Interview

Zeit zum Umdenken: EU-Mercosur stoppen!

Vier Tage vor dem Globalen Klimastreik protestiert Brot für die Welt, in einem breiten Bündnis, vor der brasilianischen Botschaft gegen das EU-Mercosur-Abkommen. In einem Interview erklärt unser Handelsexperte Sven Hilbig, warum dieser Vertrag den Klimawandel anheizt, die Menschenrechtslage in Brasilien verschärft und das wirtschaftliche Ungleichgewicht zu Lasten Südamerikas verschlechtert

Von Redaktion am
Sven Hilbig

Referent für Welthandel

Warum will Brot für die Welt das Abkommen stoppen?

Sven Hilbig: Brot für die Welt fordert einen Stopp des Handelsabkommens zwischen der EU und den Mercosur-Staaten, weil es:

• die Menschenrechtslage in den Mercosur-Staaten, insbesondere in Brasilien, verschlechtert, - da eine Ausweitung der industriellen Landwirtschaft und des Bergbaus, die Landkonflikte verschärfen wird, - was zu einer Vertreibung von Kleinbauern und Indigenen führt;

• die Klimakrise anheizt, da der An- und Abbau von Rohstoffen die Entwaldungsraten im Amazonas beschleunigt;

• das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Europa und Südamerika weiter zu Lasten der südamerikanischen Staaten verschlechtert. Bereits jetzt weist der Mercosur ein Handelsbilanzdefizit gegenüber Europa auf. Da zukünftig noch mehr niedrigpreisige Rohstoffe in die EU exportiert werden sollen, während der Mercosur verstärkt hochpreisige Industriegüter aus der EU importiert, würde dieses Defizit weiter zunehmen. Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik sieht sogar die Gefahr eine Deindustrialisierung.

Verliert die EU nicht an Einfluss, wenn sie die Verhandlungen stoppt?

Deutsche und europäische Unternehmen pflegen seit Jahrzehnten sehr gute Handelsbeziehungen zu den Mercosur-Staaten, - ohne dass es ein Abkommen zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken gibt. Allein in Sao Paulo sind über 1.000 deutsche Unternehmen tätig.

Die deutsche Industrie, allen voran die Automobilunternehmen, kaufen in hohem Umfang brasilianisches Erz bzw. Stahl. Ein Geschäft, das für den brasilianischen Regenwald zerstörerisch ist. Schauen wir uns die Entwaldungsraten der letzten 25 Jahre an, dann ist nicht die Landwirtschaft, sondern die Stahlindustrie hauptverantwortlich für die Abholzung des Amazonas. Das hat zwei Gründe. Zunächst wird der Wald abgeholzt, um an das darunterliegende Erz zu gelangen. Und dann wird Wald abgeholzt, um mit dem Holz aus Erz Stahl zu generieren.

Im Gegensatz zu anderen Regionen auf der Welt, verwendet die brasilianische Stahlindustrie zur Verhüttung keine Steinkohle, sondern Holzkohle. Dies hat erhebliche Vorteile für die Autoindustrie. Denn der mit Holzkohle hergestellte Stahl ist flexibler und dünner. Deswegen ist der brasilianische Stahl auch so beliebt. Regenwaldzerstörung und Verschärfung des Klimawandels werden dabei billigend in Kauf genommen.

Wenn deutsche und europäische Unternehmen ihren Einfluss zugunsten von Menschen und Natur in Brasilien geltend machen wollen, dann können sie das bereits jetzt tun, indem sie ihre Geschäftspraktiken ändern. Dafür brauchen sie kein Handelsabkommen. Erst recht kein Abkommen, das die Probleme weiter verschärft.

Warum sollte Bolsonaro sich von einem Stopp beeindrucken lassen?

Ob Bolsonaro sich von einem Stopp der Verhandlungen beeindrucken lässt, wissen wir nicht. Was wir wissen ist, dass Bolsonaro bereits zu Beginn seiner Amtszeit prophezeit hat, seine menschenrechtsverachtende Politik werde die EU nicht davon abhalten, mit dem Mercosur ein Handelsabkommen zu schließen. Zurzeit sieht es leider so aus, als wenn der brasilianische Präsident recht behält. Mit dem Abkommen würde die EU die Botschaft senden, dass ihr die Entwicklung in Brasilien egal sei, und damit Bolsonaros Politik einen Freibrief ausstellen. Das darf auf gar keinen Fall passieren!

Wir müssen uns hierbei folgendes vergegenwärtigen: Die EU hat sich schon vor vielen Jahren dazu verpflichtet, die Menschenrechte auch in ihren Handelsbeziehungen zu respektieren und zu schützen. Handelsabkommen enthalten deswegen eine menschenrechtliche Vereinbarung, wonach die EU aus einem Vertrag aussteigen kann, wenn in dem anderen Land, mit dem sie das Abkommen vereinbart hat, die Menschenrechte schwer verletzt werden. Daraus folgt, dass die EU mit einem Land wie Brasilien, wo die Menschenrechte seit langem systematisch mit den Füßen getreten werden, erst gar kein Abkommen eingehen darf. Das ist keine Frage von Moral, sondern eine rechtliche Verpflichtung.

Dass die Menschenrechte in Brasilien verletzt werden und sich die Menschenrechtslage unter Bolsonaro dramatisch verschärft hat, geht aus zahlreichen Berichten der Vereinten Nationen sowie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hervor. Und deren Inhalte sind sowohl der Bundesregierung als auch der EU-Kommission bekannt. Die Beschwerden, die der UNO und der OAS vorliegen sind vielfältig und massiv:

Menschenrechtsaktivisten, Gewerkschafter und Umweltschützer:innen erhalten Morddrohungen und werden tätlich angegriffen. Viele von ihnen mussten ihr Engagement bereits mit dem Leben bezahlen.

• Auf Polizeistationen und in den Gefängnissen wird tausendfach gefoltert.

• Landesweit werden Menschen von Polizisten oder Todesschwadronen, deren Mitglieder einen hohen Anteil an noch tätigen oder ehemaligen Polizisten aufweisen, hingerichtet. In 2019 wurden allein in Rio de Janeiro fast 2.000 Zivilisten durch Polizeikugeln getötet. Bei den meisten Opfern handelt es sich um arme - schwarze - junge Männer aus den Favelas.

Das Besondere und Perfide an den Menschenrechtsverletzungen in Brasilien ist, dass sie überwiegend von staatlichen Akteuren ausgeübt werden, - und dass die gegenwärtige Regierung deren Vorgehen offen unterstützt.

Dass die Bundesregierung und die EU, unter diesen Umständen, ein Handelsabkommen mit Brasilien überhaupt nur in Erwägung ziehen, ist ein Skandal, - und ein Verrat an den europäischen Werten. Wenn die Friedensnobelpreisträgerin EU eine wertegeleitete Handelspolitik verfolgen will, darf dieses Abkommen nicht zustande kommen.

Unterstützt ihr damit nicht (indirekt) den Protektionismus der EU-Agrarlobby?

Das Abkommen wird nicht nur von der europäischen Agrarlobby kritisiert, sondern auch von Landwirten mit kleinbäuerlichen Strukturen. Sie befürchten ein Preisdumping und sehen die Gefahr, dass ihre qualitativ hochwertigen Lebensmittel ins Hintertreffen geraten können. Wir von Brot für die Welt sind keine Gegner des Welthandels. Im Gegenteil. Was wir aber fordern, ist, dass der Welthandel sich an bestimmte Regeln hält, wie Fairness und Umweltverträglichkeit. Gerade für Entwicklungsländer ist es wichtig, dass der Welthandel offen – und nicht einseitig - gestaltet wird.

Für die Mercosur-Staaten folgt daraus u. a., dass sie darin unterstützt werden müssen, sich vom einseitigen Export von Rohstoffen zu lösen, - und sie befähigt werden, ihre Produkte weiter zu verarbeiten. Anstatt Stahl zu exportieren, sollten Industrieprodukte im Land hergestellt werden. Wie wäre es wohl um den Wohlstand Deutschlands bestellt, wenn wir uns nicht im 19. Jahrhundert zu einer Industrienation entwickelt hätten?

Das EU-Mercosur-Abkommen konterkariert jedoch solche Bemühungen, indem es den Staaten Lateinamerikas verbietet, Steuern und Abgaben auf Exporte von Bergbauprodukten zu erheben. Solche Abgaben dienen nicht nur dazu, die Staatseinnahmen zu erhöhen, sie können von Regierungen auch als wirtschaftslenkendes Instrument eingesetzt werden. Die Industrialisierung Preußens und später Deutschlands als auch der wirtschaftliche Aufstieg Japans haben dies gezeigt. In ihrer Nachfolge stehen Staaten Südostasiens, wie Südkorea oder Singapur, die vorgemacht haben, wie damit eine nachholende Entwicklung gelingen kann. Nämlich durch die Herstellung qualitativ hochwertiger Produkte. Dadurch wird im eigenen Land eine höhere Wertschöpfung – sprich Gewinnrate – erzielt.

Welche Einkommens-Alternativen gibt es aus Sicht von Brot für die Welt für brasilianische Landwirte?

Nach Ansicht unserer Partnerorganisationen hat die Landwirtschaft in Brasilien nur dann eine Zukunftsperspektive, wenn sie kleinbäuerlich und ökologisch gestaltet ist, und in erster Linie für den regionalen Markt produziert. Brot für die Welt fördert deswegen vor allem den Aufbau kleinbäuerlicher Betriebe. Zugleich setzen wir uns für eine Agrarreform ein. Eine Umverteilung des Landes an bäuerliche Betriebe würde die Arbeitslosigkeit in Brasilien bekämpfen und den Binnenmarkt ankurbeln. Unter Bolsonaro ist die Arbeit unserer Partner noch wichtiger geworden, da seine Regierung staatliche Programme zur Unterstützung der Familienlandwirtschaft und Agrarökologie immer weiter abbaut.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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