Zur Klimakrise, der existenziellen Bedrohung unserer Zeit, ist die COVID-19-Pandemie hinzugekommen. Zu Zeiten ohnehin schon historisch hoher Verschuldung steigen die Schuldenberge in ganz neue Höhen. In dieser dreifachen Klima-, Schulden- und COVID-19-Krise geraten verwundbare Nationen zwischen Finanz-, Umwelt-, Klima- und Gesundheitsrisiken von allen Seiten unter Druck. Weder können sie sich riesige Investitionen in Unterstützungsprogramme leisten, noch auf dem erforderlichen Niveau in Resilienz investieren, um künftige Risiken einzudämmen. Infolgedessen werden nicht nur Staatsschulden, sondern auch klimabedingte Verluste und Schäden weiter ansteigen. Direkt betroffene verwundbare Gemeinden werden dabei den höchsten Preis zahlen.
Die vorliegende Studie "Climate change, Debt and COVID-19" analysiert die Zusammenhänge zwischen dieser Häufung gleichzeitiger Risiken (der sogenannten Multi-Hazard-Exposition), mangelnder Resilienz, dem daraus resultierenden Katastrophenrisiko mit entsprechenden Verlusten und Schäden, Staatsschuldenrisiken und fehlenden Investitionen in den Aufbau von Resilienz. Sie argumentiert, dass sich aus der gegenwärtigen dreifachen Krise eine wachsende Resilienzlücke ergibt, die sich von den betroffenen Ländern nicht mehr allein schließen lässt. Sie zeigt, warum solidarisches Handeln dringend geboten ist, um einen inklusiven und gerechten Übergang in eine nachhaltige, klimaresiliente und kohlenstoffneutrale Zukunft auf den Weg zu bringen.
Sie argumentiert, dass ein zügiger und strukturierter Entschuldungsprozess sowie die Reform der internationalen Finanzarchitektur zentrale Prioritäten eines Grünen Erholungsprozesses sind, ebenso wie gezielte Investitionen in den Aufbau von Resilienz und eine beschleunigte wirtschaftliche Transformation. Über diese Forderungen sind sich viele Stakeholder:innen und Entscheidungsträger:innen einig ‒ nun stellt sich die Frage der konkreten Umsetzung. Resilienz ist der zentrale Ansatz zum Umgang mit Risiken, und die Rechte der Betroffenen sollten an erster Stelle stehen. Basierend auf diesen Grundsätzen entwickelt die Studie eine Reihe von Vorschlägen für eine resiliente Erholung:
- Unterstützung für Länder, um als Grundlage für gezielte Maßnahmen und Hilfen ihre vielfältigen Risiken zu bewerten;
- Zusätzlich zu der zugesagten Klimafinanzierung und öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, Einrichtung einer globalen Resilienz-Investitionsfazilität;
- Einrichtung eines Umschuldungsrahmens im Falle von klimabedingten Katastrophen;
- Debt Swaps, also Schuldenerlass im Austausch für Klimaresilienz- und Naturschutzmaßnahmen;
- Schuldenmoratorien und staatliche Insolvenzverfahren, wenn Schulden nicht mehr tragfähig sind;
- Ausgleichsfonds zur Deckung des klimabedingten zusätzlichen Kreditrisikos verwundbarer Länder;
- Organisation von Multi-Stakeholder-Dialogen über einen resilienten und Grünen Erholungsprozess.
Dabei gibt es keine Einheitslösung, da Länder mit unterschiedlichen spezifischen Risiken konfrontiert sind. Aber wie lassen sich die Risiken der Länder bewerten? Die Association of Small Island States (AOSIS) hat einen mehrdimensionalen Verwundbarkeitsindex vorgeschlagen, um eine kollektive und nachhaltige Antwort auf Staatsschuldenkrisen zu finden. Da dieser noch nicht zur Verfügung stand, haben wir als Reaktion auf den AOSIS-Aufruf einen solchen mehrdimensionalen Risikoindex entwickelt. Mit diesem Climate Disaster and Debt Risk Index lässt sich das mehrdimensionale Risiko eines Landes anhand von 16 Indikatoren messen.
Die Formel und die verwendeten Open-Source-Datenbanken werden offengelegt. Der Climate Disaster and Debt Risk Index wird auf fünf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen angewandt, die jeweils eine der fünf am stärksten vom Klimawandel gefährdeten Regionen der Welt repräsentieren: El Salvador (Zentralamerika und Karibik), Äthiopien (Afrika südlich der Sahara), Sri Lanka (Südasien), die Demokratische Volksrepublik Laos (Südostasien) und Papua-Neuguinea (Ozeanien). Die Ergebnisse zeigen, dass jedes Land aufgrund seiner ganz spezifischen nationalen Gegebenheiten ein einzigartiges Risikoprofil hat, weshalb auch die jeweiligen Strategien in Bezug auf den Erholungsprozess entsprechend individuell gestaltet sein sollten.
Äthiopien ist den schwersten Klima-, COVID-19- und anderen Katastrophenrisiken ausgesetzt. Das relative Verlust- und Schadensrisiko ist jedoch in PNG am höchsten, dicht gefolgt von der Demokratischen Volksrepublik Laos. Das Verschuldungsrisiko ist in Sri Lanka am höchsten, gefolgt von El Salvador; in Papua-Neuguina (PNG) ist es derzeit am niedrigsten. Das Mehrfachrisiko ist in PNG und der Demokratischen Volksrepublik Laos am höchsten.
Diese Ergebnisse unterstreichen die komplexen Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Risikoarten. Es lohnt sich also, bei der Risikobewertung eines bestimmten Landes einen nuancierten Ansatz zu verfolgen. Die von unserem Ansatz gelieferten Informationen können als Frühwarninstrument genutzt werden, um spezifische Risikotreiber zu identifizieren, den Schweregrad von Risiken zu messen und zu vergleichen, sowie um Bereiche zu identifizieren und zu priorisieren, in denen Risiken eingedämmt werden sollten.
Zusammen mit erlassjahr.de veröffentlicht Brot für die Welt im März 2021 die englischsprachige Studie mit dem Titel “Analysis 102: Climate change, Debt and COVID-19 - Analysing the Triple Crisis with a New Climate Disaster and Debt Risk Indicator and Building Forward for a Resilient Recovery, Based on Climate Justice”.