Interview

Menschenrechtsschutz in Zeiten der Pandemie

In Kolumbien steigen nach dem Friedensabkommen von 2016 die Morde an MenschenrechtsverteidigerInnen und sozialen Führungspersönlichkeiten deutlich an: Dies ist der Kontext, in dem die Corona Pandemie und die im Zusammenhang damit verhängten Ausgangs- und Reisebeschränkungen alle Organisationen, die im Bereich der Menschenrechte arbeiten, gezwungen haben, ihre Arbeit und Methoden anzupassen.

Von Wolfgang Seiß am
Pandemie und Menschenrechte

Symbolbild. Eine Frau trägt eine Maske des Schutzprogramms „Programm Somos Defensores“ – „Wir sind MenschenrechtsverteidigerInnen“.

Laut Indepaz, dem Institut für Friedens- und Entwicklungsstudien in Kolumbien, wurden allein im Jahr 2020 mindestens 310 MenschenrechtsverteidigerInnen und sozialen Führungspersönlichkeiten ermordet. Das Institut zählte 91 Massaker (laut Definition der UNO sind dies Verbrechen mit drei oder mehr Toten).

Um MenschenrechtsverteidigerInnen und soziale Führungspersönlichkeiten zu schützen, gründeten bereits 1999 verschiedene kolumbianische Nichtregierungsorganisationen ein Schutzprogramm - das „Programm Somos Defensores“ – „Wir sind MenschenrechtsverteidigerInnen“. Diese Initiative ist unter anderem Partner von Brot für die Welt. Neben dem direkten Schutz dokumentiert das Programm in seinen halbjährlichen Berichten die Fälle ermordeter MenschenrechtsverteidigerInnen. Es analysiert den Kontext, in dem Menschenrechtsarbeit stattfindet, und arbeitet im Kommunikations-, Fortbildungs- und Lobbybereich.

Zur Arbeit unter den Bedingungen der Pandemie führten wir ein Interview mit Lourdes Castro, Koordinatorin des Programms.

Frage: Lourdes, wie hat sich die Pandemie auf die Arbeit des Programms ausgewirkt?

Das größte Problem für alle Arbeitsbereiche des Programms ist die Unmöglichkeit, in den Regionen, in denen MenschenrechtsverteidigerInnen bedroht werden, Präsenz zu zeigen. Im Kommunikationsbereich besteht das größte Hindernis darin, Pressereisen vor Ort durchzuführen. Wir tun dies sonst im Rahmen einer Strategie, direkte Beziehungen mit den Medien zu pflegen.

Frage: Und wie sind Sie damit umgegangen?

Nun ja, die andauernden Aggressionen gegenüber sozialen Führungspersönlichkeiten haben sich durch die verordneten Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren nicht verringert. Sie dauern an. In dieser Situation haben wir nach wie vor viele Informationsgesuche zu Hintergründen und konkreten Fällen. Die Nachfragen nehmen sogar zu. Jedes Mal, wenn sowohl etablierte als auch alternative Medien nicht nur die Zahlen präsentieren wollen, sondern auch nach Hintergrundinformationen suchen, ist unser Programm eine Referenz für sie. Das führt dazu, dass „Somos Defensores“ an vielen virtuellen Gesprächsrunden, Seminaren und Veranstaltungen teilnimmt. Sie werden über die sozialen Netzwerke verbreitet. Wir erstellen kleinere Videos, die über die Netzwerke ihr Publikum finden, beteiligen uns an Interviews und versuchen, JournalistInnen und Kommunikationsstrukturen so viele Informationen wie möglich zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig führen wir über soziale Netzwerke und im Verbund mit anderen Organisationen Kampagnen durch, um auch in Zeiten der Pandemie und der Isolation die Aufmerksamkeit auf die Aggressionen gegen MenschenrechtsverteidigerInnen zu lenken.

Frage: Die auf Ihr Informationssystem gestützten Halbjahresberichte geben den Ermordeten einen Namen und ein Gesicht. Wie sind Sie unter den Bedingungen der Pandemie mit der Datenerhebung und Verifizierung für das Informationssystem umgegangen?

Natürlich ist auch in diesem Arbeitsbereich das zentrale Hindernis, die Informationen über die diversen Aggressionen zu verifizieren. Das ist etwas, das wir sonst entsprechend unserer angewandten Methodologie selbst vor Ort durchführen. Nun erarbeiteten wir andere Lösungen. Etwa, indem wir die Kommunikationskosten (z.B. für Handys) von Referenzpersonen und -organisationen im jeweiligen Territorium übernehmen. So können sie uns wichtige Informationen liefern. Auch führen wir virtuelle Treffen durch, bei denen wir Fall für Fall durchgehen und dabei rigoros die Qualität der Informationen überprüfen. In einzelnen Regionen besteht durch die bisherige Zusammenarbeit dafür das nötige Vertrauensverhältnis – in anderen mussten wir das erst aufbauen.

Frage: Wie konnten Sie denn im Bereich des direkten Schutzes von Menschenrechtsverteidiger-Innen unter diesen Bedingungen arbeiten?

Auch hier ist das bekannte Haupthindernis: Wir können mit den Personen, die eine Hilfsmaßnahme für ihren Schutz brauchen, keinen direkten persönlichen Kontakt herstellen. Etwa, um ihre Situation kennenzulernen, das Risikoniveau einschätzen zu können, Beratung zu leisten. Diese Arbeit müssen wir teilweise telefonisch oder über virtuelle Treffen leisten und zuvor natürlich ausloten, welche Schwierigkeiten diese Art von Begleitung mit sich bringt. Gerade für Führungspersönlichkeiten in Situationen mit hohem Gefährdungspotential. Eine zweite Schwierigkeit besteht in der Zunahme der Anfragen, ohne dass das Programm bisher die nötigen Mittel hat, darauf zu reagieren. Wir haben Budgetanpassungen in einigen Projekten beantragt. Dies erlaubt, Mittel, die aufgrund der Pandemie nicht anderweitig verwendet werden konnten, für Schutzmaßnahmen umzuwidmen. Wir arbeiten zudem mit anderen Organisationen und Schutzfonds zusammen, um Anfragen zu unterstützen, die nicht aus Mitteln des Programms bewältigt werden können. Zudem reduzieren wir die Einzelbeträge für Notfallmaßnahmen, um insgesamt mehr Maßnahmen unterstützen zu können. Unter diesen Bedingungen konnte das Programm von März 2020 bis Februar 2021, also im gesamten bisherigen Verlauf dieser heftigen Pandemie 115 soziale Führungspersönlichkeiten schützen. In einem Fall konnten wir - mit Hilfe von amnesty international und der Botschaft Spaniens – die Ausreise für einen Menschenrechtsverteidiger in einem humanitären Hilfsflug nach Spanien ermöglichen.

Frage: Und Fortbildungsmaßnahmen und Schulungen, konnten Sie die komplett virtuell abhalten?

Natürlich wird unsere pädagogische Arbeit enorm dadurch erschwert, nicht in die Regionen reisen und dort die Kurse abhalten zu können. Jedoch haben wir mit der Zweiten Psychosozialen Schule, die wir zusammen mit dem CAPS (Centro de Acompaniamiento PsicoSocial) durchführten, eine wertvolle Erfahrung gewonnen. Die einzelnen Module dieses Kurses führten wir virtuell durch - mit sehr guten Ergebnissen.

Wir mussten natürlich die Methodik und die Inhalte anpassen. Dann haben wir für die Teilnehmenden Tablets gekauft, diese für die Kursbedürfnisse eingerichtet und versandt. Die TeilnehmerInnen erhielten zudem ein Kit für die Selbstfürsorge (Essenzen, Salben). Wir klärten die notwendigen Mindestvoraussetzungen (Räumlichkeiten, Internetzugang), damit die TeilnehmerInnen ohne Probleme an den Kursen teilnehmen konnten.

Als Team haben wir bislang die Arbeit mit vielen virtuellen Sitzungen gemeistert. So halten wir uns gegenseitig auf dem Laufen, um gerade in diesen Zeiten die Arbeit fortsetzen zu können.

 

Hinweise:

Live-Online Veranstaltungen: Herausforderungen des Menschenrechtsschutzes

Am Freitag, 26. März 2021 18.30 bis 20.00 Uhr  MEZ laden Brot für die Welt, Amnesty International, Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko und Ökumenisches Büro München, in Kooperation mit Reporter ohne Grenzen ein zu:

"Strategien mexikanischer Journalist*innen gegen Drohungen und Gewalt"

Unsere Gäste:

Carmen Aristegui, Journalistin Mexiko

Sara Mendiola, Direktorin der Menschenrechtsorganisation Propuesta Cívica und

Lucía Lagunes, Direktorin der feministischen Nachrichtenagentur CIMAC

Partnerorganisationen von Brot für die Welt.

Die Veranstaltung wird simultan übersetzt (Spanisch-Deutsch)

 

Am Dienstag, 20. April 2021 17:00 – 19:00 Uhr MEZ laden Brot für die Welt und das Deutsche Institut für Menschenrechte zur 8. Werner Lottje Lecture ein. Die Reihe diskutiert aktuelle Probleme und Herausforderungen im Bereich Menschenrechte, insbesondere des Schutzes von MenschenrechtsverteidigerInnen.

 Unsere Gäste:

Guardia Indigéna de Cauca – Kiwe Thegnas, Gewinner des kolumbianischen Menschenrechtspreis 2020, die auf beeindruckende Weise zeigen, wie wirkungsvoll die kollektive friedliche Verteidigung ihrer Territorien sein kann.

Mary Lawlor, ist seit Mai 2020 UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von MenschenrechtsverteidigerInnen

Peter Ptassek, ist seit 2018 deutscher Botschafter in Kolumbien. Zuvor war er u.a. als Beauftragter für Grundsatzfragen der EU im Auswärtigen Amt tätig.

Informationen: Johannes Icking, Referent Menschenrechte, Brot für die Welt E-Mail: johannes.icking@brot-fuer-die-welt.de

 

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