Interview

Honduras: Goldabbau kennt keine Pietät

Goldbergbau und Wasserkraftwerke auf Gemeindeland, wer sich weigert wird bedroht, kriminalisiert oder ermordet, wie zum Beispiel Berta Cáceres, gewaltsamen Verschwinden Lassen ausgesetzt, wie Mitglieder der Garifuna Gemeinschaft. Was bedeutet das Escazú Abkommen in diesem Zusammenhang? Warum fordern zivilgesellschaftliche Organisationen die Ratifizierung durch den Staat ein?

Von Gastautoren am
Vor nichts Halt machen

Der Dorffriedhof wird angegraben

Gerold Schmidt ist freier Journalist und Übersetzer. Im Kontext des Escazú-Abkommens führte er mehrere Interviews mit Partnerorganisationen von Brot für die Welt zu den Themen Menschenrechtsverteidiger*innen, Umwelt, Naturressourcen und Rechte indigener und bäuerlicher Gemeinden.

In diesem Interview spricht er mit Ramiro Lara und José Ramón Ávila. Beide sind langjährige Mitarbeiter der ASONOG, der Vereinigung der Nichtregierungsorganisationen von Honduras. José Ramón übernahm 2008 die Leitung von ASONOG, nachdem sein Vorgänger aufgrund von Drohungen das Land verlassen musste. José Ramón versucht, nah an den kleinbäuerlichen und indigenen Gemeinden in Honduras zu bleiben, denn „dort geschehen die größten Menschenrechtsverletzungen. Ermordungen, Verfolgungen, Inhaftierungen von Menschen, deren einziges Verbrechen darin besteht, ihre Bevölkerung und ihre Lebensgrundlage zu verteidigen“. Ramiro Lara koordiniert den Arbeitsbereich für die Begleitung von Gemeinden und Organisationen beim Schutz des Territoriums und der Menschenrechte. Er beschäftigt sich intensiv mit den Problemen von Bergbaukonzessionen und Staudämmen, aber auch der Frage der Ernährungssicherheit und des Klimawandels.

Gerold Schmidt (G.S.): Die Umweltproblematik sowie die Verfolgung von Umweltaktivist*innen und Menschenrechtler*innen machen das Escazú-Abkommen in Honduras besonders aktuell. Das Land gehört zu der Reihe von Staaten, die das Abkommen unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben. Wird Escazú derzeit öffentlich debattiert? 

Ramón Ávila (J.R.A): Nun, das Escazú-Abkommen wird diskutiert, aber eher innerhalb der Zivilgesellschaft. Es ist kein Thema, das von der Regierung kommt. Der Grund ist ziemlich offensichtlich: Die Regierung hat das extraktivistische Modell als ein Entwicklungsmodell angenommen. Sie glaubt, mit der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wird das Land die Armut überwinden. Wir wissen, dass das nicht der Fall ist. Nicht einmal der Staat profitiert wirklich davon. Es sind die transnationalen Unternehmen, die in Absprache mit den Politiker*innen und dem Funktionärsapparat die größten Gewinne erzielen.

(G.S.): Die ASONOG hat sich intern und bei der ASONOG nahestehenden Organisationen stark für die Ratifizierung des Escazú-Abkommens eingesetzt. Macht es in der aktuellen politischen Situation überhaupt Sinn, diese Linie zu verfolgen?

Ramiro Lara (R.L.): Escazú hat die Zahl der Ratifizierungen erreicht, um in Kraft zu treten. Deshalb sollte die Regierung sich in der Pflicht sehen, auch etwas zu tun und Inhalte dieses Abkommens umzusetzen. Aber sie hat auch andere internationale Verträge unterzeichnet, zum Beispiel die ILO-Konvention 169. Wir sehen, dass in der Praxis kein Interesse oder Wille besteht, die dort festgelegten Verpflichtungen einzuhalten. Wir zivilgesellschaftliche Organisationen machen trotzdem Druck. Das Escazú-Abkommen gibt uns ein weiteres Argument an die Hand und mehr rechtlichen Rückhalt auf internationaler Ebene für die Verteidigung der Menschenrechte und des Territoriums.

(J.R.A.): Ich glaube ebenfalls, der Vorstoß der Zivilgesellschaft macht Sinn. Schlicht, weil es einen dringenden Bedarf im Land gibt. Unser Land steht lateinamerikaweit an fünfter Stelle, wenn wir von der Zahl der ermordeten Umweltschützer*innen sprechen. In Mittelamerika belegen wir Platz Eins. Grundsätzlich gilt: Ob das Abkommen ratifiziert wird oder nicht, es gibt keine Garantie, dass es in Honduras erfüllt wird. Honduras strotzt vor Gesetzen. Wir haben Gesetze für alles, aber in keinem anderen Land werden sie weniger erfüllt als hier.

(G.S.): Es existiert ein offizieller Schutzmechanismus in den Fällen von Bedrohungen. Erfüllt er seine Funktion nicht?

(J.R.A.): In 98 Prozent der Fälle nicht. Der Mechanismus gibt der Bevölkerung keine Garantie auf ihr Leben. Er verhindert nicht, dass Personen vor Gericht gezerrt werden. Letztendlich geht der Staat abgestimmt vor. Der Schutzmechanismus der Menschenrechtsbehörde steht im Einklang mit der Regierungspolitik. In diesem Sinne sind Polizei, Staatsanwaltschaft oder andere Justizinstanzen sehr aktiv, die Interessen der Bergbau- oder Wasserkraftunternehmen durchzusetzen. Aber kaum empfänglich für die Beschwerden der Bürger*innen. Ich gebe Dir ein Beispiel: Von 2016 bis 2020 hatten wir einen langen Kampf in der Gemeinde Azacualpa. Sie liegt im Landkreis Unión in der Provinz Copán. Die Bevölkerung wehrt sich gegen ein Bergbau-Unternehmen, das auch das Gelände des Friedhofes ausbeuten will. Es gab etwa 60 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen und Männer. Sie wurden bedrängt, misshandelt, vor Gericht gebracht, es wurden Todesdrohungen ausgesprochen. Nie nahm die Staatsanwaltschaft für sie Partei. Aber jedes Mal, wenn es eine widerständige Aktion der Bevölkerung wie zum Beispiel die Friedhofsbesetzung gab, waren fünf, sechs, zehn, 20 Strafbefehle die Folge. Automatisch wurde das System in Gang gesetzt, um den Aktionen der Gemeinden entgegenzuwirken.

(G.S.): Da sind wir mittendrin im Fall Azacualpa und beim Bergbaukonzern Aura Minerals/Minosa. Könnt Ihr noch ein paar Worte dazu sagen?

(R.L.): Das Problem hat seinen Ursprung darin, dass der Staat seit 1983 eine Konzession an eine Bergbaufirma aus Copán vergab. Die Konzession wanderte von Bergbaukonzern zu Bergbaukonzern weiter. Derzeit ist sie im Besitz des Unternehmens Aura Minerals/Minosa. Die Gesamtkonzession umfasst 400 Hektar, mit vier Gemeinden. Das Problem bei Azacualpa ist nun, dass Aura Minerals einen Punkt erreicht hat, an dem seine Abbaugebiete erschöpft sind. Übriggeblieben ist der Cerro del Cementerio, der Friedhofshügel. Den sterblichen Überresten zufolge ist es ein alter, seit 200 Jahren existierender Friedhof. Etwa 1 800 Menschen sind dort begraben. Aura Minerals begann vor einigen Jahren dort mit Exhumierungen. Das Unternehmen verknüpfte Entschädigungszahlungen für Häuser mit der Zustimmung zu den Exhumierungen. Damit begann der Konflikt, weil die Familien sich betrogen fühlten. Einige Familien haben aus der Not heraus das Geld genommen und unterschrieben. Die Bewohner*innen von Azacualpa sagen, dass die ersten, die ihre Unterschrift leisteten, die Angestellten des Bergbau-Unternehmens waren. Ihnen wurde gesagt: "Wenn ihr nicht unterschreibt, werden wir euch feuern.“ Diese Mitarbeiter*innen beeinflussten weitere Familien in der Gemeinde, die ebenfalls das Geld nahmen und ihre Zustimmung gaben. In der Folge wurden etwa 150 Leichen exhumiert. Bei denen, die sich widersetzten, ging das Unternehmen bis hin zur Erpressung, wie wir aus Zeugenaussagen von Familien wissen. Das ging dann so: „Sie haben ein krankes Kind. Hier ist ein Scheck über 70 000 Lempiras (aktuell etwa 2 500 Euro). Bringen Sie Ihr Kind ins Krankenhaus oder in die Klinik und tun sie so etwas für Ihr Kind. Die Toten sind schon tot.“ Oder sie wandten sich beispielsweise an Don Manuelito Rodriguez: "Don Manuel, du hast zwei Kinder in den Vereinigten Staaten. Wenn du uns nicht die Erlaubnis gibst, die Leichen deiner Verwandten zu exhumieren, werden wir deine Kinder bei der Einwanderungsbehörde denunzieren, damit sie abgeschoben werden.“ Mit der Begleitung von ASONOG reichte der Gemeinderat am 8. Mai und 22. Juni 2018 zwei einstweilige Verfügungen gegen die Exhumierungen ein. Der Fall ging bis vor das Verfassungsgericht. Das Gericht entschied in diesem Fall zugunsten der Kläger*innen, die Exhumierungen wurden gestoppt. Das Unternehmen unterbrach seinen Betrieb und entließ Beschäftigte. Der Konzern hat den Friedhofshügel wie einen Kegel belassen, der jedoch im Norden und Süden auf etwa 150 Metern angegraben ist. Das fördert Erdrutsche, doch noch ist es dazu nicht gekommen.

(G.S.): Welche Umweltbelastungen gab es?

(R.L.): Das Unternehmen hat seit 2003 mindestens viermal ungefähr 20 000 Gallonen Zyanidwasser in den Lara-Fluss eingeleitet. Dieser ist ein Zufluss des Higuito-Flusses, aus dem wiederum 30 Prozent des Wassers für die Versorgung der 65 000 Einwohner*innen-Stadt Santa Rosa de Copán entnommen werden. Nach Angaben der Gemeindemitglieder verschwanden im Abbaugebiet selbst 14 Wasserquellen, das heißt Brunnen, denen die Menschen Wasser entnahmen und wo die Tiere tranken. Der Abbau findet im Tagebau statt. Auf dem konzessionierten Areal sind drei Hügel verschwunden. Wir sprechen von Hunderttausenden gefällter Bäumen in dieser Zone.

(G.S.): Ihr habt den Einklang von Regierung und Justiz erwähnt. Haben sich die Gerichte bei den einstweiligen Verfügungen nicht ein wenig unabhängig von der Regierung gezeigt?

(J.R.A.): Ich denke, das Urteil der Verfassungskammer ist wirklich eine Ausnahme. Der Unterschied war, dass es so viele Beweise und so viele Informationen gab, so viele Rechte der Gemeinde verletzt wurden, dass es kaum möglich war, anders zu entscheiden. Das Urteil müsste nun ziemlich unangreifbar sein.

(R.L.): Aber im Allgemeinen stecken die Behörden unter einer Decke. Bei mindestens drei Gelegenheiten hat die ASONOG die Freilassung von insgesamt 54 Personen erreicht, denn die Staatsanwaltschaft konnte nicht ein einziges Argument vorbringen, das die Inhaftierung rechtfertigte. Dennoch müssen einige von ihnen sich immer noch jede Woche Freitags bei der Behörde melden und dort Unterschrift leisten. Noch etwas: Die Regulierungsbehörde für den Bergbau, die INHGEOMIN, ist gleichzeitig für die Förderung des Bergbaus zuständig. Sie ist die Behörde, die zu ausländischen Investitionen aufruft. Diese Doppelrolle, das Land für den Bergbau zu öffnen und ihn andererseits zu regulieren, ist unmöglich. Fast immer landen die Mitarbeiter*innen von INHGEOMIN am Ende bei einem Bergbau-Unternehmen und beziehen saftige Gehälter.

(G.S.:) Es existiert die Initiative, Gemeinden für „bergbaufrei“ zu erklären. Was ist aus dem Projekt in diesem schwierigen Kontext geworden?

(J.R.A.): Wir arbeiten weiter daran. Die bergbaufreien Gemeinden sind ein Bürger*inneninstrument, das sehr erfolgreich die Ansiedlung von Bergbauunternehmen verhindert hat. Es ist sehr schwierig, eine Gemeinde in einem Gebiet für bergbaufrei zu erklären, in dem bereits ein Bergbaukonzern tätig ist. Aber der Wert, Gemeinden für bergbaufrei zu erklären, liegt darin, dass dies ein integraler Prozess ist. Die Menschen organisieren sich und lernen die Realität, die Auswirkungen der Arbeit der Konzerne und des Tagesbaus kennen.

(G.S.): Konzessionen gibt es auch für Wasserkraftwerke und sogar Flüsse. Wie muss ich mir das genau vorstellen?

(R.L.): Nehmen wir das Beispiel der Provinz La Paz, wo wir leben. Dort gibt es eine Dame namens Gladys Aurora López. Sie war Präsidentin der Nationalpartei und ist sehr einflussreich in der aktuellen Regierung. Derzeit ist sie Abgeordnete im Bundesparlament und dessen Vizepräsidentin. In La Paz hat sie für mindestens vier Flüsse und Stauwerke Konzessionen erhalten. Derzeit wird bereits das Wasserkraftwerk Aurora I gebaut. Aurora II, Aurora III und Aurora IV sollen folgen. Die Flusskonzessionen gelten für ein bestimmtes Gebiet. Denkbar sind beispielsweise zehn lineare Flusskilometer in dem Bereich, in dem ein Kraftwerk gebaut wird. Wer die Konzession erhält, erwirbt damit alle Rechte zum Schutz und zur Verwaltung dieses Gebietes.

Die indigene Bevölkerung - La Paz ist Territorium der Lencas – wehrt sich dagegen. Sie sagt, „wir haben diese Flüsse die ganze Zeit geschützt, diese Gelände unser ganzes Leben lang betreten, einige von uns arbeiten dort“. Wenn diese Zonen in das Konzessionsgebiet fallen, haben die dort arbeitenden Menschen keinen Zutritt mehr. So umfasst die Konzession Aurora II eine geschützte Zone namens El Jilguero. In der Flusszone ernten die Indígenas Pacayas, Palmiches und Chiquilotes, sammeln sie Feuerholz. Die Konzession für den Bau eines Stauwerkes bietet den lokalen Gemeinden keinerlei Nutzen. Da sie es waren, die sich schon immer um den Fluss gekümmert haben, sollten sie zumindest weniger für den Strom zahlen. Stattdessen existieren in diesen Gebieten Gemeinden ohne jegliche Stromversorgung.

(J.R.A.): Zudem haben die Menschen entlang der Flüsse kleine Parzellen, die sie bewirtschaften und für die sie den Flusszugang nutzen. Ebenso besitzen sie einige Haustiere, eine Kuh, ein Pferd, Schweine, die Wasser brauchen. Wird der Fluss auf zehn oder 15 Kilometer konzessioniert, so ist die nächste Wasserquelle nicht mehr einen, sondern fünf Kilometer entfernt. Zudem beschränkt ein Staudamm die Durchflussmenge des Flusses. Das vom Staudamm flussabwärts fließende Volumen reduziert sich immer mehr. Das hat eine direkte Auswirkung auf die Wasserversorgung für die Gemeinden.

(G.S.): Bei den Wasserkraftwerken wird oft mit der nachhaltigen, erneuerbaren Energie argumentiert. Welche Nachhaltigkeit besteht für die Gemeinden?

(J.R.A.): Ja, das ist richtig. Beim Bau der Dämme wird mit der sauberen Energie argumentiert. Sie sollen auch helfen, die Auswirkungen von Überschwemmungen zu mildern. Es gibt eine ganze Liste mit entsprechenden Bauvorhaben. Das Problem ist das Vorgehen bei der Erteilung der Konzessionen. Das ist der Punkt, an dem der Konflikt entsteht.

(R.L.): Trotz der Widrigkeiten, mit denen die Menschen konfrontiert sind, ist ihr Mut, ihre wilde Entschlossenheit, weiter Widerstand zu leisten, bewundernswert. Zudem schätzen die Menschen die Tatsache, dass Organisationen wie ASONOG oder Brot für die Welt ihren Einsatz stark unterstützen. Die Menschen vor Ort erkennen das an. Sie sagen: „Das sind die Einzigen, die uns beistehen, die uns nicht verlassen, die solidarisch sind.“ Ich möchte die Courage der Menschen herausstellen, obwohl die Regierung ihr Gemeingut und die natürlichen Ressourcen angreift. In Santa Elena La Paz hatte Gladys Aurora bereits Personal und Maschinen am Fluss, der Staudammbau begann. Aber die Räte aus 16 indigenen Gemeinden mobilisierten ihre Bevölkerung. Die Indígenas zwangen das Personal mit Sack und Pack zum Rückzug. Bisher sind die Bauarbeiter nicht mehr zurückgekommen. Sie haben gesehen, dass sie kein leichtes Spiel haben

(J.R.A.): Honduras ist ein Land, das von der Politik, vom organisierten Verbrechen, vom Drogenhandel und von externen Interessen gekidnappt ist. Für uns ist es schwierig, das ans Licht zu bringen. Deshalb ist es für uns extrem wichtig, dass darüber auch internationale Öffentlichkeit entsteht.

 

 

* Gerold Schmidt ist freier Journalist und Übersetzer sowie Diplom-Volkswirt. Berichtet seit 30 Jahren zur politischen und wirtschaftlichen Situation in Mexiko und Mittelamerika. Spezialisiert auf die Themen: Menschenrechte, Klimakrise, Umweltbewegungen, Biodiversität, kleinbäuerliche und indigene Landwirtschaft. Als Fachkraft von Brot für die Welt arbeitete er in den 2010-er Jahren beim Studienzentrum für den Wandel im Mexikanischen Landbau (CECCAM) in Mexiko-Stadt.

 

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