Pandemie verstärkt ungerechte Beteiligung an COP 26
Eigentlich sollte die 26. UN Klimakonferenz in Glasgow – auch bekannt als COP 26 (Conference of the Parties) – bereits im November letzten Jahres stattfinden. Weil die Pandemie und Maßnahmen zum Infektionsschutz Reisen und Konferenzen unmöglich machten, wurde sie um ein Jahr verschoben. Auch wenn sich in unserem Alltag und Arbeitsleben in den letzten Monaten wieder viel normalisiert hat - wegen der Pandemie können viele Delegierte und Aktivist:innen aus den am meisten gefährdeten Ländern der Welt an der COP 26 nicht teilnehmen. Deshalb forderte das Climate Action Network bereits im September, dass die COP nochmals verschoben werden müsste. Tasneem Essop, Geschäftsführerin des Netzwerks betonte, dass es bei den UN-Klimaverhandlungen schon immer ein Machtungleichgewicht zwischen den reichen und den ärmeren Ländern gab. Dies wird nun durch die Gesundheitskrise massiv verstärkt.
Statt der inklusivsten die exklusivste COP aller Zeiten
Die Befürchtungen der Zivilgesellschaft haben sich inzwischen bestätigt: Ein Drittel der kleinen pazifischen Inselstaaten kann laut Guardian zur COP 26 wegen der Covid-Reiserestriktionen keine Regierungsdelegation schicken. Laut des Pacific Islands Climate Action Network (PICAN) ist die Teilnahme an der COP 26 für Aktivist:innen aus dem Pazifik nahezu unmöglich. Die strengen Quarantänevorschriften bei der Rückkehr in die pazifischen Länder hätten zur Folge, dass sie einen Monat lang Urlaub nehmen müssten. Dazu kommen Flüge, die bis zum Doppelten des Preises vor der Pandemie kosten, hohe Übernachtungskosten in Schottland und die Angst, Covid-19 in gefährdete Gemeinschaften zu tragen. Die Kosten müssen die zivilgesellschaftlichen Delegierten selbst tragen. Statt wie sonst 70 bis 80 zivilgesellschaftliche Vertreter:innen aus der Pazifikregion werden in diesem Jahr daher nur schätzungsweise 20 bis 30 teilnehmen können. Dabei hatte Alok Sharma, britischer Politiker der Conservative Party, Staatsminister im Cabinet Office und seit dem 13. Februar 2020 Präsident der COP 26, vor langer Zeit angekündigt, dass in Glasgow die inklusivste COP stattfinden würde, die es je geben hat. Doch nun sieht es so aus, als werde es die exklusivste der Geschichte. Dass kleine pazifische Inselstaaten nicht teilnehmen, könnte sich auch auf die Ergebnisse der Konferenz auswirken: In der Vergangenheit war die persönliche Anwesenheit führender Persönlichkeiten und der Zivilgesellschaft aus dem Pazifik entscheidend dafür, ehrgeizige Ziele wie das 1,5 Grad-Ziel zu verabschieden.
Bereits 2018 wurden zivilgesellschaftliche Vertreter:innen ausgeschlossen
Dass Klimaaktivist:innen an der COP nicht teilnehmen können, ist leider nichts Neues. Bereits im Dezember 2018 wurden mindestens zwölf Mitarbeitenden von Klimaorganisationen die Einreise nach Polen verweigert. In einigen Fällen wurden sie sogar abgeschoben, um sie an der Teilnahme der UN-Klimakonferenz in Katowice zu hindern. Die Grundlage dafür hatte sich Polen vorher geschaffen: Ein umstrittenes neues Sicherheitsgesetz, das Anfang des Jahres speziell im Zusammenhang mit der COP verabschiedet worden war. Das Gesetz verbot unter anderem spontane Demonstrationen und erlaubte es den polnischen Behörden, Daten über Konferenzteilnehmer:innen zu sammeln. Laut Amnesty International hatte das Gesetz und die langwierige Visabeantragung bereits zuvor eine abschreckende Wirkung auf zivilgesellschaftliche Teilnehmer:innen: Bereits 2018 hatten sich deshalb viele Aktivist:innen aus dem globalen Süden gegen eine Teilnahme entschieden. Die polnische Regierung verstieß mit der Durchsetzung des Gesetzes und den Bemühungen, COP-Teilnehmer:innen an der Grenze abzuweisen, gegen die Aarhus-Konvention - ein internationales Abkommen, das die Beteiligung der Öffentlichkeit also auch der Zivilgesellschaft an Umweltverhandlungen sicherstellen soll. Dabei gibt es eine regionale Begrenzung der Konvention: Nur europäische Staaten sind Vertragsparteien. Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten wie die Aarhus-Konvention offiziell heißt, hat mehrere Dimensionen. Sie will künftig auch den Schutz von Umweltaktivist:innen verbessern. Deshalb haben die Vertragsparteien der Konvention am 21. Oktober 2021 entschieden, zukünftig einen Eilmechanismus (rapid response mechanism) einzurichten. Hierzu soll ein Sonderberichterstatter für Umweltschützer:innen eingesetzt werden, den die Vertragsparteien 2022 wählen werden.
Mindestens vier Umwelt- und Landrechtsaktivist:innen pro Woche ermordet
Der Handlungsraum der Zivilgesellschaft ist nicht nur bei Klimakonferenzen von großer Bedeutung. Wie sehr ihre Arbeit bedroht wird, zeigen die Zahlen der internationalen NGO Global Witness. Seit mehr als zehn Jahren sammelt sie Daten über die Tötung von Land- und Umweltschützer:innen. Die Organisation beschreibt in ihrem im September 2021 veröffentlichten Bericht „Last Line of Defence“, wie mit der Verschärfung der Klimakrise auch die Gewalt gegen diejenigen zunimmt, die nicht nur für ihr Land kämpfen, sondern auch für den Erhalt der Grundlagen für biologische Vielfalt und das Klima. Die unverantwortliche Ausbeutung und Gier, die die Klimakrise befeuern, treibe auch die Gewalt gegen Land- und Umweltschützer voran, so Global Witness. Im Jahr 2020 zählte die Organisation 227 tödliche Angriffe - im Durchschnitt mehr als vier Menschen pro Woche. Diese Zahlen umfassen mit ziemlicher Sicherheit nicht alle Ermordungen von Umwelt- und Landrechtsaktivist:innen, da viele Angriffe nicht gemeldet werden. Das macht das Jahr 2020 zum gefährlichsten Jahr in der Geschichte jener, die ihr Land und lebenswichtige Ökosysteme verteidigen. Diese tödlichen Angriffe stehen im Zusammenhang mit dem breiten Spektrum von Bedrohung und Unterdrückung, die Brot für die Welt auch im Atlas der Zivilgesellschaft als Shrinking Civil Society Space beschreibt wie zum Beispiel Einschüchterung, Schikanen, Drohungen, Überwachung, sexuelle Gewalt, Kriminalisierung und repressive Gesetze.
Besonders gefährlich: Kolumbien, Mexiko und die Philippinen
Mehr als die Hälfte der im letzten Jahr von Global Witness erfassten Morde fanden in nur drei Ländern statt: in Kolumbien, Mexiko und den Philippinen. Wie die Auswirkungen der Erderwärmung, sind auch die Folgen der Gewalt gegen Land- und Umweltschützer:innen nicht überall auf der Welt gleich stark zu spüren. Der Globale Süden leidet am stärksten unter den unmittelbaren Folgen der Klimakrise. Bis auf eine Ausnahme (Kanada) passierten alle 227 registrierten Morde an Umweltschützer:innen in den Ländern des Globalen Südens. Die gefährlichsten Länder sind Kolumbien (65 Ermordungen), Mexiko (30) und die Philippinen (29). Gerade in diesen Ländern wäre ein Schutzmechanismus für Umweltaktivist:innen, wie in die Aarhus-Konvention künftig vorsieht, am dringlichsten. Leider gehören nur europäische Staaten zu den Vertragsparteien.
Wofür sich die neue Bundesregierung stark machen muss
Um Umwelt- und Klimaschutz zu verbessern, müssen sich Umwelt- und Klimaschützer:innen ohne Furcht vor Repressionen beteiligen und engagieren können. Die neue Bundesregierung muss sich deshalb für ihre Beteiligung und ihren Schutz einbringen. Sie muss sich ganz konkret für ein starkes und wirksames Mandat des neuen Schutzmechanismus und Sonderberichterstatters der Aarhus-Konvention einsetzen. Da die Aarhus-Konvention nur europäische Vertragsparteien hat, der Schutz der Umweltaktivist:innen aber im Globalen Süden am dringlichsten ist, sollte sich die Bundesregierung für die Öffnung der Aarhus-Konvention für Staaten aus anderen Weltregionen oder sich für ein globales Abkommen einsetzen. Die Bundesregierung muss sich auch in anderen Ländern auf nationaler Ebene für effektive Schutzmechanismen engagieren, die die Sicherheit von Umwelt- und Klimaschützer:innen, aber auch Menschenrechtsverteidiger:innen gewährleisten, und ihren Einsatz gegen Straflosigkeit ausbauen. Und ganz besonders muss sie sich für ein wirksameres und stärkeres Lieferkettengesetz stark machen, das mehr Unternehmen verpflichtet, spezifische Richtlinien und Prozesse einzuführen, um betroffene Gruppen, Umwelt- und Klimaschützer:innen, aber auch Menschenrechtsverteidiger:innen und deren Anliegen wirkungsvoll in Risikofolgenabschätzungen einzubeziehen.