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Gleichberechtigung ist eine Schnecke

Das geht alle etwas an: Geschlechtergerechtigkeit. Sie ist eine politische und gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Mit unserer Stimme stellen wir die Weichen für die Bedeutung, die Geschlechtergerechtigkeit in der neuen Bundesregierung haben wird.

Von Carsta Neuenroth am
Kundgebung am Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen

Kundgebung am Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen

Weltweit geraten Geschlechtergleichstellung, die Rechte von Frauen und Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) zunehmend unter Druck. Und damit auch sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR). Fundamentalistische und rechte Gruppen und Regierungen benutzen Religion, Kultur und Traditionen, um gegen Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit zu hetzen. Die sozialen Medien erweisen sich als besonders geeignet dafür. Diese Tendenzen gehen einher mit der zunehmenden Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsräume in zahlreichen Ländern. Und das auf allen Kontinenten.

Gleichberechtigung kommt nicht voran

Die COVID-19 Pandemie verstärkt den Druck auf Gleichberechtigung und die Rechte von Frauen und LSBTI und macht die in den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaften innewohnende Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar– auch in Deutschland. Bei uns gibt es in punkto Gleichberechtigung noch reichlich Luft nach oben: Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik noch immer viel zu wenig vertreten. Zurzeit sind nur 31 Prozent der Abgeordneten im Bundestag Frauen.

Männer verdienen noch immer mehr als Frauen. Der Gender Pay Gap beträgt 18 Prozent. Sowohl die private als auch die gesellschaftliche Sorge- und Pflegearbeit wird vorwiegend von Frauen erledigt. Das ist während der Corona-Pandemie deutlich geworden. Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt ist ebenfalls an der Tagesordnung. 2019, waren laut BKA in Deutschland über 141.000 Frauen von Gewalt betroffen, eine Zunahme von 0,7 Prozent im Vergleich zu 2018. Während der Pandemie hat die Gewalt gegen Frauen noch weiter zugenommen. Besonders erschreckend ist die Zahl der Femizide in Deutschland: 2019 starb statistisch betrachtet fast jeden dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners oder ehemaligen Partners.

Weltweit verhindert sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt die Gleichberechtigung

Geschlechterungerechtigkeit und damit zusammenhängende sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt prägt die Gesellschaften weltweit. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben weltweit etwa 35 Prozent aller Frauen in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner erlebt. In den 12 Monaten vor der Corona-Pandemie waren weltweit 243 Millionen Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren häuslicher Gewalt ausgesetzt. Angesichts dieser Situation muss die neue Bundesregierung kontinuierliche Finanzierung zur Unterstützung von Betroffenen sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt gewährleisten. Dazu gehören Bereiche wie Gesundheitsversorgung, Vorbeugung, Rechtsberatung sowie psychologische Beratung und Unterstützung.

Die Pandemie hat verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder mit wirtschaftlicher Not zunimmt. Programme zur Überwindung geschlechtsbasierter Gewalt sollten deshalb auch Maßnahmen, die den Zugang zu Arbeit und Märkten erleichtern, umfassen. Alle auf die Überwindung von Covid-19 ausgerichteten Programmen müssen die Situation von Frauen, Mädchen und LSBTI in der Konzeption, Finanzierung und Umsetzung berücksichtigen.

Sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt ist besonders zerstörerisch, wenn sie als Waffe im Kontext von Konflikten und Kriegen eingesetzt wird. Die neue Bundesregierung muss sich für die Vorbeugung und Verhütung von Konflikten und Gewalt, die Unterstützung von Betroffenen sowie die konsequente und systematische Strafverfolgung von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt einsetzten. Sie hat mit dem im Frühjahr 2021 von der amtierenden Bundesregierung beschlossene Dritten Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 Frauen, Frieden, Sicherheit ein passendes Instrument dafür an der Hand, das allerdings nachhaltig finanziert und umgesetzt werden muss.

Schlüsselakteur:innen treiben Geschlechtergerechtigkeit voran

Die Ungleichheit der Geschlechter ist Ausdruck fest verankerter struktureller Benachteiligung sowie Geschlechternormen und –stereotype, die Männer und Jungen privilegieren und ihnen Macht und Autorität in der Gesellschaft im Allgemeinen und der Familie im Speziellen zuweisen. Gewalt und Diskriminierung sind dabei Mittel, um Kontrolle über Frauen und Mädchen auszuüben und ihre Autonomie und Selbstbestimmung zu untergraben. Auf diese Weise wird Geschlechtergerechtigkeit als ein Kernelement von Demokratie und gesellschaftlicher Teilhabe verhindert. Rechtspopulismus und Antifeminismus verstärken diese Entwicklung. Sie gehen Hand in Hand und bedrohen Gleichberechtigung und Frauenrechte.

Organisationen und Bewegungen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte von Frauen, Mädchen und LSBTI einsetzen, sind Schlüsselakteur:innen, um geschlechterpolitische Anliegen und Forderungen voranzubringen. Durch die Thematisierung und Sichtbarmachung gesellschaftlich verankerter Benachteiligungen und Diskriminierungen, die durch das Zusammenwirken von Zuschreibungen wie Gender, Klasse, Behinderung, Hautfarbe, Religion und Migrationsstatus entstehen, tragen sie zur Überwindung sozialer Ungerechtigkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter und der Umsetzung der Menschen- und Frauenrechte bei. Die zukünftige Bundesregierung muss deshalb Frauen- und LSBTI -Organisationen sowie Menschenrechtsverteidiger:innen sowohl politisch als auch finanziell unterstützen und sich international dafür einsetzen, dass sie in alle Prozesse, in denen Entscheidungen über Gleichberechtigung und die damit verbundenen Rechte gefällt werden, auf Augenhöhe eingebunden werden.

Was wir von der Politik der neuen Bundesregierung erwarten

Brot für die Welt erwartet, dass die neue Bundesregierung Geschlechtergerechtigkeit und die Umsetzung der Rechte von Frauen und Minderheiten auf nationaler Ebene voranbringt und auf europäischer und internationaler Ebene einfordert und mit gutem Beispiel vorangeht. Sie muss menschenrechtskohärente Politik, die auch die Geschlechtergerechtigkeit beinhaltet, sowie demokratische Teilhabe und starke Zivilgesellschaften weltweit fördern und einfordern. Dazu gehört auf bi- und multilateraler Ebene der aktive Einsatz für die schnelle Umsetzung von internationalen Menschenrechtsverträgen und Übereinkommen wie der Frauenrechtskonvention (CEDAW) von 1979, der Pekinger Aktionsplattform, Ergebnis der 4. Weltfrauenkonferenz von 1995, des auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 beschlossenen Kairoer Aktionsprogramms und der Istanbul Konvention des Europarats von 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.

 

Dieser Text ist ein Beitrag in der Reihe #brotfürdiewahl im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Alle weiteren Beiträge finden Sie hier.

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