Die Kampagne #weltweitwichtig von VENRO, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen (NRO) in Deutschland, dem auch Brot für die Welt angehört, nutzt die anstehenden Wahlen, um die Kandidat:innen aller demokratischen Parteien darauf hinzuweisen, was den Menschen #weltweitwichtig ist. Vom 9. bis 15. August steht Geschlechtergerechtigkeit im Mittelpunkt der Kampagne.
Geschlechtergerechtigkeit und Rechte von Frauen, Mädchen und LSBTI weltweit einfordern
Weltweit geraten Geschlechtergleichstellung, die Rechte von Frauen und LSBTI sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR) zunehmend unter Druck. Fundamentalistische und rechte Gruppen und Regierungen benutzen Religion, Kultur und Traditionen, um gegen Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit zu hetzen. Diese Tendenzen gehen einher mit der zunehmenden Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsräume in zahlreichen Ländern auf allen Kontinenten.
Brot für die Welt erwartet, dass die neue Bundesregierung Geschlechtergerechtigkeit und die Umsetzung der Rechte von Frauen und Minderheiten auf europäischer und internationaler Ebene einfordert und mit gutem Beispiel vorangeht. Sie muss menschenrechtskohärente Politik, die auch die Geschlechtergerechtigkeit beinhaltet, sowie demokratische Teilhabe und starke Zivilgesellschaften weltweit fördern und einfordern. Dazu gehört auf bi- und multilateraler Ebene der aktive Einsatz für die schnelle Umsetzung von internationalen Menschenrechtsverträgen und Übereinkommen wie der Frauenrechtskonvention (CEDAW) von 1979, der Pekinger Aktionsplattform, Ergebnis der 4. Weltfrauenkonferenz von 1995, und des auf der Weltbevölkerungskonferenz 1994 beschlossenen Kairoer Aktionsprogramms.
Covid-19-Politik geschlechtergerecht gestalten
Die COVID-19 Pandemie verstärkt den Druck auf Gleichberechtigung und die Rechte von Frauen und LSBTI und macht die in den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaften innewohnende Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung sichtbar. Die neue Bundesregierung muss deshalb bei allen auf die Überwindung von Covid-19 ausgerichteten entwicklungspolitischen Entscheidungen und Maßnahmen die Situation von Frauen, Mädchen und LGBTI in der Konzeption, Finanzierung und Umsetzung berücksichtigen. Das muss mit Hilfe des Gender Mainstreaming geschehen sowie durch spezifische Programme, die ausschließlich auf eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse abzielen. Beide Ausrichtungen sind notwendig, um Covid-19 zu überwinden. Die zukünftige Bundesregierung muss die dafür notwendige Finanzierung zur Verfügung stellen.
Wie das im nichtstaatlichen Bereich aussehen kann, zeigt das Beispiel einer Partnerorganisation von Brot für die Welt in El Salvador. Die Organisation unterstützt seit vielen Jahren lokale Gemeinschaften darin, ihre Ernährungssituation zu verbessern. Diese Arbeit setzt sie während der Pandemie fort. Als weitere Anpassung an die Herausforderungen der Covid-19-Krise hat sie mit Hilfe zusätzlicher Finanzierung die Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt, die während der Krise zugenommen hat, als neuen Arbeitsbereich eingeführt.
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt überwinden
Geschlechtsspezifische Gewalt, besonders gegen Frauen und Kinder ist weltweit bereits in „normalen“ Zeiten ein großes Problem. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit etwa eine von drei Frauen (35 Prozent) in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt, meistens durch ihren Partner, erlebt. Wie in El Salvador, nimmt geschlechtsspezifische Gewalt in der gegenwärtigen Pandemie weltweit erheblich zu. Angesichts dieser Situation muss die neue Bundesregierung kontinuierliche Finanzierung zur Unterstützung von Betroffenen sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt gewährleisten. Dazu gehören Bereiche wie Gesundheitsversorgung, Vorbeugung, Rechtsberatung sowie psychologische Beratung und Unterstützung. Die Pandemie hat verdeutlicht, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder mit wirtschaftlicher Not zunimmt. Programme zur Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt sollten deshalb auch Maßnahmen, die den Zugang zu Arbeit und Märkten erleichtern, umfassen.
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist besonders zerstörerisch, wenn sie als Waffe im Kontext von Konflikten und Kriegen eingesetzt wird. Die UN Resolution 1325 Frauen, Frieden, Sicherheit aus dem Jahr 2000 befasst sich mit dem Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten und ihrer Einbindung in Friedensprozesse und bei der Konfliktprävention. Der im Frühjahr 2021 von der amtierenden Bundesregierung beschlossene Dritte Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 muss von der zukünftigen Regierung nachhaltig finanziert und umgesetzt werden. Vorbeugung und Verhütung von Konflikten und Gewalt, die Unterstützung von Betroffenen sowie die konsequente und systematische Strafverfolgung von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt müssen dabei im Vordergrund stehen.
Frauen- und LGBTI-Organisationen und –bewegungen unterstützen und stärken
Organisationen und Bewegungen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und die Rechte von Frauen, Mädchen und LGBTI einsetzen, sind Schlüsselakteurinnen, um geschlechterpolitische Anliegen und Forderungen voranzubringen. Durch die Thematisierung und Sichtbarmachung gesellschaftlich verankerte Benachteiligungen und Diskriminierungen, die durch das Zusammenwirken von Zuschreibungen wie Gender, Klasse, Behinderung, Hautfarbe, Religion und Migrationsstatus entstehen, tragen sie zur Überwindung sozialer Ungerechtigkeit und der Umsetzung der Menschenrechte bei. Die zukünftige Bundesregierung muss deshalb Frauen- und LGBTI-Organisationen sowie Menschenrechtsverteidiger:innen sowohl politisch als auch finanziell unterstützen und sich international dafür einsetzen, dass sie in alle Prozesse, in denen Entscheidungen über Gleichberechtigung und die damit verbundenen Rechte gefällt werden, auf Augenhöhe eingebunden werden.