Städte sind Treiber des weltweiten Klimawandels
Bereits jetzt lebt weltweit mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten, bis zum Jahre 2050 werden es zwei Drittel sein. Das größte Städtewachstum findet in Asien und Afrika, also im Globalen Süden statt. Treiber dieser rasanten Urbanisierung sind neben dem natürlichen Bevölkerungswachstum innerhalb der Städte der Klimawandel und die Verknappung von landwirtschaftlichen Flächen im ländlichen Raum. Viele Menschen müssen ihre Heimat auf dem Land verlassen, weil zunehmende Dürren und Starkregen die landwirtschaftlichen Erträge reduzieren und sie dort keine Lebensgrundlage mehr haben. In der Folge kommt es zu einem ungeplanten und kaum mehr steuerbaren städtischen Wachstum: gegenwärtig leben weltweit bereits über eine Milliarde Menschen in illegal errichteten Unterkünften in den zunehmend dichter werdenden Slums der Innenstädte oder in informellen Siedlungen, die an den Stadträndern wie Pilze aus dem Boden schießen. Wenn sich die gegenwärtige Entwicklung fortschreibt, werden es im Jahre 2030, also zum Ende der Agenda 2030, über drei Milliarden Menschen sein. In den Städten werden 80 Prozent der Wirtschaftsleistung und ca. 70 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes generiert. Verantwortlich dafür ist vor allem eine massive Bautätigkeit mit konventionellen Materialien wie Beton und Stahl. Aber auch Verkehrskonzepte, die den motorisierten Individualverkehr begünstigen und kaum Möglichkeiten und Anreize bieten, einen kostengünstigen und klimafreundlichen öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen, tragen maßgeblich zum CO2-Ausstoß der Städte bei.
Prekär Beschäftigte und Zugewanderte sind besonders vom Klimawandel betroffen
Gleichzeitig sind unterprivilegierte Stadtbewohnerinnen und -bewohner, also prekär Beschäftigte und Tagelöhner*innen, neu Zugezogene und unter diesen besonders Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen und Menschen mit Behinderungen den Folgen des Klimawandels besonders ausgeliefert. Sie leben meist in provisorischen, illegal errichteten Unterkünften, die sich oft an Hanglagen, in überschwemmungsgefährdeten Küstengebieten oder in der Nähe von Müllplätzen befinden. Hitzewellen, starkregenbedingte Erdrutsche, Stürme und Überflutungen ganzer Stadtteile aufgrund des steigenden Meeresspiegels treffen städtische Armutsgruppen besonders hart. Menschen, die in provisorischen Wohnverhältnissen in Gebieten leben, die nicht als Wohngebiete ausgewiesen sind, haben selten Zugang zu preiswerten sauberen Wasser. Sie leiden deshalb besonders stark unter den zunehmenden Hitzewellen in den Städten des Südens. Genauso selten verfügen ihre Wohngebiete über Entwässerungskanäle oder Auffangbecken für Überschwemmungswasser. Kommt es zu Starkregenereignissen, Sturmfluten oder Wirbelstürmen, sind nicht selten Erdrutsche und Überschwemmungen die Folge, bei denen viele Menschen ihr gesamtes Hab und Gut oder sogar ihr Leben verlieren. Gegenwärtig sind 70 Prozent der Stadtbewohnerinnen und Bewohner, die in illegalen Wohnverhältnissen leben, den Folgen des Klimawandels in besonderem Maße ausgeliefert, Tendenz steigend.
Die Anpassung an den Klimawandel ist die zentrale Zukunftsaufgabe
Die zentrale Bedeutung der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels in den Städten rückt immer mehr in das öffentliche Bewusstsein: der diesjährige Weltstädtetag, der World Cities Day, hat es zur zentralen Zukunftsaufgabe erklärt, die Widerstandfähigkeit der Städte gegen die Folgen Klimawandels zu verbessern, und die am 31. Oktober beginnende Klimakonferenz in Glasgow (COP26) räumt Zusammenhängen von Urbanisierung und Klimawandel großen Raum ein. Erforderlich sind jetzt ganz konkrete Aktionspläne, beispielsweise für die Erhöhung von Deichen in Küstenstädten und für den Ausbau von Entwässerungs- und Frühwarnsystemen. Aber auch für die Versorgung ganzer Stadtteile mit einer Infrastruktur für Trinkwasser, Kanalisation, Müllabfuhr und die Bereitstellung von Wohnraum, der den Wetterextremen standhalten kann, sollte ganz oben auf der Agenda stehen. Sollte eine Aufwertung bestimmter Stadtteile aufgrund von ihrer Hanglage oder ihrer Lage in Überschwemmungsgebieten nicht möglich sein, dann müssen Ersatzflächen zur Verfügung gestellt werden. Zentral ist dabei die Einbeziehung der Menschen, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall: aufgrund ihrer illegalen Wohnsituation sind Bewohner und Bewohnerinnen innerstädtischer Slums und informeller Siedlungen meist nicht als Rechtspersonen anerkannt. Ihnen werden grundlegende Menschenrechte, wie das Recht auf sauberes Wasser, das Recht auf Gesundheit und sichere Unterkunft verweigert. Weil sie keine offizielle Adresse haben, können sie diese Rechte auch nicht einklagen.
Klimaanpassung braucht die Einbeziehung aller Betroffenen
Vielen Stadtverwaltungen sind informelle Siedlungen nach wie vor ein Dorn im Auge. Sie sind weit davon entfernt, diese Form des Wohnens und Lebens als eine notwendige Anpassungsmaßnahme von Menschen in Not an neue Lebensumstände anzuerkennen. Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen von Städtern in illegalen Wohnverhältnissen und sogar die Räumung von ganzen städtischen Quartieren sind in weiterhin an der Tagesordnung. Mit dieser Vorgehensweise ist jedoch nicht nur eine Missachtung fundamentaler Menschrechte verbunden, sie führt auch zu einer Fluktuation der Bewohnerinnen und Bewohner innerhalb der Städte. Damit blockiert sie eine umfassende Information der Bevölkerung über Möglichkeiten zur Anpassung an den Klimawandel und verhindert ihre Beteiligung an entsprechenden Maßnahmen. Sie hindert die Betroffenen daran, sich zu organisieren um sich im Schadensfall Gehör zu verschaffen und Entschädigungen geltend zu machen. Ohne eine systematische Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner aller städtischen Quartiere werden jedoch alle Anstrengungen, den bereits stark spürbaren Folgen des Klimawandels zu begegnen, ins Leere laufen. Rechtlich gesicherte Wohn- und Mitspracherechte sind auch und insbesondere von Bewohnerinnen und Bewohnern informeller Siedlungen für eine inklusive, gerechte und ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung, wie sie unter anderem auch im SDG 11 gefordert wird, unerlässlich. Nur eine starke städtische Zivilgesellschaft, die das weite Spektrum unterschiedlichster Stadtbewohnerinnen und -bewohner abbildet, kann konstruktiv zur Eindämmung des Klimawandels beitragen.