Mit der Corona-Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen ergeben sich neue Herausforderungen für die Umsetzung der Agenda 2030 und für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung. Im April 2020 schätzten die Vereinten Nationen (UN), dass die Entwicklungsländer zusätzliche Finanzhilfen in Höhe von 2,5 Billionen US-Dollar benötigen, um die Folgen der Krisen zu bewältigen. Diese enorme Summe wird gebraucht, weil der zusätzliche Ausgabenbedarf - unter anderem für Gesundheitsdienste und soziale Grundsicherung - mit einem gleichzeitigen Zusammenbruch aller traditionellen Quellen der Entwicklungsfinanzierung zusammenfällt: Steuereinnahmen, Exporteinnahmen, Rücküberweisungen von Migrant*innen, ausländische Direktinvestitionen und auch die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) geht in einigen Ländern zurück. Die Folgen der zweiten Welle der Pandemie sind hier noch gar nicht eingerechnet.
UN Politikdialog zu 'Financing for Development in the Era of COVID-19 and Beyond'
Mit konventionellen Methoden ist diese Summe nicht aufzubringen. Die Regierungen Kanadas, Jamaikas und der UN-Generalsekretär starteten im Mai 2020 einen informellen Politikdialog in den Vereinten Nationen zum Thema "Financing for Development in the Era of COVID-19 and Beyond". Der Auftakt war ein High-Level Event, bei dem Deutschland durch Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich vertreten wurde.
Anschließend haben über den Sommer hinweg sechs thematische Arbeitsgruppen bei den Vereinten Nationen virtuell getagt. Es diskutierten Regierungsvertreter aus dem globalen Norden und Süden mit Experten der Internationalen Finanzinstitutionen und mit Nichtregierungsorganisationen folgende Themen: Auslandsfinanzierung (Entwicklungshilfe und Kapitalmärkte), Arbeitsmärkte und inklusives Wachstum, wirtschaftliche Erholung und Reform für Nachhaltigkeit, globale Liquidität und Finanzstabilität, Staatsschuldenkrisen, Beteiligung der Gläubiger des Privatsektors bei Entschuldungsmaßnahmen sowie Steuerflucht und illegale Finanzströme.
Die Arbeitsgruppen legten den Finanzministern im September ein 132-Seiten starkes Menu of Options vor. Anschließend wurde den Staats- und Regierungschefs ein leicht korrigiertes Menu of Options vorgelegt mit mehr als 200 Politikvorschlägen für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung. Zusammen genommen würden die Politikoptionen den Finanzierungsbedarf mehr als decken und auch eine überfällige Reform der internationalen Finanzarchitektur einleiten, die eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg der Agenda 2030 ist. Die Frage ist nun, wie die Empfehlungen umgesetzt werden können.
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht war dieser Prozess wichtig und vielversprechend. Ausgewählte Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter Brot für die Welt, waren in allen Arbeitsgruppen mit beteiligt und konnten einen Teil ihrer Positionen einbringen. Doch reichen die im „Menu of Options“ vorgeschlagenen Maßnahmen bei weitem nicht aus, um die Krisen zu bewältigen. Die Staaten müssten ihre Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte, ihre Initiativen zur Lösung der Staatsschuldenkrisen vieler Entwicklungsländer und die internationale Steuerkooperation deutlich verbessern. Außerdem sind höhere öffentliche Entwicklungshilfeleistungen erforderlich, die gezielter auf Armutsreduzierung in den ärmsten Ländern gerichtet sind. Zudem bedarf es klarer Ziel- und Rahmensetzungen, wenn öffentliche Mittel für die Förderung der Privatwirtschaft eingesetzt werden.
Eine Analyse und Bewertung innovativer politischer Optionen
In einen neuen Briefing Paper haben das Global Policy Forum, Brot für die Welt und Misereor einige der vielversprechendsten und innovativsten Vorschläge ausgewählt, die das größte Potenzial haben, die für die Erreichung der Ziele benötigten Ressourcen aufzubringen. Dazu zählen folgende Themen: Ausgabe und Umverteilung von IWF-Sonderziehungsrechten, Schaffung von fiskalischem Spielraum durch faire Entschuldungsmechanismen, Steuerprogression und Erweiterung der Steuerbasis, neue multilaterale Finanzierungsfazilitäten (wie Resilience Fund, Social Protection Fund) und entwicklungsfördernde Privatinvestitionen. In diesem Papier werden sie beschrieben, erläutert und bewertet.
Was sind die nächsten Schritte?
1. Nichtregierungsorganisationen, darunter Brot für die Welt, fordern eine ausreichende Finanzierung für die von der COVID-19-Krise am stärksten betroffenen armen Länder sowie eine Reform der internationalen Finanzarchitektur hin zu mehr Resilienz. Um diesen Zielen ein Stück näher zu kommen, schlagen sie einen offiziellen politischen Verhandlungsprozess vor, der konkrete Beschlüsse fassen kann. Ein solcher Prozess könnte durch die Einberufung eines UN-Wirtschaftsreform-Gipfels erreicht werden.
2. Der in diesem Jahr gestartete Diskussionsprozess bei den Vereinten Nationen sollte im nächsten Jahr weitergeführt werden, um den politischen Austausch zu den drängenden Problemen der Krisen zu unterstützen.
3. Die bestehenden UN-Prozesse müssten gestärkt werden, insbesondere „Financing for Development Forum“ des ECOSOC, das jährlich im April stattfindet. Das Forum sollte zu einem effizienten Entscheidungsgremium für relevante Themen der Entwicklungsfinanzierung und internationalen Finanzpolitik transformiert werden. Der jährliche Bericht der bereits bestehenden „Inter-Agency Task Force Task Force on Financing for Development“ könnte dazu beitragen, einige der politischen Konzepte des „Menu of Options“ weiter auszuarbeiten.
Die in diesem Papier vorgestellte Auswahl an politischen Optionen hat ein enormes Potenzial, neue Finanzquellen für Entwicklung zu mobilisieren und Ressourcen für Entwicklung und öffentliche Güter freizusetzen, die anderswo gebunden sind. Die Arbeit an der Reform der internationalen Finanzarchitektur ist grundlegend, um sie für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft fit zu machen. Diese Reform hat in den letzten Jahrzehnten hat kaum Fortschritte gezeigt und die Governance-Lücken sind größer geworden mit der Folge, dass die Welt anfälliger geworden ist für externe Schocks, wie zum Beispiel durch eine Pandemie.