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Zum Tod von Otfried Nassauer

In der Nacht zum 2. Oktober ist Otfried Nassauer in Berlin verstorben, einer der versiertesten Friedensforscher im Bereich von Rüstung und Militärstrategien. Er war ein geschätzter Berater für Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Faktensammeln war seine Leidenschaft, aber kein Selbstzweck - all das kam vor allem der Friedensbewegung zugute; darin war er einzigartig und bleibt er unersetzlich.

Von Dr. Martina Fischer am
Kunstaktion gegen Rüstungsexporte

Kundgebung der Aktion Aufschrei gegen Rüstungsexporte

Es war in den 1980er Jahren, als sich unsere Wege erstmals kreuzten, im Zuge der Friedensaktivitäten rund um die NATO-Nachrüstung. Später in den 1990er Jahren zogen wir an einem Strang in einem Kreis von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die Alternativen zur herrschenden (Un-)sicherheits-politik formulierten und nach dem Ende des Ost-Westkonflikts kooperativen Formen der Konfliktbearbeitung auf der internationalen Bühne den Weg bahnen wollten. Es galt also, politische Mandats- und Entscheidungs-träger*innen für atomare Abrüstung, striktere Kontrolle von Rüstungsexporten und einen Umbau der Bundeswehr zu gewinnen, und sie vom Vorteil der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung zu überzeugen. Otfried Nassauer hat sich seither zu einem anerkannten Militärexperten entwickelt und die Debatten um die deutsche und internationale Sicherheitspolitik ganz maßgeblich mitgeprägt.

Mit Leidenschaft und Liebe zum Detail

In der deutschen Friedensbewegung gab es vielfältige Bemühungen, die Triebkräfte der Rüstungsdynamik zu verstehen, Fakten zu generieren und Alternativen zur Abschreckungslogik zu formulieren. Aber Otfried brachte eine Kombination von Fähigkeiten mit, die niemand sonst in dieser Intensität aufzubieten hatte: eine besondere Leidenschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen, und eine beeindruckende Detailgenauigkeit, die dazu führte, dass man sich Zeit nehmen musste für seine Funde und Erläuterungen. Aber dafür wurde man stets mit 100-prozentig zuverlässiger Information und ungeahnten neuen Impulsen belohnt. Denn Otfried war immer den neuesten Entwicklungen auf der Spur, noch bevor andere überhaupt Wind davon bekamen. Seine Stärken bestanden in der Bereitschaft, alles zu hinterfragen, und in einer bewundernswerten Beharrlichkeit, mit der er schwer zugängliche Quellen auftat, in Bergen von Dokumenten stöberte und das weltweite Netz durchforstete. Sein Wissen stellte er, journalistisch aufbereitet, renommierten Medien wie z.B. der ARD-Sendung Monitor und dem NDR-Magazin Streitkräfte und Strategien zur Verfügung. Auch in diversen Printmedien hat er regelmäßig veröffentlicht. ImBerliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), das er 1991 mitgründete und seither leitete, publizierte er fortlaufend Studien zu aktuellen sicherheitspolitischen Fragen. Seine außergewöhnliche Fachkompetenz lässt sich wohl daran ablesen, dass politische Mandats- und Entscheidungsträger*innen aus ganz unterschiedlichen Parteien seinen Rat einholten.

Impulse für kirchliche Hilfswerke und ökumenische Initiativen

Die Bedeutung seiner Recherche-, Beratungs- und Publikationstätigkeit wurde in den letzten Tagen von Kooperationspartnern aus der Forschungs-, Politik- und Medienlandschaft ausgiebig gewürdigt (das Netzwerk Friedenskooperative hat diese Nachrufe gesammelt und verlinkt). Aber Otfried Nassauer war nicht nur eifrig darin, politische Prozesse auf der Ebene von Parlament und Regierung zu beeinflussen, sondern er teilte sein Wissen vor allem mit Akteuren der Zivilgesellschaft. Er war unter anderem Mitglied der „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung“, in der seit Ende der 1990er Jahre Initiativen aus der Friedens-, Menschenrechts-, und Entwicklungszusammenarbeit kooperieren, um ihre Fähigkeiten zu bündeln und gemeinsame Lobbystrategien für zivile Politikansätze zu entwickeln. In der christlichen und säkularen Friedensbewegung hatte Otfried eine Menge Fans. Auch die friedenspolitische Arbeit kirchlicher Hilfswerke und ökumenischer Initiativen profitierte von seiner Expertise.

„…. dazu müssen wir dringend mal Otfried befragen“

– war eine häufig geäußerte, einvernehmliche Schlussfolgerung im Friedensteam von Brot für die Welt, wenn es um die Einschätzung komplexer strategischer Zusammenhänge und rüstungspolitischer Entscheidungen ging. Regelmäßig funkten wir ihn an, wenn es galt, widersprüchliche Zahlenangaben bei den weltweiten Rüstungsausgaben zu entwirren.

Dass Otfried nicht nur investigative Recherchemethoden gelernt, sondern auch Theologie studiert hatte, war wohl nur seinen engeren Mitstreiter*innen bekannt. Aber seine Kontakte in Kirchenkreisen und der christlichen Friedensbewegung waren vielfältig. Bei Tagungen der Evangelischen Akademien war er regelmäßiger Gast und Inputgeber. Eine seiner letzten Veröffentlichungen (in Kooperation mit der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden und weiteren ökumenischen Akteuren) umfasste höchst informative Beiträge zur Vorverlagerung der EU-Außengrenzen und zur Problematik von Waffenexporten bei der Migrationsabwehr. Zum Thema Rüstungsexporte hat er die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) regelmäßig beraten. Auch im Referat Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt haben wir zu diesem Thema seit Jahren eng mit ihm kooperiert.

Otfried wurde 64 Jahre alt. Sein Tod kam für uns völlig unerwartet. Wir haben einen großartigen Partner, Rat- und Impulsgeber verloren – einen unermüdlichen friedenspolitischen Mitstreiter und einen guten Freund. Wir trauern um ihn. Wir hoffen, dass er seinen ganz persönlichen Frieden findet und Gott ihn auf dieser Reise behütet.

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