Herr Hoppe, was waren Ihre Gedanken, als Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro angekündigt hat, um die Bundeswehr aufzurüsten?
Ich war sehr erstaunt. Zwar kann ich verstehen, dass die Bundeswehr eine bessere Ausstattung braucht. Aber 100 Milliarden sind eine ungeheuerlich große Summe. Ein solcher Quantensprung scheint mir übertrieben zu sein. Und ich befürchte, dass dann das Geld an anderer Stelle nicht reichen wird, zum Beispiel für die sozial-ökologische Transformation, für die Eindämmung des Klimawandels und für den Kampf gegen den Hunger.
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat einen Ergänzungshaushalt vorgelegt, in dem das Entwicklungsministerium 1 Milliarde Euro mehr bekommen soll, um auf die direkten und indirekten Folgen des Krieges in der Ukraine angemessen reagieren zu können. Sie kritisieren diese Entscheidung – warum?
Es stimmt, das Entwicklungsministerium wird 1 Milliarde mehr Mittel bekommen, aber im Vergleich wozu? Im Vergleich zum Kabinettsentwurf vom März dieses Jahres, der drastische Kürzungen des Entwicklungsetats vorsah. Im Vergleich zum Vorjahr – und nur das zählt – gibt es keinerlei zusätzliche Mittel. Der Entwicklungsetat stagniert. Und das wird der enorm gewachsenen Herausforderung und dem im Vergleich zum Vorjahr viel größeren Bedarf keineswegs gerecht.
Die Welthungerhilfe befürchtet 50 Millionen mehr Hungernde durch die Folgen des Kriegs. Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung dieser Entwicklung genug Aufmerksamkeit widmet?
Nein, das habe ich ganz und gar nicht. Denn unterm Strich soll es für den Kampf gegen den Hunger keinen Cent mehr geben als im Vorjahr, während trotz des riesigen Sondervermögens für die Bundeswehr auch der reguläre Verteidigungshaushalt noch um 3,4 Milliarden anwachsen soll. Ein Einfrieren des Entwicklungsetats kann aber nicht die Antwort sein auf steil ansteigende Hungerzahlen. In Folge des Krieges in der Ukraine droht die weltweit größte Ernährungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Und wenn man dann nicht mehr Mittel für den Kampf gegen den Hunger bereitstellt, wird man mit dem gleichen Geld sehr viel weniger Menschen erreichen. Ich halte das Vorgehen der Bundesregierung für einen Skandal.
Was muss in Ihren Augen stattdessen passieren?
Der Bundestag hat ja das letzte Wort über den Bundeshaushalt. Ich hoffe, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier jetzt ihrer Verantwortung gerecht werden und die Fehlentscheidung der Regierung korrigieren. Die für den Kampf gegen den Hunger relevanten Titel in den Etats des Entwicklungs- und des Ernährungsministeriums sowie des Auswärtigen Amtes müssen insgesamt um 2,7 Milliarden Euro angehoben werden. Zusätzlich sollte Deutschland strukturelle Maßnahmen und Reformen anstoßen. Die Lebensmittelpreise sind ja nicht nur aufgrund des Krieges in der Ukraine gestiegen. Skrupellose Spekulanten haben zusätzlich die Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Da braucht es eine stärkere Regulierung der entsprechenden Börsen. Obama hatte so etwas schon mal an der Chicagoer Börse durchgesetzt, was Trump dann leider wieder zurückgenommen hat. Auch die französische Regierung ist bereit, stärker regulierend einzugreifen, um ausufernde Getreidepreise zu dämpfen. Dafür sollte sich auch Deutschland starkmachen. Was wir definitiv nicht brauchen, ist das Umpflügen von Naturschutzflächen in Deutschland, um hier mehr Weizen anzubauen. Stattdessen sollte weniger Weizen im Trog und im Tank landen.
Brot für die Welt sagt: „Wenn Weizen zur Waffe wird, sterben Millionen.“ Inwiefern wird Weizen zur Waffe?
Putin setzt jetzt schon Hunger als Waffe ein – im Kampf gegen die Ukraine. Russische Truppen haben Getreidelager in Brand geschossen, Landmaschinen und Weizen gestohlen, sie blockieren die ukrainischen Seehäfen und verhindern damit wichtige Exporte in den Nahen Osten und nach Nordafrika. Aber die Situation ist noch viel komplexer. Denn auch die Sanktionen gegen Russland tragen zur Verknappung von Weizen und Düngemittel und zum Anstieg der Preise bei und geben Putin die Chance, Entwicklungsländern Sonderverträge anzubieten und sich als Wohltäter aufzuspielen. Deshalb müssen die Sanktionen, die ich generell für notwendig halte, so gestaltet werden, dass trotzdem weiterhin auch Getreide und Düngemittel aus Russland und Belarus auf den Weltmarkt gelangen. Zugleich muss der Druck auf Russland erhöht werden, nicht länger in der Ukraine die Produktion und den Export von Getreide und Sonnenblumenöl zu beeinträchtigen. Dazu braucht es letztendlich auch die Einstellung der Kampfhandlungen. Denn jetzt schon sind dadurch Aussaat und Ernte in der Ukraine um etwa ein Drittel verhindert worden. Wenn jetzt nicht auf allen Ebenen kräftig gegengesteuert wird, droht wirklich Millionen von Menschen der Hungertod. Und betroffen sind wieder einmal die Ärmsten der Armen in den Ländern, die am wenigsten zu dieser Krise beigetragen haben.
Wie hat sich Ihr Blick auf die Zukunft durch die Ereignisse der vergangenen Wochen verändert?
Zur Klimakrise und der Pandemie ist durch den völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriffskrieg Russland auf die Ukraine und seine direkten und indirekten Folgen nun auch noch eine weltweite Ernährungskrise gekommen. Diese multiplen Krisen machen viele Entwicklungserfolge zunichte und bringen uns noch weiter weg von der Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele, den SDGs der Agenda 2030. Die großen globalen Herausforderungen lassen sich nur durch eine solidarische multilaterale Zusammenarbeit meistern – nicht durch Politiken des nationalen Egoismus nach dem Motto „Rette sich wer kann“ oder „Wir zuerst“.
Was erwarten Sie von Deutschland?
Ende Juni ist Deutschland Gastgeber eines G7-Gipfeltreffens. Deutschland darf sich nicht mit einem stagnierenden Entwicklungsetat blamieren, sondern sollte mit gutem Beispiel vorangehen und deutlich mehr Mittel für den Kampf gegen den Hunger zur Verfügung stellen. Das würde auch andere G7-Nationen inspirieren, diesem Beispiel zu folgen. Auf dem Gipfel will der Kanzler auf Initiative des Entwicklungsministeriums ein „Globales Bündnis für Ernährungssicherheit“ aus der Taufe heben. Aber das kann nur ein Erfolg werden, wenn keine exklusiven Parallelstrukturen geschaffen werden, sondern wenn das dafür zuständige Komitee für Ernährungssicherheit (CFS) innerhalb der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen eine Führungsrolle übernimmt und andere finanzstarke Akteure wie die Weltbank mit an Bord geholt werden.