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„Hunger ehrlich bekämpfen“: Besuch bei Cem Özdemir

Sieben Organisationen überreichen dem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ihre Forderungen. Ihre Kernbotschaft lautet: Der Krieg gegen die Ukraine darf nicht dazu führen, dass der drohende Hunger den Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise torpediert.

Von Kai Schächtele am
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Marion Lieser, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Oxfam, bei der Kundgebung vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium.

Auf einer sonst vielbefahrenen vierspurigen Straße unweit des Brandenburger Tors stehen auf der einen Hälfte zwei Traktoren. Dazwischen eine Fläche aus Erde aufgeschüttet, in der mit jungen Weizenpflanzen ein Kreis mit drei Strichen in seiner Mitte gezeichnet ist – sie formen sich zu Friedenssymbolen. In diesem Setting übermitteln an diesem Dienstag Mittag, 12. April, sieben Organisationen ihre Forderungen an den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir – neben Brot für die Welt außerdem die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Christliche Initiative Romero (CIR), FIAN, INKOTA, MISEREOR und Oxfam.

Auf den Punkt gebracht verlangen sie von Özdemir, alles dafür zu tun, damit angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine die Klima- und Biodiversitätskrise nicht gegen die nächste drohende Hungerkatastrophe ausgespielt werden. Und: Es muss eine Sondersitzung des Welternährungsrats einberufen werden, damit sichergestellt wird, dass nun alle Verantwortlichen nicht über die Betroffenen sprechen, sondern mit ihnen – konkret sowohl mit jenen, die schon jetzt von Hunger und Mangelernährung betroffen sind, als auch mit den besonders betroffenen Staaten.

„Ein Wirbelsturm des Hungers“

Dass der Krieg gegen die Ukraine die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln beeinträchtigen wird, belegen wenige Zahlen. Im Jahr 2020 hat die Ukraine 33 Millionen Tonnen Weizen produziert, Russland weitere 75 Millionen. Das ergibt zusammen ein Siebtel der Weltproduktion. Nun setzt der russische Machthaber Wladimir Putin Hunger bewusst als Mittel der Kriegsführung ein. Russische Soldaten zerstören landwirtschaftliche Maschinen. Russland hält Ernten zurück. Der UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor einem „Wirbelsturm des Hungers“. Angesichts dieser Entwicklung fordern Bauernverbände genauso wie Politikerinnen und Politiker, den Kampf gegen Artenverlust und Klimakrise hinten anzustellen und stattdessen Flächen für die industrielle Landwirtschaft wieder freizugeben.

Den Versuch, die gerade erst gestartete Entwicklung zurückzudrehen, wollen die Organisationen möglichst im Keim ersticken. „Die Not, die sich nun zu verschlimmern droht, muss Ansporn sein, die Krisen strukturell anzugehen“, sagt Marion Lieser, geschäftsführende Vorstandsvorsitzende von Oxfam. „Wir müssen die Krisen zusammendenken statt sie gegeneinander auszuspielen.“ Es ist ein leidenschaftlicher Appell dafür, mit Lebensmitteln in Zukunft grundlegend anders umzugehen als in der Vergangenheit. Im Moment landen 10 000 Tonnen Getreide täglich in Tanks und nicht auf dem Teller. Hinzu kommt das Getreide, das an Tiere verfüttert wird, um daraus Fleisch zu produzieren – 60 Prozent der Getreideproduktion in Deutschland wird nicht gegessen, sondern verfüttert.

„Land, Wasser, Saatgut und Bildung“

„Es ist doch erstaunlich, dass Menschen etwas in die Erde tun und daraus dann Brote werden“, hält Georg Janßen dagegen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Es seien die Bäuerinnen und Bauern, die nun die Unterstützung der Politik bräuchten, nicht die großen Agar- und Lebensmittelkonzerne, die in der Vergangenheit einseitig davon profitiert haben, dass die Erträge immer weiter gesteigert wurden, auch dank synthetischer Mineraldünger, die aus fossilen Energien hergestellt werden und damit die Abhängigkeiten von Staaten wie Russland noch weiter erhöhen.

Auch mit Blick auf den internationalen Tag der Bäuerinnen und Bauern am 17. April fordert Janßen: „Um weltweit drohende Hungersnöte abzuwenden, sind resiliente Agrarsysteme unverzichtbar. Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, Betriebsmitteln und Bildung sind bäuerliche Grundrechte, die weltweit durchgesetzt werden müssen.“ Dafür brauche es die politische Rahmenbedingungen und die Bereitschaft, sich von Import- und Export-Abhängigkeiten zu lösen.

„Es braucht eine ehrliche Debatte“

Cem Özdemir bedankt sich anschließend für den Besuch und stimmt in allen Punkten zu – es ist wahrscheinlich schon lang nicht mehr passiert, dass sich protestierende Organisationen und der Landwirtschaftsminister einig sind über das, was nun zu tun ist. „Es hat keinen Sinn, mit den Rezepten von vorgestern die Probleme der Zukunft lösen zu wollen“, sagt er. Hunger drohe nicht erst durch den Krieg gegen die Ukraine. Schon jetzt seien die Länder am stärksten davon betroffen, die auch unter den Folgen der Erderwärmung am meisten zu leiden haben; in Form von Dürren und Überschwemmungen, die die Ernten zerstören. Es brauche deshalb eine ehrliche Debatte darüber, wie und wo Getreide richtig eingesetzt werden, frei von Ideologie. „Wenn ich mich entscheiden muss zwischen Teller, Tank und Trog, ist klar, was Priorität hat – der Teller.“

Nach der etwa 20-minütigen Kundgebung verschwinden die Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Organisationen mit Özdemir und seinem Mitarbeiterstab im Ministerium. Dort trägt Stig Tanzmann, der Landwirtschafts-Referent von Brot für die Welt, noch einmal vor, was als nächster Schritt unabdingbar ist. „Die Verschärfung der globalen Nahrungsmittelkrise braucht eine globale Antwort. Daher fordern wir erneut, was selbstverständlich sein muss und längst geschehen sein sollte: eine Sondersitzung des Welternährungsrats.“ Zwei Stunden später kommt Tanzmann gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen zufrieden aus dem Ministerium. „Es war ein gutes Treffen“, erzählt er. „Aber jetzt muss sich zeigen, ob auch umgesetzt wird, was Özdemir versprochen hat.“ Auch Özdemirs Ministerium fordert etwa eine starke Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung des Hungers in einer zukunftsgewandten Form. Ob und wie dies gelingen kann, wird auch Brot für die Welt genau beobachten.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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