Ausbeutung, Umweltzerstörung und Entzug von Lebensgrundlagen sind weit verbreitet in der globalen Produktion. Besonders betroffen sind davon Menschen in Ländern des globalen Südens. Dort, wo die Rohstoffe überwiegend abgebaut werden und die Fertigung von Textilien, Elektronikteilen und anderen Vorprodukten unter oft menschenunwürdigen Bedingungen stattfindet. Als führende Wirtschaftsregion kann die EU einen entscheidenden Beitrag zur Beendigung dieses Leids leisten. Verpflichtet sie die hier geschäftstätigen international einflussreichen Unternehmen, sich um die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten zu kümmern, wird sich dies weltweit auf die Produktionsbedingungen auswirken.
Was lange währt, wird endlich gut
EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte schon im April 2020 angekündigt, dass er einen Entwurf für eine Richtlinie zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Liefer- und Wertschöpfungsketten europäischer Unternehmen vorlegen will. Im März 2021 verabschiedete das EU-Parlament einen sogenannten Legislativbericht mit einem Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie. Danach passierte lange nichts. Termine der Kommission zur Vorstellung des Entwurfs wurden mehrmals verschoben. Denn es gab einen massiven Lobby-Einfluss von Wirtschaftsverbänden gegen das Vorhaben. Den Lobbyisten gelang es schließlich, dass neben dem Justizkommissar nun auch der Binnenmarktkommissar Thierry Breton für den Gesetzgebungsprozess zuständig ist, was die Sache deutlich verkompliziert.
Der von der EU-Kommission heute vorgestellte Richtlinien-Entwurf zur sogenannten unternehmerischen nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflicht (Corporate Sustainability Due Diligence) ist vor diesem Hintergrund eine positive Überraschung. Er geht in aus Perspektive eines ambitionierten Menschenrechts- und Umweltschutzes in entscheidenden Punkten über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Zum Beispiel ist vorgesehen, dass Unternehmen Sorgfaltspflichten prinzipiell entlang ihrer gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten einhalten müssen. Auch die Verpflichtung zum Umweltschutz geht weiter als beim Lieferkettengesetz und umfasst Vorgaben zum Klimaschutz. Besonders zu begrüßen ist, dass die Anspüche von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen auf effektiven Rechtsschutz gestärkt werden sollen. Anders als beim Lieferkettengesetz ist vorgesehen, dass Unternehmen im Schadensfall zivilrechtlich haften und Betroffene einen Anspruch auf Wiedergutmachung haben, den sie gerichtlich einklagen können. Diese Lücke des deutschen Gesetzes müsste der Gesetzgeber hierzulande folglich nach Verabschiedung der Richtlinie schließen. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen im globalen Süden bekämen damit erstmals eine reelle Chance eine Wiedergutmachung für erlittenes Leid zu erhalten.
Es gibt aber auch Punkte, bei denen sich der Lobby-Einfluss von großen Wirtschaftsverbänden bemerkbar macht: Beispielsweise soll die neue EU-Richtlinie grundsätzlich nur für große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und 150 Millionen Euro Jahresumsatz gelten. Damit liegt die Schwelle zwar niedriger als beim deutschen Lieferkettengesetz, das ab 2023 erstmal nur für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gilt – nach Schätzungen der EU-Kommission beträfe die vorgeschlagene Regelung aber nur 13.000 europäische Unternehmen, gut 99 Prozent der Unternehmen wären also nicht erfasst und könnten weiter so wirtschaften wie bisher.
Wie es weitergeht
Der Richtlinien-Entwurf wird nun dem EU-Parlament und dem Rat zugestellt, die jeweils zustimmen müssen. In den sogenannten Trialog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat versuchen die Vertreter*innen der Gremien rasch eine Einigung zu erzielen. Die Zustimmungsverfahren können aber bei Meinungsverschiedenheiten und der zu erwartenden massiven Einflussnahme von Wirtschaftsverbänden sehr zögerlich verlaufen und mehrere Jahre dauern. Deshalb ist es enorm wichtig, dass sich die Bundesregierung und die deutschen Vertreter*innen im Rat und Parlament entsprechend der Bekenntnis im Koalitionsvertrag zu einem 'wirksamen' EU-Lieferkettengesetz für dessen zügige Veraschiedung und die Nachbesserung von Schwachpunkten, etwa dem geringen Anwendungsbereich, einsetzen. Brot für die Welt unterstützt diesen Prozess durch die aktive Beteiligung an der Fortführung der Initiative Lieferkettengesetz.