Interview

„Europa darf Afrika nicht vergessen“

Der nigerianische Erzbischof Musa Panti Filibus ist seit 2017 Präsident des Lutherischen Weltbunds (LWB). Damit repräsentiert er 74 Millionen lutherische Christ:innen in 98 Ländern. Bei seinem Besuch bei Brot für die Welt spricht er über die Folgen des Ukrainekriegs, Hunger in seiner Heimat Nigeria und wie Kirche dazu beitragen kann, ein Land zu befrieden.

Von Redaktion am
Der nigerianische Erzbischof und Präsident des Lutherischen Weltbunds Musa Panti Filibus bei seinem Besuch in Berlin.

Der Präsident des Lutherischen Weltbunds Musa Panti Filibus in Berlin.

Erzbischof Musa, wie nah kommt den Menschen in Nigeria der Krieg in der Ukraine?

Sehr nah, obwohl er geografisch so fern ist - ebenso fern wie bis Februar der Gedanke, dass in Europa einmal ein brutaler Krieg ausbrechen könnte. Das war unvorstellbar. Europa galt nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensbringer und Friedensbewahrer. Entsprechend überrascht und schockiert sind die Menschen in Nigeria über den Angriff Russlands auf die Ukraine.

Sind sie auch konkret davon betroffen?

Ja! Viele trifft der Krieg direkt. In der Ukraine studierten viele junge Menschen aus Nigeria. Sie müssen jetzt sehen, wie und wo sie das Studium fortsetzen können. In Nigeria sind zudem die Preise für Gas, Öl und Benzin durch die Decke geschossen. Viele Nigerianer können es sich nicht mehr leisten, den Generator anzuwerfen.

Werden in Nigeria die Lebensmittel knapp, weil weniger Weizen aus der Ukraine importiert oder von Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt wird?

Momentan noch nicht. Aber die Menschen in meinem Land sind größtenteils arm. Sie haben jetzt große Angst, dass der Hunger zurückkehrt und bleibt. Ich sorge mich außerdem, dass der sich abzeichnende Hunger den heftigen Konflikt in Nigeria noch verschärft.

Inwiefern?

Im kommenden Frühjahr werden in Nigeria Präsident und Parlament neu gewählt. Eine Hungerkrise würde das Land weiter destabilisieren und die seit Jahrzehnten verbreitete Gewalt weiter anfachen. Schon jetzt gibt es massive Spannungen zwischen Christen und Muslimen. Banden bekämpfen sich und die islamistische Terrororganisation Boko Haram terrorisiert mein Land. Durch den Krieg in Europa wird wahrscheinlich auch der Schmuggel mit Kleinwaffen zunehmen.

Weil die Welt wegschaut?

Ja, auch deshalb.

Werden infolge der derzeitigen Aufmerksamkeit Europas und der USA auf den Ukraine-Krieg andere Krisen vernachlässigt oder sogar vergessen?

Leider ja. Ich verstehe, dass Europa derzeit vor allem auf die Ukraine blickt und die Hilfe vor allem nach Osteuropa fließt. Aber Europa darf die vielen gefährlichen Konflikte in Afrika, Lateinamerika und Asien nicht ignorieren und nicht vergessen. Denn diese machen auch vor den europäischen Außengrenzen nicht Halt – Probleme wie Flucht, Migration, Terrorismus oder Waffenhandel belegen das. Ein Konflikt, wie er in Nigeria wütet, dem einwohnerstärksten Land Afrikas, wirkt sich auf die ganze Welt aus.

Was fordern Sie?

Die humanitäre Hilfe ist nur ein Teil der Lösung. Es braucht auch mehr Diplomatie. Wo sich der Blick der Welt und die Diplomatie abwenden, haben Terroristen und Banditen ein leichteres Spiel. Dabei kann gerade Diplomatie mit dazu beitragen, dass in einem Land faire Wahlen abgehalten werden.

Kann die Kirche dazu beitragen, ein Land zu befrieden und Menschen zu versöhnen?

Davon bin ich überzeugt. Der Lutherische Weltbund hat alle Beteiligten gleich nach Ausbruch des Ukrainekriegs aufgerufen, den Krieg sofort zu beenden und Friedensgespräche zu führen. Und in Nigeria fördern die lokalen Kirchengemeinden Frieden, indem sie das Bewusstsein für den demokratischen Prozess fördern und stärken – etwa, indem sie christliche und muslimische Jugendliche, Bäuer:innen oder Geistliche aus verschiedenen Gemeinden und Religionen an einen Tisch bringen, damit sie sich austauschen können. Frieden braucht Leute, die integer sind - und die miteinander sprechen.

Wie schwer ist diese Aufgabe?

Sagen wir so: Sie ist nicht einfach. In Nigeria leiden die Kirchengemeinden mit am meisten unter dem bewaffneten interreligiösen Konflikt, der das Land beherrscht. Es kommt immer wieder vor, dass kirchliche Führer, die klar und deutlich demokratische Veränderungen und Versöhnung fordern oder die Regierung kritisieren, bedroht werden. In meinem Land die Stimme zu erheben, erfordert großen Mut.

Unterstützt Brot für die Welt diesen Mut?

Ja. Brot für die Welt ist für uns ein wichtiger Partner. Bei Entwicklungsprojekten ebenso wie in der Nothilfe oder der Friedensförderung. Und auch in der Diplomatie: Brot für die Welt kann Druck auf die Politik und Regierungen ausüben.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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