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Kein Kniefall vor den Rechten

Als eine der reichsten Industrienationen der Welt muss Deutschland der Mit-Verantwortung für Flucht und deren Ursachen gerecht werden. Von der neuen Bundesregierung fordert Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden: Sie darf sich nicht länger von mutwillig geschürten Ängsten treiben lassen.

Von Silke Pfeiffer am
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2015 darf sich nicht wiederholen. Angesichts der Entwicklungen in Afghanistan in den vergangenen Wochen verkam dieser Satz bei konservativen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern zu einer Art Prolog für alle weiteren Debatten. Da sind sie wieder, die reflexhaften Abwehrreaktionen, der präventive Kniefall vor der AfD, deren Fraktionsvorsitzende postwendend ein „Null-Asyl-Modell“ fordert.

Das Bild massiver Flüchtlingsströme nach Europa, das Ängste schüren und Abwehr hervorrufen soll, verkennt zum einen, dass die große Mehrheit der weltweit Geflüchteten als interne Vertriebene im Land bleibt oder in den Nachbarländern Zuflucht sucht. Und es untergräbt zum anderen die völker- und menschenrechtliche Verantwortung zur Aufnahme von Schutzbedürftigen, die Deutschland hat, zumal als reiches Land. Und nicht zuletzt stiehlt es sich aus der Mit-Schuld, die Deutschland und die EU für die Verursachung der Verhältnisse tragen, die Menschen in die Migration treiben. So heizen in vielen Ländern der Welt deutsche Waffen Konflikte an oder vertreiben durch Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse immer mehr Menschen.

Wie kann eine verantwortungsvolle Politik aussehen? FDP-Chef Christian Lindner etwa schlägt vor, die Mittel für humanitäre Organisationen wie das UN-Flüchtlingswerk und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zu erhöhen. So richtig die Idee ist, Geflüchtete in der Region selbst zu versorgen, so sehr sollten die demokratischen Parteien endlich den Diskurs über Flucht und Migration hierzulande verändern: Konzepte wie Verantwortung, Solidarität und das entwicklungsfördernde Potential von Migration müssen stärker in den Blick rücken.

Die Wahlprogramme der demokratischen Parteien verpflichten sich zur Achtung des Rechts auf Asyl. Fakt aber ist: An ihren Außengrenzen macht sich die Europäische Union massiver Menschen- und Völkerrechtsverletzungen schuldig. Sie toleriert inakzeptable humanitäre Zustände in den Lagern auf den griechischen Inseln oder an der bosnisch-kroatischen Grenze und lässt zu, dass Tausende im Mittelmeer ertrinken. Gewalt und illegale Push-Backs durch Sicherheitskräfte sind zahlreich dokumentiert.

 

Notlage und Problemstellungen werden nur verlagert

Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf eines neuen EU- Migrations- und Asylpakts besiegelt zudem den Trend, Flucht- und Migrationskontrolle vornehmlich in außereuropäische Länder zu verlagern - ungeachtet der menschenrechtlichen oder humanitären Situation in den jeweiligen Staaten. Dies läuft auf den simplen Deal hinaus: Ihr sichert die Grenze und nehmt Migrantinnen und Migranten zurück. Wir geben Euch Entwicklungsgelder und sonstige Vorteile. Nach diesem Muster kamen zuletzt zahlreiche Staatenabkommen zustande.

Dass die Unterzeichnenden dabei in Bezug auf die Sicherheits- und Menschenrechtslage in den Drittländern gern Augen und Ohren zuhalten, lässt sich am Beispiel Türkei beobachten. Bestens dokumentiert sind sowohl Push-backs von syrischen sowie Menschenrechtsverletzungen an afghanischen Flüchtlingen. Trotzdem hält man am Diskurs des sicheren Drittstaates fest. Mit der Entscheidung, Zäune zu errichten und die Migrationskontrolle zu externalisieren, werden die humanitären Notlagen und politischen Problemstellungen jedoch lediglich verlagert.

Deutschland muss Mit-Verantwortung für Fluchtursachen übernehmen und menschen- und völkerrechtlichen Standards im Umgang mit Geflüchteten wahren. Wir erwarten daher von einer künftigen Bundesregierung,

  • verstärkt Perspektiven dafür zu eröffnen, dass Migration die Globalisierung positiv prägt, wenn sie entwicklungsfördernd und menschenrechtsbasiert gestaltet wird. Die „Globalen Pakte für sichere, geordnete und reguläre Migration“ und „für Flüchtlinge“ der UN setzen einen Rahmen für die geteilte Verantwortungsübernahme aller Staaten für Geflüchtete und Migrierende weltweit.
  • zusammen mit der EU nachteilige Auswirkungen der Agrar-, Außenwirtschafts-, Handels-, Rohstoff- und Klimapolitik zu verhindern, um den Ursachen für erzwungene Migration und Flucht entgegenzuwirken.
  • statt auf Migrationsmanagement mit autoritären Regimen auf eine an Menschenrechten orientierte Entwicklung zu setzen. Deutschland und die EU sollten ihre Entwicklungszusammenarbeit nicht weiter davon abhängig machen, ob ein Land Geflüchtete aus Europa zurücknehmen will oder Migrationsrouten zum Teil mit Gewalt kontrolliert. Die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern sollte auf die Ursachen ausgerichtet sein, die Menschen dazu zwingt, diese Länder zu verlassen.
  • sich für den verstärkten Ausbau legaler Flucht- und Migrationswege einsetzen, damit Menschen nicht gezwungen werden, lebensgefährliche Flucht -und Migrationsrouten nehmen zu müssen. Dazu gehören Umsiedlungsprogramme, Familienzusammenführung und humanitäre Visa für Schutzbedürftige sowie der Ausbau von Möglichkeiten bei der Erwerbsmigration. Notwendig sind die Wiederaufnahme staatlicher Seenotrettung und der Stopp der Kriminalisierung ziviler Seenotrettung.
  • die menschen- und völkerrechtlichen Standards an den EU-Außengrenzen zu wahren. Dazu gehört das Recht auf und der Zugang zu einem fairen Asylverfahren. Es darf keine willkürlichen Inhaftierungen oder Rückführungen an den europäischen Außengrenzen geben. Das Non-Refoulement-Prinzip, also das Verbot der Rückführung von Personen in Staaten, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, muss als zwingendes Völkerrecht geachtet werden.

 

Dieser Text ist ein Beitrag in der Reihe #brotfürdiewahl im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Alle weiteren Beiträge finden Sie hier.

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