In seinem Artikel charakterisiert der Journalist Hannes Koch die Kritik zivilgesellschaftlicher Organisationen, darunter auch Brot für die Welt, am geplanten EU-Mercosur-Abkommen als „problematisch“ und „seltsam aus der Zeit gefallen“. Zwar bemüht Koch sich noch, den Unterschied zwischen rechter und linker Globalisierungskritik zu benennen, unterstellt dann aber, die Kritiker:innen des Abkommens würden sich aus Versehen „Hand in Hand“ mit den Nationalisten von AfD und Front National wiederfinden. Diese Gleichsetzung von kritischer Zivilgesellschaft mit den Verächtern der Demokratie ist mehr als eine missglückte intellektuell-defätistische Fingerübung - sie ist perfide. In Zeiten schwindender Spielräume für zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit, auch in Südamerika, delegitimiert der Autor nicht nur die Arbeit all derer, die sich weltweit unter zum Teil gefährlichen Bedingungen für Demokratie, Umweltschutz und Menschenrechte einsetzen, nein, er unterstellt ihnen eine unwissentliche Kollaboration mit genau denjenigen, die diese kritische Zivilgesellschaft mundtot machen wollen. Wem nützt eine solche Argumentation? Und warum wird unterschlagen, dass sich die Kritik von Brot für die Welt und anderen eben nicht darauf beschränkt, gegen etwas, in diesem Fall das EU-Mercosur-Abkommen, zu sein, sondern konkrete Alternativen zu formulieren? Wir wollen Globalisierung gestalten, nicht verhindern!
EU-Mercosur verstärkt Ungleichgewichte
Wirksamer als derlei krude Windungen ist deshalb eine Auseinandersetzung mit den Inhalten des geplanten Abkommens und seinen Auswirkungen. Nicht die Kritik, sondern das EU-Mercosur-Abkommen ist aus der Zeit gefallen. Schon jetzt weist der Mercosur ein Handelsbilanzdefizit gegenüber Europa auf. Wenn noch mehr billige Rohstoffe aus Südamerika nach Europa kommen und im Gegenzug hochpreisige Industriegüter aus Europa verschifft werden, wird sich dieses wirtschaftliche Ungleichgewicht verstärken. Im Agrarsektor geraten europäische Produzent:innen durch den Import von Billigfleisch weiter unter Druck, während in den Ländern des Mercosur der Einsatz von Pestiziden und die Gewässerverschmutzung ansteigen. Durch den massiven Anbau von Monokulturen wie Soja oder Zuckerrohr als Futtermittel und Energiepflanze verlieren viele Indigene und kleinbäuerliche Familien ihre Existenzgrundlage.
Bolsonaro regiert gnadenlos
Dazu kommt: Jair Bolsonaro ist kein „Unsympath“, wie Hannes Koch es verniedlichend schreibt. Nein, Bolsonaro ist ein rechtsradikaler Autokrat. Seit Beginn seiner Regierungszeit sterben oder verschwinden Menschenrechtsverteidiger:innen, Umweltaktivist:innen und Gewerkschafter:innen, werden zivilgesellschaftliche Organisationen massiv unter Druck gesetzt. Militär und Sicherheitskräfte gehen mit brutaler Gewalt vor. In Rio starben im Jahr 2019 fast 2000 Zivilisten durch Polizeikugeln. Der Amazonas-Regenwald brennt, während gegen Umweltminister Ricardo Salles wegen Korruption im Zusammenhang mit illegalem Holzeinschlag ermittelt wird.
Erfahrungen mit anderen EU-Abkommen
Weil Bolsonaro der Politikertypus ist, der er ist und es genug Profiteure seiner Politik gibt, wird es mit ihm kein EU-Mercosur-Abkommen geben, in dem sanktionsbewehrte Menschenrechts- und Umweltschutzklauseln verankert sind. Dass ein einmal abgeschlossenes Abkommen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu keinem späteren Zeitpunkt verbessert oder verschärft wird, zeigt das Beispiel des Globalabkommens zwischen der EU und Mexiko. Auch bei dessen Revision im Jahr 2020 wurden die Menschenrechtsklauseln nicht verschärft. Die EU treibt weiter munter Handel mit einem Land, in dem allein im Jahr 2020 18.848 Menschen „verschwunden“ sind, und profitiert von den Sonderwirtschaftszonen, in denen Arbeitnehmer:innenrechte keine Gültigkeit haben. Die naive Hoffnung, ein mangelhaftes Abkommen später unter anderen politischen Bedingungen in den Bereichen Menschenrechte und Nachhaltigkeit nachbessern zu können, hat sich in der Realität bisher nicht erfüllt.
Dem Multilateralismus zum Comeback verhelfen
Das EU-Mercosur-Abkommen wird seit über 20 Jahren verhandelt. Es ist von den Entwicklungen in der Realität längst überholt worden. Covid 19 und die Folgen haben die Fragilität einer Hyperglobalisierung gezeigt, in der die Risiken immer weiter externalisiert werden und die Ärmsten und Verletzlichsten zuerst durchs Raster fallen. Nicht erst seit den wirtschaftlichen Folgen von Corona gehen globale Trends in eine andere Richtung. Während in immer mehr europäischen Ländern Lieferkettengesetze verabschiedet werden und die weltweite Klimabewegung die dringliche Notwendigkeit von ambitionierten Zielen im Mainstream verankert hat, will das EU-Mercosur-Abkommen Wohlstand für Wenige mit den Rezepten von Vorgestern schaffen. Autor Hannes Koch will, so beteuert er, mit seiner Argumentation auch eine Lanze für den Multilateralismus brechen. Dieses Ziel eint uns. Warum er aber dann einem megaregionalen Handelsabkommen das Wort redet und es in einem Atemzug mit multilateralen globalen UN-Abkommen wie dem Klimaabkommen von Paris nennt, ist ein Widerspruch, den er nicht aufzulösen vermag. Megaregional ist eben gerade nicht multilateral. Wer in schwierigen Zeiten wirklich dem Multilateralismus zu einem (handels-) politischen Comeback verhelfen will, der muss versuchen, konsequent das Momentum zu nutzen, das eine neue US-Administration und eine neue WTO-Chefin jetzt mitbringen. Eine globale Handelspolitik, die sich konsequent an der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen ausrichtet, wäre eine wirkliche Neuverhandlung der wirtschaftlichen Globalisierung. Ein EU-Mercosur-Abkommen mit hohen Standards, sanktionsbewehrten Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsklauseln, abgeschlossen mit demokratischen Partnern, wäre die zweitbeste Lösung. Beides wäre allemal lohnender als eine europäische Handelspolitik, die Bolsonaros autokratische und zerstörerische Politik jetzt auch noch belohnt.