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Jetzt Kurs auf 100% Erneuerbare Energien für alle

Die Energiewende in den nächsten vier Jahren entscheidend voran zu treiben, ist eine der Hauptaufgaben der neuen Bundesregierung. Drastische Energieeinsparungen und ein rasanter Ausbau der Erneuerbaren Energien sind eine Voraussetzung dafür, dass Deutschland einen gerechten Beitrag zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und zur Agenda 2030 leisten kann.

Von Dr. Joachim Fünfgelt am
Floß mit Solarpanel

 

Weltweit führen fossile Energiesysteme zu Ungerechtigkeit. Sie sind für knapp drei Viertel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit Hauptverursacher der Klimakrise. Gleichzeitig ist es mit ihnen zu keinem Zeitpunkt gelungen, alle Menschen mit Energie zu versorgen. Im Gegenteil: Der Zugang zu Energie ist global extrem ungerecht verteilt. 150 Millionen Menschen in Deutschland und Frankreich haben zusammen einen höheren Primärenergieverbrauch als rund 1,2 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Das bedeutet: Der Energiegehalt der in Deutschland und Frankreich eingesetzten Energieträger wie Kohle, Öl, Gas oder auch Sonne- und Windkraft ist höher als in Afrika. Knapp 800 Millionen Menschen weltweit haben noch immer keinen Zugang zu Strom und damit kaum eine Chance, der Armut zu entkommen. Eine globale Energiewende ist also sowohl für das Eindämmen der Klimakrise als auch für das Erreichen der globalen Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) unabdingbar.

Die Zeit ist knapp: Wollen wir die Klimakrise auf 1,5 Grad begrenzen, müssen wir global innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte 100 Prozent Erneuerbare Energien (EE) für alle erreichen. Das ist eine große Herausforderung. Wenn es allerdings politisch wirklich gewollt wird, ist es sowohl technisch als auch wirtschaftlich möglich – so zeigen es viele Studien.

Deutschland als Mutterland der Energiewende sollte dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Dafür muss sich die deutsche Energiepolitik des vergangenen Jahrzehnts fundamental ändern. Statt Begrenzungen wie beim Solardeckel oder der Abstandsregelungen für Windenergie braucht es eine Entfesselung der EE. Dazu müssen die Chancen der Energiewende stärker in den Fokus rücken: Energie in Bürgerhand, saubere Luft, weniger Einfluss für Energiekonzerne, weniger Energieimporte aus fragilen Regionen, mehr Jobs, lokale Wertschöpfung, Klimaschutz, Energiesicherheit, weniger Energieverbrauch – die Liste ist lang.

Eine weitere Blockade der Energiewende darf es daher in Deutschland nicht geben, sonst verliert Deutschland technologisch den Anschluss, verspielt seine internationale Glaubwürdigkeit und lebt weiter auf Kosten der Menschen im Globalen Süden und der künftigen Generationen.

Ein Blick in die Welt zeigt: die Lösungen sind längst da

Strom aus Sonne und Wind ist fast überall auf der Welt die wirtschaftlich günstigste Option. Die Kosten für Solarstrom sind in den zurückliegenden zehn Jahren um rund 90 Prozent, für Windstrom an Land um über 50 Prozent gefallen. Inzwischen ist es sogar günstiger, neue Photovoltaik- und Windanlagen zu bauen, als bestehende fossile Kraftwerke weiter zu betreiben. Das schlägt sich bereits nieder: Schon 2019 waren 75 Prozent des weltweiten Zubaus an Stromerzeugungskapazitäten Erneuerbar.

Auch in Deutschland ist es heute teurer, die bestehenden Kohlekraftwerke weiter laufen zu lassen als sie durch neue Photovoltaik- oder Windkraftanlagen zu ersetzen. Damit wäre ein Kohleausstieg erst im Jahr 2038 nicht nur aufgrund der Klimakrise unverantwortlich – er wäre auch volkswirtschaftlicher Irrsinn. Spätestens 2030 muss mit der Kohle in Deutschland Schluss sein.

Ungleicher Wettbewerb

Die Erfolgsgeschichte der EE ist umso erstaunlicher, als sie sich nicht einem fairen Wettbewerb mit fossilen Energieträgern befinden. Allein die G20-Staaten haben zwischen 2017 und 2019 fossile Energieträger mit jährlich rund 584 Milliarden US-Dollar direkt subventioniert. Das ist mehr als das Doppelte der Subventionen, die weltweit für EE aufgewendet werden. Auch in Deutschland stehen der Energiewende rund 60 Milliarden Euro jährlich an direkten klimaschädlichen Subventionen im Weg. Knapp sechs Jahre nach der Klimakonferenz von Paris ist das ein Wahnsinn, der möglichst schnell beendet werden muss.

Trendwende bei Kohle, Atom auf dem Rückzug

Trotz aller Subventionen findet global eine Trendwende bei der Kohleverstromung statt. Nur ein Viertel der seit 2015 geplanten neuen Kohlekraftwerke wird tatsächlich gebaut. Natürlich reicht es aber nicht, weniger Kohlekraftwerke zu bauen. Um auf einen 1,5 Grad Pfad zu gelangen, müssen laut Weltklimarat bis 2030 die Emissionen der weltweiten Kohleverstromung um 80 Prozent sinken.

Ein hartnäckiger Mythos bleibt derweil die Renaissance der Atomkraft. Der Anteil von Atomkraftwerken an der weltweiten Energieversorgung ist rückläufig. Der aktuelle globale Kraftwerkspark ist überaltert. Etwa 200 Abschaltungen im kommenden Jahrzehnt stehen lediglich 46 Neubauprojekte gegenüber. Atomkraft ist einfach zu teuer, zu riskant, Neubauten dauern zu lange, das Problem Atommüll ist ungelöst und sie ist zu unflexibel und daher nicht mit EE kompatibel. Am Atomausstieg im kommenden Jahr muss die nächste Bundesregierung daher festhalten.

Und was wollen die Parteien?

  • Sowohl CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP als auch Die Linke betonen das Zusammenspiel aus dem Ausbau der EE und dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern als grundlegend für die Energiewende. Allerdings bestehen erhebliche Unterschiede in den vorgeschlagenen Maßnahmen und auch der Geschwindigkeit. Leider hat keine der Parteien ein Wahlprogramm vorgelegt, mit dem Deutschland einen fairen Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaziele leisten würde, wobei die Grünen und die Linke noch am nächsten dran sind.
  • So möchte sowohl CDU/CSU und SPD am Kohleausstieg 2038 festhalten. Damit wäre es für Deutschland allerdings unmöglich, die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen. Dafür müsste die Kohleverstromung konsequent und rasch bis spätestens 2030 beendet werden. Die Grünen und Die Linke streben einen solchen Kohleausstieg bis 2030 an, während die FDP ein Enddatum generell ablehnt und auf die Wirkung des Emissionshandels vertraut. CDU/CSU und FDP sehen im Emissionshandel (und damit der CO2-Bepreisung) das Hauptinstrument im Klimaschutz. Sie lehnen komplementäre Instrumente weitgehend ab und übersehen dabei einige wichtige Aspekte wie die Notwendigkeit langfristiger Anreize, den staatlich gelenkten Ausbau von Infrastruktur, die gezielte Förderung von Klimaschutzoptionen wie Energieeinsparmaßnahmen oder den zu erwartenden politischen Druck, wenn in kurzer Zeit der CO2-Preis drastisch steigt. Aus diesen Gründen brauchen wir für Energiewende und Klimaschutz einen ausgewogenen Mix aus CO2-Bepreisung und anderen Instrumenten.
  • Ähnliche Unterschiede findet man für den Ausbau der EE: CDU/CSU und SPD formulieren zwar Absichtserklärungen zur Beschleunigung des EE-Ausbaus, nennen aber keine spezifischen Ausbauziele. Innerhalb der Union bestehen trotz zahlreicher Studien immer noch Zweifel daran, dass eine Energieversorgung mit 100 Prozent EE technisch möglich ist. Die SPD strebt Ausbauziele für EE immerhin in einem Zukunftspakt an und möchte 100% EE bis 2040 erreichen. Die Linke und die Grünen schlagen dagegen spezifische EE-Ausbauziele vor, die die Einhaltung der Klimaziele ermöglichen würden. Die FDP wiederum lehnt gesetzlich vorgegebenen Ausbaupfade ab und vertraut auch hier vornehmlich auf den Emissionshandel.
  • Was zu tun ist
  • Damit Deutschland zum Vorreiter in Sachen Energiewende werden kann und so schnell wie möglich 100 Prozent EE erreicht, braucht es einen breiten Mix aus Maßnahmen. Unsere Erwartungen an die nächste Bundesregierung sind daher eindeutig:
  • Wir fordern, dass die neue Bundesregierung auf Basis von Energieeinsparung, Energieeffizienz und EE den schnellstmöglichen und vollständigen Ausstieg aus den fossilen Energien in die Wege leitet. Mit Blick auf die Klimaziele ist in Deutschland ein Kohleausstieg bis spätestens 2030 und ein vollständiger Ausstieg aus fossilem Öl und Gas bis spätestens 2040 notwendig.
  • Die neue Bundesregierung muss ein eigenständiges Primärenergie-Einsparziel von mindestens 40 Prozent für das Jahr 2030 gegenüber 2008 gesetzlich festlegen, damit der Umstieg auf EE ausreichend schnell, ressourcenschonend sowie natur- und sozialverträglich gelingen kann.
  • Die neue Bundesregierung muss den Zubau von EE beschleunigen mit dem Ziel, so schnell wie möglich einen Anteil von 100 Prozent am steigenden Bruttostromverbrauch zu erreichen.
  • Für eine Trendwende bei den globalen Emissionen fordern wir die neue Bundesregierung auf, Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens einzugehen, um dort die Transformation hin zu 100 Prozent EE für alle zu beschleunigen und gleichzeitig große Teile ihrer Bevölkerung von Armut zu befreien. Die Partnerschaften sollten insbesondere das siebte globale Nachhaltigkeitsziel (SDG 7) „Bezahlbare und saubere Energie“ umsetzen.
  • Klimaschädliche Subventionen sind bis spätestens bis 2025 vollständig abzuschaffen.
  • Wir erwarten von der neuen Bundesregierung einen höheren und schneller ansteigenden CO2-Preis. Zum sozialen Ausgleich sollten die Einnahmen zur Senkung von Steuern und Umlagen im Energiebereich sowie für eine Pro-Kopf-Rückverteilung verwendet werden. Auf europäischer Ebene sollte sich die Bundesregierung unter anderem für eine Reform des Emissionshandels einsetzen, so dass dieser über einen ansteigenden Mindestpreis ein wirksames Preissignal für einen Kohleausstieg bis 2030 sendet.
  • Die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff sollte sich auf Anwendungen beschränken, die absehbar nicht elektrifiziert werden können. Die Energieverschwendung von Wasserstoff in PKW oder privaten Heizungen können wir uns nicht leisten. Wasserstoffimporte sollten nur unter Einhaltung strikter Nachhaltigkeitskriterien vorangetrieben werden.

Dieser Text ist ein Beitrag in der Reihe #brotfürdiewahl im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Alle weiteren Beiträge finden Sie hier.

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