Die Realität zeigt, dass Männer und Frauen Akteur:innen in Kriegen sind. Trotzdem bleibt Krieg ein patriarchales Machtinstrument. Fehlende Geschlechtergerechtigkeit gepaart mit Nationalismus und Militarismus verstärkt die gesellschaftliche Akzeptanz von Krieg und Gewalt. Dagegen stellt feministische Außenpolitik nicht die staatliche, sondern die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt, d.h. gerechte Strukturen und die Überwindung von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten. Diesen Prinzipien muss der Wiederaufbau in der Ukraine folgen.
Männer kämpfen, Frauen fliehen. Dieser Eindruck drängt sich angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf. Krieg ist Männersache. Er wird in der Regel von mächtigen Männern beschlossen und von Soldaten gekämpft. Flucht ist unmännlich. Zwischen Männlichkeit und Kriegsgewalt wird auf diese Weise ein Zusammenhang geschaffen. Ukrainischen Männern ist es deshalb verboten, das Land zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Das gilt auch für Transfrauen. Im Gegensatz dazu können Frauen wählen, ob sie bleiben oder fliehen. In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass viele von ihnen sexualisierte und geschlechtsbasierte Gewalt entweder durch die feindlichen Besatzer oder auf der Flucht erfahren. In der ukrainischen Armee beträgt der Frauenanteil 15 Prozent (Bundeswehr 13 Prozent). Er ist seit der Annexion der Krim ständig gewachsen. In einem Interview mit der taz am 13.4.2022 sagte die ukrainische Genderforscherin Marta Havryshko, dass die Armee inzwischen für Frauen zu einem attraktiven Arbeitsmarkt geworden sei. Manche von ihnen betrachteten die Armee als einen Ort, an dem Geschlechterrollen herausgefordert werden könnten.
Stereotype Geschlechterbilder befördern die Akzeptanz von Gewalt
Trotzdem bleibt Krieg immer ein patriarchales Machtinstrument, das traditionelle Geschlechterrollen und –stereotype befördert. Dahinter steht das patriarchale Verständnis, dass nicht nur Diplomatie, sondern auch Militär und Waffen legitime Mittel von Staaten sind, um ihre Interessen durchzusetzen, ihren Einfluss zu stärken und Dominanz im zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf zu beweisen. Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine ist Beweis dafür. Geschlechtergerechtigkeit hat in solchen Kontexten keinen Platz. Sie wird eher verhindert als gefördert. So geschehen in Russland, wo die Gleichberechtigung aller Geschlechter zugunsten traditioneller patriarchaler Geschlechterverhältnisse zurückgedrängt worden ist. Gepaart mit Nationalismus und Militarismus besteht die Gefahr, dass stereotype Familien- und Geschlechterbilder (starker Mann, der schwache Frau beschützen muss) die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt legitimieren. In Kriegssituationen wie in der Ukraine führt diese Kombination zu sexualisierter Gewalt, nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Männer. Sie wird als Kriegswaffe eingesetzt, um die Betroffenen zu entehren, zu demütigen und zu demoralisieren. Das Ziel ist die Zerstörung der Gemeinschaft. Im Gegensatz dazu sind geschlechtergerechte Gesellschaften stabiler und friedlicher, wie die Friedensforschung in zahlreichen Studien gezeigt hat.
Geschlechtergerechtigkeit gerät nicht nur durch Krieg unter Druck
Doch nicht nur Kriege und Konflikte bedrohen bisher errungene und weitere Fortschritte für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Das hat die Corona-Pandemie gezeigt, in der Frauen die Hauptlast der zusätzlichen Haus- und Sorgearbeit übernommen und beruflich zurückgesteckt haben. Gleichberechtigung ist vor Rückschritten nicht gefeit. Weltweit gewinnen Antifeminismus und Anti-Genderbewegungen an Akzeptanz – auch weil sie sich strategisch aufstellen und international vernetzen. Treiber sind Lebensschutz-Bewegungen, konservative religiöse Kräfte, Rechtspopulist:innen und ihre Organisationen sowie autoritäre nationalistische Staaten. Sie propagieren die traditionelle Familie als Keimzelle der Gesellschaft und Ausdruck einer natürlichen, ja sogar göttlichen Ordnung. Das Patriarchat lässt grüßen!
Feministische Außenpolitik für menschliche Sicherheit
Eine feministische Außenpolitik, wie sie sich die Bundesregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, muss entgegen solcher Tendenzen agieren, die erneut Gewalt gegen Frauen in all ihrer Diversität und weiteren von politischen Entscheidungen und Macht ausgeschlossenen Menschen in sich tragen. Ziel muss sein, die durch Rassismus, Kolonialismus, Sexismus und Klassismus geprägte strukturelle Gewalt, die weltweit Frauen, immerhin die Hälfte der Menschheit, sowie marginalisierte Menschen und Gruppen wie beispielsweise LGBTIQ+, Indigene, Menschen mit Behinderung oder alte Menschen systematisch diskriminiert, zu überwinden. Das gilt auch für die Sicherheitspolitik. Es darf nicht länger sein, dass die Sicherheit von Staaten, basierend auf militärischen Machtstrukturen und Waffen, Vorrang hat vor der Sicherheit von Menschen. Menschliche Sicherheit basiert auf gerechten Strukturen, die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten entgegenwirken, auch über staatliche Grenzen hinaus. In Zeiten des Krieges wächst die Gefahr, dass feministische Diskurse als unbedeutend abgewertet und ins Abseits gedrängt werden, wie es Friedrich Merz bspw. in Bezug auf feministische Außenpolitik bei seiner Rede zum Sondervermögen der Bundeswehr im Bundestag am 23. März tat. Gerade angesichts der hemmungslosen Demonstration von Macht und Gewalt, die Russlands Krieg in der Ukraine offenbart, muss es Ziel bleiben Konflikte, Kriege und Gewalt innerhalb und zwischen Gesellschaften zu überwinden und in den Frieden zu investieren. Die Staatengemeinschaft hat den Krieg in der Ukraine nicht verhindern können. Sie kann jedoch dafür sorgen, dass der Wiederaufbau den Prinzipien einer feministischen Außenpolitik folgt, inklusiv gestaltet wird und die Sicherheit von Menschen in den Mittelpunkt stellt. Feministische Außenpolitik kann nur transformativ wirken, wenn die vielfältigen und komplexen Realitäten und Erfahrungen der Menschen politisches Handeln bestimmen. Die patriarchale Weltsicht vorwiegend weißer Männer greift da viel zu kurz.
Der Artikel wurde im aktuellen Rundbrief des Forums Umwelt und Entwicklung veröffentlicht.