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Ampel: Fortschritt für Frieden und Entwicklung?

ExpertInnen aus der Zivilgesellschaft diskutierten am 14. Dezember auf Einladung des Forums Ziviler Friedensdienst den Koalitionsvertrag. Es wurden positive Überraschungen, aber auch Defizite benannt. Vor allem beim Ausbau der Zivilen Konfliktbearbeitung hatten alle mehr erwartet. Hier sollte sich die Zivilgesellschaft ins Zeug legen und konkrete Erwartungen an die Politik formulieren.

Von Dr. Martina Fischer am
Friedenssymbol im Advent

Frieden im Advent

Christoph Bongard (Forum Ziviler Friedensdienst), Simon Bödecker (Ohne Rüstung leben) und Dr. Martina Fischer (Brot für die Welt) diskutierten zum außen- und entwicklungspolitischen Teil des Koalitionsvertrags; Hannah Sanders (Forum ZFD) führte durch das virtuelle Gespräch, zu dem sich mehr als hundert Personen aus der Zivilgesellschaft eingeschaltet hatten.

Rüstungsexportkontrollgesetz – ein Erfolg der Zivilgesellschaft

Alle PanelistInnen begrüßten die Bereitschaft der neuen Regierung, ein Rüstungsexportkontrollgesetz in Deutschland zu erarbeiten. Sie stellten fest, dass die Koalitionäre zu diesem Thema nachgearbeitet haben, denn in dem zuvor veröffentlichten Sondierungspapier las es sich so, als wollten sie das Thema Rüstungsexportkontrolle ausschließlich auf EU-Ebene angehen. NGOs haben seit Jahren gefordert, Deutschland müsse zunächst selbst mit gutem Beispiel – also einem restriktiven nationalen Gesetz – vorangehen, um sicherzustellen, dass keine deutschen Waffen mehr in Krisengebiete gelangen. Dass dieses Anliegen nun Aufnahme in den Vertrag fand, wurde als großer Erfolg zivilgesellschaftlicher Kampagnen, vor allem der Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel gewertet. Auch die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor, die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, und die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung hatten sich beharrlich dafür eingesetzt. Gleichzeitig wurde in der Veranstaltung betont, dass es auf die konkrete Umsetzung ankommt. Um zu verhindern, dass deutsche Waffen in Krisengebiete gelangen, müssten Exporte in Drittstaaten (jenseits von NATO und EU) grundsätzlich verboten werden. Nur mit überzeugender Begründung dürften Ausnahmen von dieser Regel gestattet werden, und es müsste unbedingt ein Verbandsklagerecht etabliert werden, um Zuwiderhandlungen ahnden zu können. Die Ausfuhr von Kleinwaffen in Drittstaaten sei ausnahmslos zu verbieten. Auch die Ankündigung, die Bundesrepublik Deutschland werde einen Beobachterstatus beim Atomwaffenverbotsvertrag einnehmen und auf internationaler Ebene Abrüstungsbemühungen unterstützen, wurde vom Panel begrüßt.

Die Umsetzung der SDGs braucht kohärentes Regierungshandeln

Positiv wurde auch die Zusage gewertet, zukünftig mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens in Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu investieren und davon mehr als ein Drittel für ärmere Länder (LDCs) bereitzustellen. Wenn das eingelöst würde, könnte die EZ deutlich gestärkt werden. Zudem verspricht die Koalition einen ökologischen Umbau der Wirtschaft und neue Wege in der Klimapolitik. Wenn Deutschland einen substanziellen Beitrag dafür leisten will, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, brauche es jedoch konkretere Vorschläge, so wurde betont. Der Ausbau erneuerbarer Energien und der Kohleausstieg bis 2030 seien wichtige, aber kaum hinreichende Schritte. Mit Blick auf globale Klimagerechtigkeit lässt das Koalitionspapier große Defizite erkennen. Zwar kündigt es an, man wolle den jährlichen Beitrag Deutschlands zur internationalen Klimafinanzierung steigern, aber in welchem Umfang wird nicht ausgeführt. Auch zum Umgang mit den Schäden, von denen zahlreiche Länder des Globalen Südens infolge der Klimaveränderung schon heute betroffen sind, wird nichts gesagt. Ein klares Bekenntnis zur konsequenten Ausrichtung der Regierungspolitik an den Zielen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (VN) sucht man vergeblich. Die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) scheinen nur für einzelne Ressorts (z.B. Umwelt und Entwicklung) relevant zu sein, andere Ministerien werden nicht in die Verantwortung genommen. Nur wenn man das Regierungshandeln insgesamt und ressortübergreifend kohärent gestalte, könne man dem Aufruf der VN für ein „Jahrzehnt des Handelns“ gerecht werden.

„Zivile Konfliktbearbeitung“ unterbelichtet – es braucht verbindliche, konkrete Vorschläge

Im Hinblick auf das Thema Zivile Konfliktbearbeitung fiel die Bilanz ambivalent aus. Nachdem vorhergehende Bundesregierungen mit dem Aktionsplan Zivile Krisenprävention (2004) und den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017) den Ausbau der zivilen Instrumente für Gewaltvorbeugung, Konfliktbeilegung und Nachsorge/Aussöhnung außenpolitisch bereits Akzente gesetzt hatten, hatten viele zivilgesellschaftliche Akteure hierzulande gehofft, dass die neue Regierung ebenfalls einen klaren Fokus auf diesen Bereich legen würde. Diese Erwartungen wurden allerdings enttäuscht. Zwar gibt es mit Bezug auf den gesellschaftlichen Frieden im Inneren und bei der internationalen Jugendarbeit überzeugende Zusagen. Da werden beispielsweise Zielkonflikte im Rahmen der ökologischen Transformation, Instrumente zu deren konstruktiver Bearbeitung und die bedeutende Rolle der Zivilgesellschaft benannt, und dass bis 2023 ein Demokratiefördergesetz in den Bundestag eingebracht werden soll. Die Aussagen zur Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen diese Logik jedoch nicht und erweisen sich daher streckenweise als sehr enttäuschend. Im Koalitionspapier ist zwar viel von Menschenrechten die Rede, aber der Fokus auf die Prävention von Gewaltkonflikten und den Ausbau Ziviler Konfliktbearbeitung ist nicht überzeugend ausgearbeitet. Zwar wird das Thema – anders als im Sondierungspapier, in dem das Wort "Frieden" fehlte und in dem auch die vom Bundeskabinett 2017 veröffentlichten Leitlinien der vorhergehenden Bundesregierung keine Erwähnung fanden –  im Koalitonsvertrag nun zumindest erwähnt. Allerdings konnte sich die Ampel hier nur zu mageren fünf Zeilen durchringen. Sie kündigt an, man wolle Planziele für den Ausbau ziviler Ansätze entwickeln. Aber keines der hierzulande existierenden Instrumente für Zivile Krisenprävention und Friedensförderung, die man systematisch personell und finanziell ausbauen müsste, wird beim Namen genannt (dazu gehören zum Beispiel der Zivile Friedensdienst, das Zentrum für Iinternationale Friedenseinsätze, die AG-Frieden und Entwicklung, die Fördereinrichtung Zivik und die Deutsche (Bundes-)Stiftung Friedensforschung, die dringend mit einem höheren Stiftungskapital ausgestattet werden müsste, um ihrem Förderauftrag langfristig nachkommen zu können). Das ist deprimierend, wenn man gegenüberstellt, wieviel Raum die Ausführungen zur Bundeswehr einnehmen und dass es dort sehr konkrete Aussagen dazu gibt, wie die Streitkräfte leistungsfähiger gemacht werden sollen (unter anderem durch die Anschaffung bewaffneter Drohnen). Ein Bekenntnis zum Vorrang und zum vorrangigen Ausbau der Zivilen Konfliktbearbeitung enthält der Koalitionsvertrag nicht und fällt damit weit hinter die Koalitionsvereinbarungen der rot-grünen Regierungskoalitionen (1998ff) zurück. Denkansätze, die Alternativen zu den gängigen Bedrohungswahrnehmungen, zur Flüchtlingsabwehr und zum militärischen Vorgehen im Rahmen der Sicherung des Wohlstands oder in der Bekämpfung von Extremisten entwickeln, sucht man vergeblich, ebenso wie Vorschläge zur Ausgestaltung des Konzepts „menschlicher Sicherheit“ und „menschlicher Entwicklung“, das von den VN etabliert wurde, um Frieden und Gerechtigkeit zu verknüpfen. Leider liefert das Koalitionspapier auch keine Hinweise darauf, wie die Regierung Kohärenz im Regierungshandeln erreichen könnte, was von Zivilgesellschaft und Wissenschaft immer wieder gefordert wurde. Nur durch eine systematische Abstimmung und bessere Zielbestimmung unter den verschiedenen Ressorts (für Auswärtiges, Entwicklung, Inneres, Umwelt, Klima/Wirtschaft/Handel und Finanzen) kann eine menschenrechtskonforme und krisenpräventive Politik gestaltet werden, die sich auf die Beseitigung der Ursachen von Krieg und Gewalt richtet.

Wo beibt das Friedensprojekt Europa?

Es wurde positiv vermerkt, dass die neue Bundesregierung das European Institute for Peace (in Brüssel) unterstützen und das in Berlin etablierte Europäische Kompetenzzentrum für zivile Friedenseinsätze weiter ausbauen möchte, um die zivile Dimension der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU zu stärken. Ansonsten jedoch lassen die Ausführungen zur Auswärtigen Politik der EU sehr zu wünschen übrig. Da ist von einer sicherheitspolitischen und „strategischen Souveränität“ der EU die Rede, ohne dass gesagt wird, wie überhaupt eine gemeinsame Außenpolitik unter den Mitgliedstaaten gestaltet werden kann. Statt dem „strategischen Kompass“ zu folgen, in dem der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ankündigt, Europa müsse die "Sprache der Macht" lernen und militärisch dringend stärker werden, sollte man die EU für die Deeskalation des globalen Krisengeschehens in die Pflicht nehmen und die Mitgliedstaaten für den Ausbau gesamteuropäischer Institutionen für Abrüstung, Krisenprävention und Friedensförderung gewinnen. Dafür wurde nach dem Ende des Ost-Westkonflikts die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geschaffen, die über diverse Institutionen für Rüstungskontrolle und friedliche Streitbeilegung verfügt. Da die Perspektiven ziviler Krisenprävention und Friedensförderung auf nationaler und europäischer Ebene im Koalitionsvertrag völlig unterbelichtet blieben, sollte die Zivilgesellschaft ihre reichhaltige Expertise bündeln und Vorschläge zur Konkretisierung erarbeiten.

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann nachträglich auf youtube verfolgt werden.

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