Seit 2010 verschwanden auf der Straße Richtung USA im mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas immer wieder Menschen. Aufgeklärt oder strafrechtlich verfolgt wurden die Fälle von der örtlichen Polizei nicht. Unter den Opfern waren 72 Migrant:innen aus Zentralamerika, die in die USA wollten. Der brutale Vorfall wurde bekannt als das Massaker von San Fernando und ist ein exemplarischer Fall für Straflosigkeit und Verschwindenlassen in Mexiko. Bewaffnete Männer befahlen insgesamt mindestens weiteren 193 Menschen, aus ihren Reisebussen zu steigen. Sie erschossen die Reisenden und ließen sie in geheimen Massengräbern verschwinden. Im Jahr 2011 wurden bei einer großen Suchaktion 47 geheime Gräber gefunden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte später, dass das Drogenkartell der Zetas dafür verantwortlich sei.
Doch nicht nur die Mitglieder der Zetas gerieten ins Visier der Ermittlungen, sondern auch Brot-für-die-Welt-Partnerinnen, die sich für den Fall der 72 verschwundenen Migrant*innen einsetzen. Unter dem Hashtag #másde72 deckt die Journalistin Marcela Turati unter anderem Unregelmäßigkeiten in den Ermittlungen auf, zum Beispiel wie staatliche Forensiker:innen die Identifizierung der Toten willentlich verzögerten. Ana Lorena Delgadillo vertrat als Anwältin mit ihrer Organisation Stiftung für Gerechtigkeit (FJEDD) die Familien aus Zentralamerika, deren Angehörige ermordet wurden. Mercedes Doretti eine argentinische Forensikerin (EAAF) identifizierte die Leichen aus den Massengräbern. Mit ihrer Arbeit verhelfen die drei nicht nur den Familienangehörigen von über 94.000 Verschwundenen in Mexiko zu Wahrheit und einem Stück Gerechtigkeit. Sie decken auch ein enges Geflecht zwischen mexikanischen Staatsbediensteten und der organisierten Kriminalität auf, das die Täter:innen schwer belastet und finden Beweise durch Fingerabdrücke, akribisches Durchsuchen von Akten und Sammlung von Zeugenaussagen.
Spionagesoftware gegen Zivilgesellschaft
Am 24. November 2021 machten Turati, Delgadillo und Doretti öffentlich, dass die mexikanische Staatsanwaltschaft sie in den Jahren 2015 und 2016 ausspionierte. Angeblich seien die Journalistin, die Anwältin und die Forensikerin in eine Entführung und organisierte Kriminalität verwickelt, lautet die offizielle Begründung dafür. „Sie haben Angst, dass die Knochen sprechen“, erklärt hingegen Marcela Turati. „Die Kommunikation, Kontakte und Bewegungen einer Journalistin, die das kriminelle Drama eines Massakers untersucht, auszuspionieren, ist ein Schlag in das Herz des Investigativjournalismus. Es hinterlässt eine klare Botschaft: in Mexiko ist es einfacher ein Verbrechen zu begehen als es aufzuklären“, so die 47-Jährige.
Unterstützen Sie die Forderung nach Aufklärung
Turati setzt sich öffentlich zur Wehr. Mit einer Petition fordert sie das sofortige Ende der juristischen Verfolgung von Journalist:innen durch die mexikanische Regierung. Stattdessen müsse die illegale Spionage aufgeklärt und die verantwortlichen Personen verurteilt werden. Außerdem sollten die immer noch laufenden Ermittlungen gegen sofort beendet und vom Fall des Massakers in San Fernando getrennt werden. Unterstützen Sie diese Forderungen hier.