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Menschenrechte und Umwelt - Escazú Abkommen in Lateinamerika

Regionales Umweltabkommen von Escazú tritt in Kraft – Eine Chance für indigene und lokale Gemeinden und die Umwelt?

Was sind die Herausforderungen, vor denen die Umsetzung des Abkommens steht?

 

 

 

 

Von Wolfgang Seiß am
Escazú in Kraft

Ausblick

Seit heute, dem 22. April 2021 ist das regionale Umweltabkommen von Escazú in Kraft (siehe Teil 1). Mit einem Festakt am Sitz der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) in Santiago de Chile wird das Abkommen gefeiert. Es ist das weltweit erste Umweltabkommen, das auch den Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen vorsieht. Nun geht es darum, die Bestimmungen des Abkommens in die nationalen Gesetzgebungen zu überführen. Bestehende Gesetze müssen dazu überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Spätestens in einem Jahr soll die erste Konferenz der Vertragsstaaten („Conference of the Parties“, COP) abgehalten werden. Einberufen wird sie durch die CEPAL, die derzeit das geschäftsführende Sekretariat für Escazú inne hat. Bereits im Dezember 2020 hatten die Unterzeichnerstaaten einen Entwurf für ein Reglementarium der COP ausgearbeitet, der unter Punkt 14 die Beteiligung der Öffentlichkeit vorsieht. Es sind neue Mechanismen für Kooperation, Austausch und Beteiligung der Zivilgesellschaft notwendig. Angedacht ist unter anderem ein öffentlicher regionaler Mechanismus, über den sich interessierte Personen für die COP akkreditieren können. Er beinhaltet die Beteiligung an den Konferenzen sowie den Zugang zu den offiziellen Dokumenten.

Signal im Kontext von Gewaltverbrechen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen

Der im Escazú-Abkommen vorgesehene Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen ist ein wichtiges Signal in einem Kontinent, in dem die Morde und Bedrohungen dieser Personengruppe weltweit die höchsten Zahlen aufweisen. Kriminalisierung, Einschüchterung und Verfolgung werden permanent von nationalen und internationalen Instanzen dokumentiert. Zuletzt im Bericht der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverteidiger*innen, Mary Lawlor: In ihrem Report bestätigt sie, was Partnerorganisationen von Brot für die Welt in Lateinamerika konstatieren: Die meisten Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen geschehen in einem Kontext, in dem es Widerstand gegen Vorhaben gibt, die Menschenrechte im Bereich von Umwelt und Naturressourcen verletzen. (vgl. Blog vom 30.03.2021) Dieser Widerstand richtet sich gegen die Umweltschäden, die durch die Rohstoffausbeutung (Bergbau, Ölförderung einschließlich Fracking), zerstörte landwirtschaftliche Flächen durch Monokulturanbau (Ölpalmen, Soja) oder riesige Energieprojekte (Windparks, Solarparks, Wasserkraftwerke) entstehen. Zugleich wird oft ignoriert, dass es sich bei diesem Widerstand um den Einsatz für verbriefte Rechte indigener und bäuerlicher Gemeinden und den Schutz von Wäldern, Territorien oder Wasserressourcen handelt. Wenn von „Ressourcen- oder Rohstoffkonflikten“ die Rede ist, wird der Begriff „Aktivist*innen“ zudem oftmals abwertend benutzt, um Menschenrechtsverteidiger*innen zu diskreditieren. Damit ist der Schritt zu ihrer Diffamierung als Personen, die der Entwicklung im Wege stehen, nicht weit. Partnerorganisationen von Brot für die Welt in vielen Ländern Lateinamerikas sehen sich mit einem Diskurs konfrontiert, der sie und ihre Zielgruppen als entwicklungsfern und gegen den Fortschritt arbeitend brandmarkt.

Escazú ist nicht das einzige Instrument

Soledad García, die Sonderberichterstatterin über die Wirtschaftlichen, Sozialen, Kulturellen und Umweltrechte (WSKU-Rechte) der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH), weist in einer Stellungnahme aus Sicht ihres Mandats zu Recht darauf hin, dass das Abkommen ein wertvolles Instrument ist, aber nicht das einzige darstellt: Besonders diejenigen Staaten, die nun befürchten, es würden „neue Rechte“ eingeführt, sollten sich bewusst machen, dass diese bereits im internationalen und besonders dem interamerikanischen Rahmen anerkannt sind. Für Soledad García ergänzt das Abkommen existierende Standards, beispielsweise die Amerikanische Menschenrechtskonvention und wegweisende Urteile des Interamerikanischen Menschengerichtshofs. Zudem bestehen andere internationale rechtsverbindliche Abkommen wie die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker, die von den meisten lateinamerikanischen Staaten ratifiziert wurde. Die nicht rechtsverbindliche UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker führt das in der ILO-Konvention 169 (Artikel 15) benannte Recht auf Konsultationen der betroffenen Völker weiter und spricht von „informierter, vorheriger, freier, Zustimmung“ (free, prior, informed consent, FPIC). Jedoch sind kulturell und sprachlich angepasste Konsultationen die Ausnahme. Konsultationen werden, wenn überhaupt, dann abgehalten, wenn beispielsweise die Arbeiten an Großprojekten bereits begonnen wurden oder Unternehmen auf Grundlage der erteilten Konzessionen bereits finanziellen und politischen Einfluss auf Dorfgemeinschaften nehmen. Umweltverträglichkeitsstudien werden in vielen Fällen ohne Kenntnis und Beteiligung betroffener Bevölkerung durchgeführt. Sowohl Mary Lawlor als auch ihr Vorgänger Michel Forst haben wiederholt auf diese Problematik hingewiesen. In vielen Ländern der Region gibt es bereits eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Umwelt, Rechte von Gemeinden und Indigenen und Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen. Einzelne Länder wie beispielsweise Mexiko haben bereits internationale Standards in die nationale Gesetzgebung integriert, etwa zum Klimawandel, in Umweltschutzfragen, oder zum Zugang zu Informationen. Das zentrale Problem ist jedoch die Umsetzung und Anwendung der Gesetze.

Was ist nun von Escazú zu erwarten?

Das Escazú-Abkommen stellt einen weiteren, rechtlich verbindlichen Referenzpunkt dar. Für Partner von Brot für die Welt und zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Ländern ist ein Beitritt zu Escazú wünschenswert. Dennoch sind sich Partnerorganisationen bewusst, dass Ratifizierung und Umsetzung von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen abhängen und davon, ob es der organisierten Zivilgesellschaft gelingt, Einfluss zu nehmen. Von den 24 Staaten, die 2018 das Abkommen von Escazú unterzeichneten, haben bisher nur zwölf ratifiziert: vier Staaten der Karibik: Antigua und Barbuda, San Vicente und die Granadinen, Saint Kitts und Nevis sowie Santa Lucía; drei Staaten aus Mesoamerika; Mexiko, Nicaragua und Panamá und in Südamerika: Guayana, Ecuador, Bolivien, Argentinien und Uruguay.Es fehlen bislang große Flächenstaaten wie Brasilien, Kolumbien oder Peru, aber auch Staaten wie Chile und Costa Rica, die wesentlich an der Ausarbeitung des Abkommens beteiligt waren. Andere Staaten wie Paraguay und Honduras, in denen Partnerorganisationen von Brot für die Welt aus der Zivilgesellschaft Hoffnung auf eine Ratifizierung setzten, zogen sich ebenfalls zurück. Der im Abkommen beschlossene Zugang zu umweltrelevanten Informationen bedeutet in vielen Ländern eine Änderung ihrer internen Normensetzungen: Denn oft unterliegen beispielsweise Informationen über Bergbau- oder Wasserkonzessionen der Geheimhaltung. In anderen Ländern mit bereits bestehenden Gesetzen zur Informationstransparenz können Betroffene nicht immer davon ausgehen, auch alle relevanten Informationen zu erhalten. Die im Escazú-Abkommen niedergeschriebene Bürger*innenbeteiligung muss den Praxistext noch bestehen.

Zugang zu Justiz, ein zentraler Punkt

Der im Abkommen festgeschriebene Zugang zur Justiz muss selbst in den Staaten, die Escazú ratifiziert haben, erst durchgesetzt werden. Justizsysteme vieler Länder arbeiten ineffizient bei der Aufklärung von Umweltverbrechen. Die Bestrafung von Verantwortlichen für Umweltverbrechen und Verbrechen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen ist in vielen Ländern der Region die Ausnahme, nicht die Regel. Politik und Justiz agieren eher zugunsten großer ökonomischer Interessengruppen. Die Straflosigkeitsraten sind hoch. Gerichtsurteile auch internationaler Instanzen wie dem Interamerikanischen Gerichtshof zugunsten von betroffenen Gemeinden werden nur schleppend umgesetzt. Gleichzeitig berichten Partnerorganisationen und internationale Menschenrechtsorganisationen wie Frontline Defenders immer wieder von der Kriminalisierung und juristischen Verfolgung protestierender Personen. Dieses Vorgehen ist auch eine wesentliche Ursache dafür, dass soziale Organisationen, indigene, afroamerikanische und bäuerliche Bevölkerungsgruppen staatlichen Instanzen mit Misstrauen begegnen. Nicht umsonst weist die UN-Sonderberichterstatterin Mary Lawlor in ihrem Bericht explizit auf die Verpflichtung der Staaten hin, angemessene Maßnahmen zu unternehmen, um Angriffe, Einschüchterungen und Bedrohungen, die Menschenrechtsverteidiger*innen erleiden, nicht nur zu verhindern, sondern zu untersuchen und zu bestrafen.“ Die Umsetzung von Escazú bedeutet: Aufbau von Kompetenz und spezialisierten Kenntnissen in Umweltangelegenheiten im Justizsystem. Sprachliche, technische und finanzielle Unterstützung beim Zugang zur Justiz. Eine Beendigung der Straflosigkeit. Das wird Zeit brauchen. Eine Stärkung und Befähigung unabhängiger Justizsysteme ist insbesondere deshalb wichtig, da Escazú über keinen eigenen Sanktionsmechanismus verfügt. Wie im Interamerikanischen Menschenrechtssystem ist ein Durchlaufen der nationalen Rechtsinstanzen erforderlich, bevor ein Fall an den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof herangetragen werden kann. Der von vielen Partnern eingeschlagene Weg, strategische Gerichtsverfahren gegen Unternehmen zu führen, die mit Duldung oder Unterstützung des Staates Umweltstandards, Mitbestimmung und Information missachten, wird nach wie vor zwingend notwendig sein.

Was heißt Escazú für Deutschland und die EU?

Zusammen mit den Verhandlungen über ein verbindliches UN-Abkommen zum Thema Unternehmen und Menschenrechte, sollte sich das Escazú-Abkommen auch bei der Ausgestaltung eines deutschen, beziehungsweise europäischen Lieferkettengesetzes sowie dessen Umsetzung niederschlagen. Die zwischen der Europäischen Union und lateinamerikanischen Staaten geschlossenen Handelsverträge und Assoziierungsabkommen (Mexiko, Mittelamerika, Kolumbien-Ecuador-Peru, Mercosur) müssten vor dem Hintergrund von Escazú überprüft werden. Eine alleinige Ratifizierung des Abkommens ohne nachfolgendes Monitoring dürfte nicht hinreichend sein, die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards zu konstatieren. Honduras verhandelt mit der EU über ein Abkommen zum Holzexport, während seit 2015 bereits 12,5 Prozent der honduranischen Waldfläche verloren gingen und die meisten intakten Wälder von indigenen Völkern bewirtschaftet werden. Gerade im Bereich der Rohstoffausbeutung, aber auch bei Projekten und Finanzierungen beispielsweise durch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau im Bereich nicht fossiler Energien (Wasserkraft, Solartechnik), wird die Frage nach Umsetzung der rechtlichen Verpflichtungen aus dem Escazú-Abkommen ein zentraler Bestandteil sein müssen, den es zu respektieren gilt. Nach der Ratifizierung der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz der Rechte indigener Völker durch den Deutschen Bundestag liegen zwei rechtsverbindliche Instrumente vor, die Richtschnur für verantwortliches Handeln –Ressort übergreifend -im Bereich Umwelt, Naturressourcen und Menschenrechtsverteidiger*innen sein müssen. Für den politischen Dialog der Bundesregierung mit Unternehmen und Regierungen Lateinamerikas, beispielsweise im Rahmender Lateinamerika- und Karibik-Initiative des Auswärtigen Amtes oder im Bereich der bilateralen Kooperation, bietet sich das Escazú-Abkommen für den Dialog über die Umsetzung sowie den Beitritt derjenigen Staaten an, die bislang dem Abkommen fern geblieben sind. Ebenso kann es eine Grundlage für den Ausbau der Kooperation unter Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen sein.

Brot für die Welt und das Abkommen von Escazú

Für Brot für die Welt insgesamt, aber auch für die Arbeit in Lateinamerika und der Karibik ist das konziliare Motto der 1980er Jahre, „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, auch in der jüngsten Fünf-Jahres-Rahmenplanung präsent. In den Themenfeldern „Neue Armuts- und Hungerkrisen“ und „Klimawandel“, aber vor allem im „Gewalt, Fragilität und Konflikte um Ressourcen und Gemeingüter“ finden die in Escazú benannten Bereiche ihren Niederschlag: Die Unterstützung von Partnerorganisationen ist gerade im Bereich der Ressourcenkonflikte, bei den Themen Zugang zu Justiz und Information, Mitbestimmung und Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen – also der Thematik, die das Escazú Abkommen beschreibt, ist weiterhin notwendig. Auch die Unterstützung derjenigen, die sich im Kontext des Escazú-Prozesses engagieren. Dies kann Lobbyarbeit für die Ratifizierung durch Regierungen oder/und, für die Teilhabe der Zivilgesellschaft am regionalen Prozess betreffen. Es kann auch Unterstützung für die die der Inhalte und eine regionale Diskussion bedeuten. Zusammen mit der ILO-Konvention 169 oder der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker ist Escazú ein politischer Referenzpunkt. Die Verankerung des Themas Unternehmen und Menschenrechte spielt dabei ebenso eine wichtige und notwendige Rolle. Das schließt auch die Unterstützung derjenigen ein, die juristische Verfahren gegen umweltzerstörende Ressourcenausbeutung anstrengen, die Menschenrechtsverteidiger*innen schützen und die indigene Rechte stärken.

(Hierbei handelt es sich um den zweiten Teil, der Einschätzung, den ersten Teil finden Sie unter Links.)

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