programms des „Institute for Scurity Studies“, das in mehreren Afrikanischen Ländern Thinktanks unterhält. Sie ist überzeugt,
“that the coup, if accompanied by an inclusive and participatory sociopolitical framework, could allow Malians to put their social contract back on the table and agree on healthier governance standards. But this potential can only be realised if the transition is used explicitly to facilitate a reset of democratic values and decades-long governance malpractice. To design a way out of the crisis, stakeholders’ focus must shift from issues of duration and leading personalities of the transition, to the purpose that this period should serve. The transition should be gauged against a clear mandate that aligns with Malians’ expectations and should set the stage for the launch of long-overdue reforms in public service, economic governance, security governance and electoral administration. The length and modalities of the transition should be derived from this mandate, rather than the other way around.”
„Fokus Sahel“: Appell an die EU und an die Bundesregierung
Das Bündnis „Fokus Sahel“, in dem sich entwicklungspolitische Organisationen und kirchliche Hilfswerke hierzulande (darunter auch Brot für die Welt) für die Sahel-Region engagieren, veröffentlichte heute eine Stellungnahme zur Lage in Mali. Sie enthält einen Appell an die Bundesregierung und die Europäische Union, den Übergang zu einer verfassungsgemäßen Ordnung nach Kräften zu unterstützen und dabei die eigenen Strategien im Umgang mit den Krisen im Sahel zu reformieren. Konkret heißt es darin, man solle die aktuelle Situation als Chance betrachten, die es Mali ermöglichen kann, politischen Stillstand zu überwinden und dem Absinken des Landes in immer mehr Gewalt entgegenzuwirken. Allerdings müssten die Bundesregierung und die EU auch das eigene Engagement in Mali auf allen Ebenen kritisch überprüfen. Dazu gehöre, „anzuerkennen, dass Ertüchtigung (Militärkooperationen, die sich auf Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe richten) und Truppenentsendungen keinen nachhaltigen Frieden in Mali gebracht haben. Stattdessen sollten in der zukünftigen Kooperation zivile Friedens- und Dialoginitiativen in den Mittelpunkt friedenspolitischer Bemühungen gestellt werden. Gleichwohl ist zu klären, wie bzw. durch wen der – ggf. auch militärische – Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet werden kann.“ Die Bundesregierung und die EU – so die zentrale Forderung des Bündnisses - sollten die malische Übergangsregierung in die Pflicht nehmen, mit einem klaren Fahrplan und Zeitrahmen - unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft - politische und institutionelle Reformen einzuleiten. Diese müssten die Bedürfnisse der Bevölkerung in den Vordergrund stellen und die Ergebnisse des ‚Dialogue National Inclusif‘ (2019), der ‚Conférence d'Entente Nationale‘ (2017) und des Friedensvertrags von Algier (2015) berücksichtigen. Dabei fordert Fokus-Sahel, die EU möge „auf eigene Sanktionen, wie Aussetzung von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit“ verzichten und sich dafür einsetzen, dass die von ECOWAS erlassenen wirtschaftlichen Sanktionen und Grenzschließungen aufgehoben werden. Allgemeine Wirtschaftssanktionen seien nicht zielführend, weil sie die verarmte Bevölkerung träfen. Sanktionen müssten sich „ggf. gezielt auf die Machthaber und deren Umfeld richten, um Druck auszuüben, die Machtübergabe an demokratisch legitimierte zivile Strukturen vorzubereiten und umzusetzen“. Um den Übergang zu schaffen, benötige das Land Mittel um die Wirtschaft zu stärken und bessere Einkommensmöglichkeiten für die Bevölkerung zu schaffen. Gelder, die von den bisherigen Machthabern veruntreut und auf Konten in Europa transferiert wurden, sollten eingefroren und an den malischen Staat zurückerstattet werden. Entwicklungsgelder müssten substanziell aufgestockt werden und der Bevölkerung zugutekommen, die mehrheitlich von der Land- und Viehwirtschaft lebe. Entwicklungszusammenarbeit müsse in Zukunft jedoch auch mit mehr Kontrolle erfolgen, um Veruntreuung vorzubeugen.
EU-Verteidigungsminister ratlos
Bei ihrem Treffen in Berlin am 26.8.2020 standen die Verteidigungsminister*innen der EU-Mitgliedstaaten angesichts der Entwicklung in Mali ratlos vor der Frage, was aus den laufenden EU-Operationen in der Sahel-Region nun werden soll. Die Ausbildung von Militär (EUTM) und Polizei (Eucap) in Mali, wo die UN zugleich die Stabilisierungsmission MINUSMA unterhält, gilt als die bedeutendste EU-Mission - in beiden spielt auch die deutsche Bundeswehr eine bedeutende Rolle. Der Umsturz in Mali ging von der Militärakademie in Kati aus, der zentralen Anlaufstelle für die internationalen Ausbilder. Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer gab zu, dass führende Akteure des Putsches Ausbildungen in Frankreich und Deutschland absolvierten. Der EU-Außenbeauftragte Borrell hingegen argumentiert, dass die EU keinen der vier Anführer ausgebildet habe, dies sei vielmehr in Russland, den USA und im Vereinigten Königreich geschehen: „Wir fühlen uns nicht im Geringsten für diesen Staatsstreich verantwortlich“ zitiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Außenbeauftragten, man habe 90% der malischen Armee (18.000 Soldaten) ausgebildet und wolle diese Arbeit fortsetzen. Da das Mandat der EU-Missionen nur die Zusammenarbeit mit legitimen Behörden erlaubt, entschloss man sich jedoch, die Kooperation vorerst auszusetzen. EU-Verantwortliche hoffen nun, dass ECOWAS-Vermittler die Putschisten von dem Plan abbringen, das Land drei Jahre lang zu regieren. Sie bestehen jedoch nicht mehr darauf, dass die bisherige Führung wieder eingesetzt wird, und sprechen von einem „politischen Prozess im Einklang mit den Aspirationen der malischen Bevölkerung.“