Die Versprechungen der EU sind groß, mit Initiativen wie Global Gateway will sie bis 2027 bis zu 300 Milliarden Euro im Globalen Süden investieren, um u. a. digitale Infrastruktur auszubauen. Wie nehmen Sie die Digitalpolitik der EU der letzten Jahre wahr?
In einigen Punkten unterscheidet sich die europäische Digitalpolitik durchaus von der chinesischen und US-amerikanischen. Aber auch sie verfolgt einen extraktivistischen Ansatz, der in erster Linie den Eigeninteressen der EU dient. Ein Beispiel dafür ist Industrie 4.0, Europa eignet sich so kostenlos Daten aus anderen Staaten an so wie es das früher mit Ressourcen aus Kolonien tat. Die voranschreitende Digitalisierung von Waren und Dienstleistungen dient ebenfalls vor allem europäischen Unternehmen, die aufgrund modernster Technologie einen enormen Wettbewerbsvorteil genießen. Die neue Form des Kolonialismus ist der digitale.
Der Vergleich der heutigen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Kolonialismus wirkt schon sehr gewaltig…
Sowohl beim traditionellen als auch beim digitalen Kolonialismus dienten Infrastrukturprojekte dem Aufbau struktureller Abhängigkeiten. Weder der Bau von Eisenbahnverbindungen und Häfen noch die Verlegung von Seekabeln kommen dem afrikanischen Markt zugute. Sie dienen vielmehr der Gewinnung von Rohstoffen für den Export nach Europa. So wird auch im 21. Jahrhundert ein Verhältnis von Zentrum und Peripherie geschaffen, bei dem der afrikanische Kontinent der Lieferant von digitalen Rohstoffen in Form von Informationen und Daten nach Europa ist und gleichzeitig Konsument digitaler Produkte und Dienstleistungen aus Europa. Damit steht Afrika am unteren Ende der digitalen Wertschöpfungsketten und des elektronischen Handels.
Die EU sieht sich ja als Vorreiter bei der Regulierung der Digitalkonzerne und beim Aufbau digitaler Souveränität, können afrikanische Länder immerhin davon profitieren?
Für ihren Binnenmarkt hat die EU in der Tat solche politisch wirksamen Maßnahmen zur Regulierung des Datenflusses und des Zugangs zu personenbezogener Daten ergriffen. Doch in der Außenwirtschaftspolitik profitiert die EU von der schwachen Gesetzeslage Afrikas und der geringen Wettbewerbsfähigkeit afrikanischer Unternehmen, um uneingeschränkt an Daten zu gelangen und diese gewinnbringend zu verwenden. Dazu drängt die EU ja stetig auf die Verabschiedung von neuen Handelsabkommen und Regeln, die genau diesen Zweck verfolgen.
Wie ist in diesem Zusammenhang die Global Gateway-Initiative zu bewerten, ist sie tatsächlich die werteorientierte Alternative zu Chinas Digitalpolitik?
Wenn wir dem Wortlaut von Global Gateway Glauben schenken, dann unterscheidet sich Europas Initiative von der neuen chinesischen Seidenstraße tatsächlich durch ihren wertebasierten Ansatz. Die Praxis spricht jedoch eine andere Sprache. Solange die EU afrikanische Staaten nicht dabei unterstützt, den Anteil der digitalen Wertschöpfung in ihren Staaten zu erhöhen, bleibt sie genauso ausbeuterisch wie die Wirtschaftsbeziehungen zu China. Das ändern keine von der EU finanzierten Unterwasserseekabel, darüber können Narrative wie die „menschenzentrierte Digitalpolitik" auch nicht hinwegtäuschen. Afrika wird erst dann vom elektronischen Handel und der Digitalwirtschaft profitieren, wenn die Hindernisse bei der Erfassung und Analyse von Daten beseitigt, der Zugang zu erschwinglicher Infrastruktur und digitaler Bildung sowie die Finanzierung des digitalen Unternehmertums verbessert und Verbraucher- und Datenschutz garantiert sind.
Nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten betont die EU die Bedeutung einer transatlantischen Zusammenarbeit, um gemeinsam die globalen Standards für die Digitalisierung zu setzen. Wie bewerten Sie das?
Die transatlantische Allianz wird von Ländern angeführt, die den digitalen Kapitalismus kontrollieren und beherrschen. Beim Wettlauf der führenden westlichen Industrienationen mit China geht es um den Ausbau und den Erhalt der Vormachtstellung in der Digitalwirtschaft. Grundsätzlich sollte Afrika sich im Umgang mit Dritten immer von seinen eigenen Interessen leiten lassen und vermeiden, in die strategischen Streitigkeiten zwischen China, der EU und den USA zu geraten. Stattdessen muss der afrikanische Kontinent seinen eigenen ‚digitalen Fußabdruck‘ vergrößern. Die bisherige Ausrichtung der afrikanischen Freihandelszone AfCFTA muss deswegen überdacht werden. Auch die aktuelle Strategie für die digitale Transformation in Afrika (2020-2030) bedarf einer Neuorientierung, da deren Entwicklung weitgehend von Europa und den USA beeinflusst wurde.
Wie müsste denn eine Digitalpolitik mit der EU und den afrikanischen Staaten auf Augenhöhe aussehen?
Eine partnerschaftliche Digitalpolitik erfordert die Neubewertung sowie grundlegende Umstrukturierung der Beziehungen, um das seit der Kolonialzeit bestehende Ungleichgewicht zu beseitigen. Außerdem bedarf es gegenseitigen Respekts. Diese Aspekte wurden in der bisherigen EU-Afrika-Partnerschaft nicht berücksichtigt. Europas Paternalismus widerspricht den Erwartungen und Interessen Afrikas.