Am 20. April 2021 luden Brot für die Welt und das Deutsche Institut für Menschenrechte zur Werner- Lottje-Lecture ein, die damit bereits zum achten Mal stattfand. In Erinnerung an den großen Visionär der Menschenrechtsarbeit in Deutschland werden hier jedes Jahr aktuelle Herausforderungen beim Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen diskutiert. Zudem werden mit der Veranstaltungsreihe auch couragierte Menschenrechtsaktivist:innen für ihren couragierten Einsatz für die Menschenrechte ausgezeichnet.
Kollektiver Schutz der angestammten Territorien
Wie Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt, in ihrer Begrüßung herausstellte, wurde dieses Mal aber nicht eine einzelne Person, sondern ein ganzes Kollektiv geehrt: Die Mitglieder der indigenen Garde – Kiwe Thegnas – sind die Verteidiger:innen der angestammten Territorien einzelner Dorfgemeinschaften der indigenen Nasa in der Region Cauca im Südwesten Kolumbiens. Die Kiwe Thegnas patrouillieren in ihren angestammten Gebieten und wehren sich friedlich gegen das Eindringen bewaffneter Gruppen. Die Guardia Indígena unterstützt die traditionellen Autoritäten bei der Ausübung ihrer Funktionen, schützt die Gemeinden vor bewaffneten Akteuren und koordiniert in Notfällen Rettungseinsätze oder Katastrophenhilfe. Darüber hinaus engagieren sich ihre Ortsgruppen im Bereich politische Bildung sowie für die Bewahrung und Wiederbelebung traditioneller kultureller Praktiken. Als Erkennungszeichen tragen sie den „Chonta“, einen Holzstab, der hohe symbolische und kulturelle Bedeutung hat. Menschenrechte werden hier im und durch das Kollektiv geschützt.
Friedensdividende bleibt aus
Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt, betonte in ihrer Einführung, dass Kolumbien das mit Abstand gefährlichste Land weltweit für Menschenrechtsverteidiger:innen ist. Laut den Zahlen der kolumbianischen NGO Indepaz wurden in den letzten fünf Jahren über 1.100 Aktivist:innen im Land ermordet. Und das, obwohl die kolumbianische Regierung und die Revolutionären Streitkräfte Kolumbien, die FARC, im November 2016 ein Friedensabkommen unterzeichnet haben, das zum Ziel hatte, an den strukturellen Ursachen der Gewalt im Land anzusetzen.
Dass die versprochene Friedensdividende ihre Gemeinschaften aber nicht erreicht hat, betonten die Vertreter:innen der Guardia Indígena, Yina Baicue und Arbey Noscue. Zwar sei der Friedenvertrag selbst positiv zu bewerten, aber vor allem die seit 2018 von Iván Duque angeführte Regierung hätte zu wenig getan, um diesen auch umzusetzen. So sei durch die Demobilisierung der FARC-Truppen ein Machtvakuum in der Region entstanden, das schnell durch bewaffnete Gruppen gefüllt wurde, die in organisierte Kriminalität und dem Drogenhandel verwickelt sind. Auf das Konto dieser Gruppen gingen auch die meisten der Morde an Menschenrechtsaktivist:innen und indigenen Anführer:innen, die sich gegen die illegalen Machenschaften auf ihrem Gebiet zur Wehr setzten. Vom kolumbianischen Staat könne hier kein Schutz erwartet werden: Zu oft steckten korrupte Staatsvertreter:innen mit der organisierten Kriminalität unter einer Decke. Die Corona-Pandemie habe die Lage weiter verschärft. Während die politische Arbeit der Guardia Indígena erheblich eingeschränkt sei, könnten sich die bewaffneten Gruppen frei bewegen und ihren Geschäften nachgehen. Angesichts geschlossener Schulen habe die Rekrutierung von Kindersoldat*innen zugenommen.
Schwacher Staat kommt Schutzverantwortung nicht nach
Mary Lawlor, die UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidiger:innen, betonte, dass der kolumbianische Staat seiner Schutzverantwortung gegenüber den bedrohten Aktivist:innen nicht nachkomme. Zwar hätte Kolumbien nicht nur viele relevante Menschenrechtsverträge ratifiziert und sogar ein staatliches Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidiger:innen ins Leben gerufen, allerdings sei das Programm unterfinanziert und leide auch am mangelnden Vertrauen der kolumbianischen Menschenrechtsverteidiger:innen.
Laut Aussage des deutschen Botschafters in Kolumbien, Peter Ptassek, sei die massive Bedrohung von Menschenrechtsverteidiger:innen im Land aber weniger auf die Regierung Duque zurückzuführen, sondern in einer strukturellen Schwäche des kolumbianischen Staats begründet. Denn dieser sei so schwach, dass er in vielen Regionen, wie eben in Cauca, gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, das durch den Friedensschluss entstandene Machtvakuum zu füllen. Trotzdem müsse festgehalten werden, dass der Friedenprozess jetzt schon zu einer Verbesserung der Lage geführt habe. Nun müsse aber alles dafür getan werden, den Friedensvertrag vollständig umzusetzen. Dabei zu unterstützen sei auch eine Pflicht der internationalen Gemeinschaft und Deutschlands. Auch die Unterstützung von bedrohten Menschenrechtsverteidiger:innen sieht der Botschafter als eine wichtige Aufgabe der deutschen Botschaft vor Ort. Dazu gehöre auch, in der kolumbianischen Öffentlichkeit für Menschenrechtsaktivist:innen und soziale Anführer:innen als wichtigen Motoren sozialen Wandels zu werben. Für einen echten Schutz vor allem auch von indigenen Aktivist:innen sei es aber notwendig, dass langfristig wieder Vertrauen zwischen ihren Gemeinschaften und den staatlichen Institutionen aufgebaut wird.
Wie können wir dem Staat vertrauen?
Wie beschädigt dieses Vertrauen in den Staat im Moment ist, machte zum Ende der Veranstaltung nochmal Alejandro Ramos von der Guardia Indígena deutlich: „Alle staatlichen Institutionen sind korrupt. Ich habe gesehen wie 50 Meter neben einer Polizeistation jemand ermordet wurde. Und danach hat der Mörder die Polizisten gegrüßt. Wie sollen wir da dem Staat vertrauen?“ Von der internationalen Gemeinschaft und der weltweiten Zivilgesellschaft wünscht sich die Guardia Indígena eine Begleitung ihrer Arbeit vor Ort. Besuche von Vertreter:innen aus dem Ausland könnten ihre Sicherheit erhöhen.