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Das Scheitern des UN-Welternährungsgipfels

Der UN-Welternährungsgipfel beendet heute einen enttäuschenden zweijährigen Prozess, der großspurig im Schlepptau der Agrarindustrie eine „Transformation der Ernährungssysteme“ verkünden wollte. Ein Interview mit Sofia Monsalve von FIAN erläutert, welche negativen Wirkungen für die Zukunft der Hungerbekämpfung neu geschaffene Strukturen haben, die Menschenrechte nicht in den Mittelpunkt stellen.

 

Von Francisco Marí am
""Sofia Monsalve""

Brot für die Welt und Hunderte von Organisationen von Nahrungsproduzent:innen, aber auch Wissenschaftler:innen und NROs haben aus Protest nicht an diesem UN-Gipfel (UNFSS) teilgenommen und eigene Aktivitäten angeboten. Der Gipfel wird am Abend mit unverbindlichen freiwilligen Selbstverpflichtungen von Agrarindustrie, Staaten und internationalen NROs enden, die der UN-Generalsekretär, dann in einer noch unverbindlicheren selbstverfassten Schlusserklärung als „großen“ Erfolg der Weltgemeinschaft verkaufen wird.

Stig Tanzmann, Landwirtschaftsreferent bei Brot für die Welt interviewt Sofia Monsalve, Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation FIAN International und Mitglied im Internationalen Beirat von Brot für die Welt.

Stand die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung im Mittelpunkt des UN-Welternährungsgipfels (UNFSS)?

Sofia: Die UN ist dazu verpflichtet im Rahmen der UN-Charta (Internationale Menschenrechtscharta) zu agieren. Wir haben aber gesehen, dass das gar nicht geschehen ist. Ganz im Gegenteil, wir haben uns sogar mehr davon wegbewegt, wo wir einmal waren. Obwohl rhetorisch auf das Recht auf Nahrung Bezug genommen wird, spielt es in Wirklichkeit keine wichtige Rolle. Wenn man diesen Gipfel menschenrechtlich ausrichten hätte wollen, hätte man ihn ganz anders planen müssen.

Wie hätte man einen Gipfel planen sollen, der auf dem Recht auf Nahrung und seiner Umsetzung aufbaut, gerade hinsichtlich steigender Zahlen von hungernden Menchen?

Sofia: Man hätte die Betroffenen (also die Rechtssubjekte) von Anfang an miteinbeziehen müssen und ihnen einen Raum geben sollen, wo sie sich selbst organisieren können, um dann gemeinsam am Gipfel teilnehmen zu können. Das ist keine Träumerei, das hat so schon oft stattgefunden. Die FAO und das UN-Welternährungskomitee (CFS) haben solche UN-Veranstaltungen bereits zuvor durchgeführt. Der erste Schritt wäre gewesen, dass Betroffenengruppen die Agenda auch mitbestimmen können. Dadurch wären wichtige Themen festgelegt worden, die hätten diskutiert werden müssen. Aber beim UNFSS ist das Gegenteil passiert. Die Gipfel-Organisatoren haben sich lieber darauf konzentriert machtvollen Akteuren Platz zu geben, um mit ihnen die Agenda vorzubereiten. Der Gipfel wurde auch nicht zwischenstaatlich organisiert. Es wurden zu Beginn eine Handvoll von Akteuren eingeladen, wie das Weltwirtschaftsforum und das World Business Council for Sustainable Development, Initiativen wie GAIN (Industrieallianz für Lebensmittelanreicherung), SUN (Scaling-up Nutrition) und Stiftungen (Rockefeller und Gates). Sie alle haben eine maßgebliche Rolle in der Festlegung der Agenda gespielt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass bestimmte Staaten oder Länder, insbesondere die europäischen Regierungen, ebenfalls Einfluss ausgeübt haben. Diese Beeinflussungen führten dazu, dass die UN eher der Agenda der transnationalen Konzerne folgt, als die Menschenrechte von Hungernden und Mangelernährten in den Vordergrund zu stellen.

Wie hat der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung auf den Gipfel reagiert?

Sofia:
Der UN-Sonderberichterstatter, Michael Fakhri, hat eine sehr wichtige Rolle gespielt. Er hat von Anfang an aktiv am Gipfel teilgenommen und war dort eine kritische Stimme. Er wollte innerhalb des Gipfels eine kritische, aber konstruktive Rolle spielen. Es war sehr beeindruckend, wie er das getan hat und wie er dabei seine Unabhängigkeit bewahrt hat, also wie er im Gespräch mit vielen Akteuren trotzdem seinem Mandat treu geblieben ist. Am Anfang hatte der Gipfel nichts mit Menschenrechten zu tun. Aber durch seine Intervention wurde dann eine Arbeitsgruppe, eine sogenannte „Levers of Change“, gegründet, die sich unter seiner Leitung mit Menschenrechten befasste. Das stimmte ihn positiv, dass mit einem konstruktiven, kritischen Dialog doch wichtige Veränderungen im Gipfelprozess erwirkt werden können. Aber im Laufe der Zeit und zuletzt im Vorgipfel war er sehr vom Prozess enttäuscht, weil das Programm im Vorgipfel zu Menschenrechten ohne ihn gemacht wurde. Wie kann das sein? Er hat diese Arbeitsgruppe geleitet und irgendjemand anderes hat sie einfach übernommen. Ich denke, er hat wichtige Themen zu Menschenrechten artikuliert und immer wieder daran erinnert, was es bedeutet, ernsthaft einen Menschenrechtsansatz zu verfolgen und umzusetzen. Es ist wichtig, dass jemand im UNFSS-System auch daran erinnert und darauf beharrt hat. Ich denke, dass sein letzter Bericht sehr nützlich ist. Er macht eine kritische Analyse vom Gipfel und gibt Regierungen Empfehlungen, was sie mit den Ergebnissen vom Gipfel machen sollen. Aber er bleibt fest an den Themen dran, die die Leute am meisten kümmern, und das ist natürlich Covid-19 und andere strukturelle Probleme, die wir kennen.

Wenn wir jetzt wieder auf die UN-Ebene schauen, da wurde uns mehrmals gesagt, dass es ein eimaliger Gipfel ist, und jetzt soll es doch einen Folgeprozess in den Strukturen der in Rom ansässigen UN-Organisationen geben. Wie bewertet ihr diese Entwicklung bei FIAN, entsteht da eine Parallelstruktur, um die Welternährungsarchitektur umzugestalten?

Sofia: Wir rechnen damit, dass der Vorschlag des Generalsekretärs in seiner heutigen Abschlusserklärung für eine zukünftige Koordinierungsstelle als Nachfolge des UNFSS in Rom ein Versuch sein könnte, die UN-Organisationen in Rom, also das CFS und vielleicht auch die FAO auszuhöhlen oder in ihren Grundsätzen so zu verändern, dass sie sich dem industrienahen UNFSS-Ansatz anpassen. Das ist nicht richtig, denn das CFS ist eine Institution mit Regeln und einem beschlossenen Arbeitsplan. Ein UNFSS-Nachfolgeprozess kann nicht einfach in Rom auftauchen und sagen: Ab heute machen wir neue Aktionsbündnisse (Coalitions of Actions)! Das geht nicht! Aber das ist das, was sie vorhaben. Leute mit Geld werden kommen, zum Beispiel Stiftungen, die sagen, für dieses Aktionsbündnis legen wir so und so viel Geld auf den Tisch und damit sind wir bei unserem stärksten Kritikpunkt an dem ganzen Prozess: der Zugriff der Agrarindustrie auf die Architektur der Welternährung („Corporate Capture“). Das finden wir extrem problematisch. Die FAO scheint sich darauf vorzubereiten, aber nochmal, auch die FAO hat Regeln und beschlossene Arbeitspläne. Es scheint jedoch, dass sie bereit wären diese zu umgehen und diese Aktionsbündnisse einfach so umformulieren, um sie in ihre Arbeit zu integrieren. Dann würde es so aussehen, als ob diese Aktionsbündnisse Teil der geschlossenen Arbeitspläne der FAO sind. Es ist eine Aushöhlung oder Destabilisierung von bestehenden Strukturen, die dazu benutzt werden, um diese neuen Pläne zu verwirklichen.

Ist es in dieser Situation überhaupt noch möglich das CFS, das das menschenrechtlich inklusivstes UN-Gremium ist, in Zukunft zu stärken?

Sofia: Das ist eine sehr schwierige Frage. Darüber zerbrechen wir uns gerade auch den Kopf, also was wir damit meinen, wenn wir sagen, wir verteidigen das CFS. Eine Sache, die geschehen müsste, wäre, dass sich das CFS wirklich der Covid-19 Thematik annimmt. Dafür haben wir gekämpft und kämpfen wir immer noch, und das ist die oberste Priorität für die Gruppen im zivilgesellschaftlichen Mechanismus (CSM). Die andere Sache ist: Wir müssen ernsthaft auch über den bereits bestehenden Unternehmenszugriff (Corporate Capture) im CFS und der FAO diskutieren. Es braucht dringendst Schutzmaßnahmen gegen Interessenskonflikte. Und wir wissen, dass das ein schwieriges Thema ist, aber es muss auf die Agenda der Rom-Institutionen kommen.

Waren die letzten zwei Jahre verlorene Jahre für die Realisierung des Rechts auf Nahrung?

Sofia: Institutionell gesehen ja, denn es wurden auch Kapazitäten abgebaut. Aber wir sehen wichtige Prozesse in Gange, v.a. die erhöhte Aufmerksamkeit für die Verbindung von Gesundheit und Ernährung und zwar nicht nur bei den Ernährungsexpert:innen, sondern auch an der Basis. Ihr kennt wahrscheinlich die Berichte von kleinbäuerlichen Organisationen und von indigenen Völkern? Sie mussten sich solidarisch in der Covid-19 Pandemie organisieren, weil es nichts zu essen gab. Ich kenne Berichte aus vielen Ländern von Suppenküchen und anderen Maßnahmen, da ist sehr viel Kreativität am Werk. Die Ernährungssysteme haben angefangen sich zu wandeln. Das sehen wir zum Beispiel in Initiativen einer solidarischen Ökonomie. Ich denke, es wird sehr wichtig sein, dass wir solche neuen Initiativen sowie die enorme Nachfrage nach Agrarökologie fördern. Das boomt gerade in großen Städten. Das sind sehr wichtige Entwicklungen. Sie sind sehr zerbrechlich, aber wir müssen sie mit aller Kraft unterstützen und wir müssen die Zusammenführung von unterschiedlichen Bewegungen, wie Klima- und Gesundheitsbewegung oder zu Finanzstrukturen weiter fördern und eine gemeinsame Agenda aufbauen.

Dank an Astrud Beringer, Koordinatorin bei FIAN Deutschland für die Redaktion.

 

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