Brot für die Welt hat Partner in Russland, Belarus und in der Ukraine. Das Hilfswerk fördert seit längerem zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen in der Ukraine, die seit Beginn des Krieges im Jahr 2014 psychosoziale Beratung und Begleitung für kriegsbetroffene Menschen anbieten. Darunter sind Kriegsversehrte und Flüchtlinge. Einige Partner arbeiteten in Kiew, Mariupol und Severodonetsk, also auch in Orten nahe der Frontlinie zu den seit 2014 besetzten Gebieten.
Berichte aus der Ukraine
Unsere ukrainischen Partner berichteten zunächst von Panikkäufen an Tankstellen, Geschäften und Apotheken und von Explosionen. Nun beobachten sie zerstörte Infrastruktur. Betroffen sind nicht nur militärische Objekte, sondern auch Wohnhäuser, Schulen und Kindergärten. Es gibt Straßenkämpfe in zahlreichen Städten, verletzte SoldatInnen und ZivilistInnen. Einige unserer Partner sind auf der Flucht. Sie stehen in langen Schlangen an den Grenzen oder übernachten in Turnhallen in den westlichen Teilen der Ukraine. Einige haben sich bewusst zum Bleiben entschlossen, harren in Kellern und Metrostationen aus. Andere sind aufs Land gefahren, helfen bei der Evakuierung, beruhigen die Menschen und beten mit ihnen. Die Solidarität untereinander ist groß. Wir gehen davon aus, dass derzeit kein Partner mehr seiner Arbeit in gewohnter Weise nachgehen kann. Aber wir prüfen Möglichkeiten, weiter zu kooperieren, und bemühen uns, durch unsere Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe Nothilfemaßnahmen zu organisieren.
Was tut Brot für die Welt?
Wir sind schockiert und fassungslos und in Gedanken bei den Partnern in der Region, um die wir uns sorgen. Brot für die Welt verurteilt den Angriff und fordert einen sofortigen Waffenstillstand und Truppenabzug. Um dieser Forderung öffentlich Ausdruck zu geben, hat das Hilfswerk mit zu einer Demonstration in der Berliner Innenstadt aufgerufen, an der sich am Sonntag 27.2. mehr als hunderttausend Menschen beteiligten. Sie wurde von einem Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen organisiert, das sich für den Frieden in der Ukraine und in Europa einsetzt. Das Bündnis forderte einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Wiederaufnahme diplomatischer Verhandlungen für eine neue Sicherheitsordnung in Europa.
Wir versuchen, die Menschen, die unter diesem Krieg leiden, zu unterstützen, und zu gewährleisten, dass unsere Partner ihre wichtige Arbeit fortsetzen können. Wir werben um Spenden gemeinsam der Diakonie-Katastrophenhilfe, denn wir befürchten eine humanitäre Notlage und Opfer unter der Zivilbevölkerung. Vor allem treten wir dafür ein, dass Deutschland und die Europäische Union ihre Grenzen für Menschen, die aus der Ukraine flüchten, offenhalten und diese bestmöglich versorgen. Die Pläne der EU, Geflüchtete aus der Ukraine unbürokratisch aufzunehmen und ihnen den Status eines „vorübergehenden Schutzes“ zu gewähren, der bis zu drei Jahren gilt, begrüßt Brot für die Welt als ersten wichtigen Schritt, und auch, dass diese Regelung Menschen aus Drittstaaten - etwa Studierende aus afrikanischen Ländern - einbeziehen wird. Zugleich müssen die Türen für Menschen aus der ganzen Region, die sich nicht aktiv an diesem Krieg beteiligen wollen, offenstehen.
Zudem nehmen wir Einfluss auf Diskurse und fordern wir die Rückkehr zu Gesprächen für eine politische Lösung (Links zu Pressemitteilungen und Medienbeiträgen finden sich im Anhang dieses Beitrags). Ob Verhandlungen zwischen der russischen und ukrainischen Regierung weiteres Blutvergießen verhindern könnten, ist schwer zu beurteilen. Sie werden sicher nicht ausreichen, denn letztlich bleibt der Konflikt zwischen diesen Akteuren eingebettet in inner-ukrainische Konflikte auf der einen Seite und den übergeordneten Konflikt zwischen dem Kreml und der NATO auf der anderen Seite.
Warum konnte der Krieg nicht verhindert werden?
In Medienberichten und Talkshows hört man immer wieder Interpretationen, die nahelegen, es handele es sich bei dem Angriff auf die Ukraine um eine zwangsläufige Entwicklung, um einen einzig durch die imperiale Machtpolitik des russischen Präsidenten langfristig gesteuerten Akt: ihm gehe es allein um den Machterhalt, und die Kriegsentscheidung speise sich im Wesentlichen aus innenpolitischen Motiven. Dass solche Motive dazu betrugen, ist offensichtlich. Die Reden, die der russische Präsident in den letzten beiden Wochen hielt, sprechen in der Tat eine höchst imperiale Sprache. Sie gehen über nachvollziehbare Sicherheitsinteressen weit hinaus. Allerdings wirken in diesem Krieg, wie in allen Kriegen, innen- und außenpolitische Faktoren zusammen. Man kann davon ausgehen, dass sie sich über die Jahre hin wechselseitig verstärkt haben. Sowohl Russland als auch die NATO-Mitgliedstaaten und auch die Ukraine waren an diesem Prozess beteiligt. Es wurde versäumt, tragfähige Lösungen zu finden, die die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen aller Beteiligten austariert hätten. (Auf diese Zusammenhänge wurde in diesem Blog bereits Anfang Februar in einem ausführlicheren Beitrag hingewiesen.)
Prävention wäre wichtig gewesen
Die Kriegshandlungen der russischen Regierung sind mit nichts zu entschuldigen und scharf zu verurteilen. Aber es wäre völlig falsch, die Sicht auf diesen Krieg nur auf die Eskalation in den letzten Stufen zu begrenzen. Der Krieg in der Ostukraine schwelt seit acht Jahren und der Konflikt zwischen dem Kreml und der NATO verschärfte sich seit 2008, als der Ukraine auf Drängen der USA das Signal gegeben wurde, die Tür für einen Beitritt sei geöffnet. Wolfgang Ischinger, der langjährige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz hat dies zu Recht als den „Sündenfall der NATO“ bezeichnet. In seiner letzten Pressekonferenz am 14. Februar äußerte er die Überzeugung, die deutsche und französische Regierung, die einen ukrainischen Beitritt skeptisch sahen, hätten dem damals entschiedener widersprechen müssen. Er beendete sein Statement mit dem Hinweis, dass es von Vorteil wäre, auf diplomatischem Wege eigene Fehler einzugestehen und zu korrigieren, weil es dann auch der anderen Seite leichter falle einzulenken. Weiterhin besteht ein Problem darin, dass man hier nie nach Korrekturen gesucht und auch seitens des Westens die eigenen Anteile an dem Konflikt so konsequent verdrängt hat. Was der russischen Regierung in den bilateralen Gipfelgesprächen in den letzten Wochen von westlicher Seite angeboten wurde, ist vertraulich und der breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt. Den Statements westlicher PolitikerInnen lässt sich entnehmen, dass es Vorschläge für einen Dialog über Abrüstung gab, während die Forderung der russischen Seite nach einem definitiven Verzicht auf nochmalige NATO-Erweiterung als nicht verhandelbar betrachtet wurde. Menschen aus der Friedensforschung, ehemalige DiplomatInnen und Bundeswehrangehörige hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Kontrahenten endlich in ernsthafte und in längerfristige Verhandlungen eintreten und dass ein Moratorium für jegliche Bündniserweiterung ausgesprochen würde. Ob solche Vorschläge die bereits hocheskalierte Situation hätten entschärfen können, kann man nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ein explizites Moratorium hätte der russischen Regierung eine Kriegsentscheidung aber gewiss erschwert. Sicher ist gegenwärtig nur die Erkenntnis, dass sich Konflikte schwer transformieren lassen, wenn sie schon hoch eskaliert sind. Damit hätte man schon vor 15 Jahren beginnen müssen.
Wie kommt man raus aus der Eskalationsspirale?
Die Entscheidung von internationalen Organisationen und Einzelstaaten für umfassende Finanzsanktionen und auch der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-Zahlungsverkehr sind ein wichtiges weltweites Signal und unerlässlich auch aus Gründen der Solidarität mit der Ukraine. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass sie zu einer kurzfristigen Verhaltensänderung im Kreml führen und man muss sich auf weitere Provokationen einstellen. Es fragt sich, wie diese Spirale noch eingehegt werden kann. Um zu deeskalieren sind weitere Schritte erforderlich. Auch wenn es angesichts einer Kriegssituation schwerfällt, sollte man alle Beteiligten auffordern, weiterhin für Gespräche offenzubleiben. Es wäre fatal, jetzt vom Ende der Diplomatie zu sprechen. Gerade angesichts der Entscheidung Putins, die atomaren Streitkräfte in Alarmbereitschaft zu versetzen, müssen alle Mittel ausgeschöpft werden, um die Eskalation in einen Nuklearkrieg, aus dem es kein Zurück mehr gibt, zu beenden. Um die Gewalt zu stoppen sind nicht nur Gespräche zwischen der russischen und ukrainischen Führung, sondern auch über den Atlantik hinweg erforderlich. Hilfreich wäre ein Team von Mediatoren, das gemeinsam mit dem UN-Generalsekretär oder einem UN-Sonderbeauftragten vermittelt und mit Russland, der Ukraine und der NATO nach tragfähigen Lösungen sucht. Das müsste allerdings aus Staaten kommen, die nicht direkt in den Konflikt eingebunden sind, und aus Akteuren zusammengesetzt sein, die alle Seiten akzeptieren können. Außerdem müssen die diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) genutzt werden. Zudem sollte ausgelotet werden, ob der Einfluss der chinesischen Führung auf den russischen Präsidenten genutzt werden kann. Letztlich wird man, um einen Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine zu erwirken, vermutlich aber auch im Westen von den bisherigen Positionen abrücken und sich von der Idee einer Bündniserweiterung verabschieden müssen.
Was dient dem Frieden in Europa?
Man darf die Hoffnung auf die Herstellung einer langfristigen europäischen Friedensordnung nicht aufgeben. Auch die Idee einer mehrjährigen Konferenz, die sich um die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa bemüht, wie sie von ehemaligen Bundeswehroffizieren, Diplomaten und FriedensforscherInnen vorgeschlagen wurde, ist nicht obsolet. Nur über den Dialog kann man versuchen, eine Sicherheitsordnung in Europa aufzubauen, die von allen Seiten mitgetragen wird. Gleichzeitig muss man die Hoffnung darauf richten, dass sich im Umfeld des Kreml irgendwann wieder Berater Gehör verschaffen können, die über Erfahrung in der Diplomatie verfügen und die Vorteile kooperativer Sicherheitsstrukturen zu schätzen wissen. Sicherheit in Europa wird langfristig nicht gegen, sondern nur mit Russland herstellbar sein. Dieser Satz, der von namhaften SicherheitspolitikerInnen seit Jahrzehnten und auch von Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich wiederholt wurde, bleibt richtig. Wir brauchen eine europäische Sicherheitsarchitektur, die garantiert, dass Grenzen geachtet werden und dass sich Sicherheit an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Diese sollte weder von Russland diktiert, noch von den Vereinigten Staaten dominiert werden, sondern eine völlig neue, europäische Ausrichtung haben. Die Struktur dafür bietet die OSZE, nicht der Ausbau von Militärbündnissen in Ost und West, die sich dann nach dem Vorbild des Kalten Kriegs einander waffenstarrend gegenüberstehen. Eine erneute Hochrüstung nach diesem Modell würde dazu führen, dass für die Bewältigung der großen Krisen, die die Menschheit herausfordern – dazu gehören unter anderem Pandemien, die Klimakrise und das Artensterben - keine Mittel mehr zur Verfügung stehen.
Unsere Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe ruft zu Spenden auf.