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Stärkung der Armee auf Kosten ziviler Instrumente?

Die Bundesregierung möchte die Bundeswehr nicht nur aus-, sondern auch aufrüsten. Dafür will sie kurzfristig 100 Milliarden Euro Sondervermögen bereitstellen und langfristig mehr als 2 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren. Wer soll das bezahlen? Der Haushaltsentwurf des Kabinetts will im zivilen Bereich sparen und den Etat für Entwicklungszusammenarbeit kürzen.

Von Dr. Martina Fischer am
Konferenz zu Mediation im Auswärtigen Amt 2016

Konferenz zu Mediation im Auswärtigen Amt

Unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagen, ad hoc ein Sondervermögen von 100 Milliarden € für die Modernisierung der Streitkräfte bereitzustellen und den Verteidigungsetat von jetzt 1,5% auf mehr als 2% der Wirtschaftsleistung anzuheben. Das Ganze soll in der Verfassung verankert werden, es geht also um langfristige Planung. Die Neuverschuldung will man auf knapp 100 Mrd € begrenzen und ab 2023 die Kreditobergrenze nach der grundgesetzlichen Schuldenregel einhalten. Zur Beendigung des Kriegs gegen die Ukraine und zur Linderung der dortigen humanitären Katastrophe in der Ukraine wird ein solches Aufrüstungsprogramm nichts beitragen. Hier sind daher kritische Rückfragen angebracht.

Wo bleibt die parlamentarische und gesellschaftliche Debatte?

Seit Wochen schon fokussiert sich der mediale Diskurs auf den Zustand der Streitkräfte, die angeblich kaputtgespart wurden. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass das Verteidigungsbudget in den vergangenen Jahren beträchtliche Steigerungen erfahren hat: Seit 2015 wurde der Bundeswehretat sukzessive um 14 Mrd € auf 47 Mrd € erhöht. Dennoch meint Heeresinspekteur Alois Mais, die Truppe stehe aktuell „blank“ da. Was ist mit all dem Geld passiert? Warum ist es nicht gelungen, damit die Armee zu modernisieren? Fachleute und auch Militärangehörige weisen auf das unwirtschaftliche Beschaffungswesen hin, das von Bürokratie befreit und effizienter gestaltet werden müsse. Ohne grundlegende Reformen würden weitere Investitionen vermutlich verpuffen und vor allem der Rüstungsindustrie und den vielfältigen Beraterfirmen zugutekommen. Ein weiteres Problem: Es sollen quasi über Nacht gigantische Summen für das Militär bereitgestellt werden, noch bevor in Deutschland eine Diskussion darüber geführt wurde, welche Aufgaben die Bundeswehr in Zukunft erfüllen soll. Geht es primär um Landes- und Bündnisverteidigung? Welche Unterstützung will man den Vereinten Nationen bieten? Sollen darüber hinaus Verbündete bei Kriegseinsätzen in entfernten Weltregionen (Afghanistan, Mali) unterstützt werden? Nicht alles wird finanzierbar sein und nicht alles hat sich als zielführend erwiesen. Um diese Fragen zu klären, braucht es dringend eine parlamentarische und gesellschaftliche Debatte, und zwar, bevor man Mittel langfristig verplant. So könnten dann auch die im Weißbuch der Bundesregierung für die Bundeswehr genannten mehr als 20 (!) Prioritäten auf ein realistisches Maß komprimiert werden. Stattdessen werden nun Beschaffungslisten erstellt, die auf Jahre enorme Mittel binden, unter anderem für Prestigeobjekte wie F-35 Flugzeuge, und das ohne Klärung von Nutzen und Einsatzszenarien.

Prinzip „Vorrang für Zivil“ wird ins Gegenteil verkehrt

Selbstverständlich müssen die Streitkräfte für die Aufgaben, die ihnen von der Gesellschaft und Politik zugewiesen werden, angemessen ausgestattet werden. Eine moderate Steigerung bei den Militärausgaben, mit konkreten und überprüfbaren Projekten unterlegt, wäre vielleicht begründbar gewesen. Das jetzt vom Kanzler vorgeschlagene Budget ist aber nicht projektgebunden. Es erscheint aktionistisch und im Umfang völlig überzogen. Nun besteht akute Gefahr, dass Geld in Bereichen eingespart wird, die nicht über eine ähnlich starke Lobby verfügen wie die Armee. Der vom Kabinett am 16.3. verabschiedete Haushaltsplan sieht Streichungen bei der Entwicklungszusammenarbeit und bei der Humanitären Hilfe vor (s.u.). Seit 1998 versprachen deutsche Regierungen, dass dem Ausbau der zivilen Ansätze für Krisenprävention und Friedensförderung Vorrang vor dem Ausbau des Militärs eingeräumt werden soll. Dieses Prinzip wird nun aufgegeben und in sein Gegenteil verkehrt. Eine problematische und bedauerliche “Zeitenwende“.

Sicherheit lässt sich nicht auf militärische Stärke reduzieren

Sicherheit lässt sich nicht auf militärische Stärke reduzieren. Es gilt weiterhin, langfristig eine neue gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur aufzubauen, das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit neu zu definieren und Kooperation zu stärken. Das erfordert vor allem diplomatische Fähigkeiten, vertrauensbildende Maßnahmen, wirksame Rüstungskontrolle und den Ausbau der Instrumente für zivile Krisenprävention und Friedensförderung. Zudem muss sich die Debatte von der Fixierung auf die militärische Dimension lösen und auch „menschliche Sicherheit“ in den Blick nehmen. Darunter fassen die Vereinten Nationen den Schutz des Einzelnen vor Kriegen, Krisen, Klimakatastrophen und Krankheiten und auch den Zugang zu Ressourcen und Lebensperspektiven, also etwa Ernährungssicherheit und -souveränität. Es müssen ausreichende Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden, um die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Pandemie auf globaler Ebene zu bewältigen. Und Politik muss sich viel stärker als bisher auf die Vorbeugung und Bewältigung der Ursachen von Gewaltkonflikten richten. Nur mit einem umfassenden, erweiterten Begriff von Sicherheit lassen sich die globalen Herausforderungen angemessen erfassen.

Zivile Krisenprävention und Friedensförderung stärken

Im Koalitionsvertrag bezieht sich die Ampelregierung auf die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, die 2017 von der Vorgänger-Regierung verabschiedet wurden, und kündigt zivile Planziele an. Daran sollte sie festhalten und dabei den Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft suchen. Gerade jetzt ist es wichtig, die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren auszubauen – hierzulande, auf europäischer Ebene und in den von Krisen und Kriegen betroffenen Weltregionen. Deutsche Politik sollte mithelfen, Brücken zu bauen, zwischen Menschen aus der Ukraine, Russland und Belarus, und auch in anderen Konfliktregionen, im westlichen Balkan und Südkaukasus, im Nahen Osten und in der Sahelregion. Deutschland hat dafür eine Reihe wichtiger Instrumente geschaffen. Es wäre fatal, wenn die nun geplanten militärischen Investitionen deren Ausbau behindern. Das Budget für den "Zivilen Friedensdienst" (2021 mit 55 Mio € ausgestattet) müsste aufgestockt werden, ebenso wie die Mittel für das "Zentrum für Internationale Friedenseinsätze" (bisher 25 Mio €) und für die "Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung" (Zusammenschluss von staatlicher EZ und NGOs). Auch die Mittel des Auswärtigen Amts für "Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung" (2021: 406 Mio €) und das Budget für "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" (2021: 35 Mio €) sollten erhöht werden. Nur so können die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017) glaubwürdig umgesetzt und auch die im Koalitionsvertrag angekündigten Initiativen realisiert werden. Im Entwicklungsetat wurde der wichtige Titel für "Krisenbewältigung, Wiederaufbau und Infrastruktur" 2021 auf 500 Mio € reduziert und faktisch halbiert; dieser muss mindestens verdoppelt und vermutlich noch viel stärker angehoben werden, wenn man den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen will. Auch die "Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung" (Zusammenschluss von staatlicher EZ und NGOs) sollte umfassender ausgestattet werden. Mit ressortübergreifenden Sondermitteln könnte man die Abstimmung von humanitären, entwicklungs- und friedenspolitischen Maßnahmen verbessern.

Ausgaben für Entwicklung und Humanitäre Hilfe erhöhen

Der am 16.3. vorgelegte zweite Haushaltsentwurf sieht beim Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine Kürzung um 1,6 Mrd € im Vergleich zum Vorjahr vor. Die Mittel für die Humanitäre Hilfe im Ausland sollen um 110 Mio € sinken. Für Maßnahmen der Humanitären Hilfe, Krisenbewältigung und Ernährungssicherung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist eine Reserve von einer Milliarde Euro vorgesehen. Die Kürzungen des EZ-Etats sind überhaupt nicht nachvollziehbar. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass Deutschland mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungsfinanzierung aufbringen wird. Um die Folgewirkungen des aktuellen Kriegs im globalen Süden aufzufangen, werden jedoch deutlich größere Summen benötigt. Die Ukraine und Russland entfallen als Produzenten von Weizen, Mais und Speiseöl. Besonders im Nahen Osten und in Afrika sind viele Länder jedoch von diesen Importen abhängig. Unter den steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen wird vor allem die ärmere Bevölkerung massiv leiden. Um das abzufedern, sind zusätzliche Investitionen in die Ernährungssicherung und in den Aufbau sozialer Sicherungssysteme erforderlich. Auch für die Bewältigung der weltweiten Folgen der Klima- und Corona-Pandemie werden mehr Mittel benötigt. Dazu hat der "Verband entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisationen", VENRO, eine detaillierte Studie vorgelegt. Um angemessen auf die Folgen des Kriegs in der Ukraine reagieren zu können, müssen zudem ausreichende finanzielle Mittel für die Humanitäre Hilfe in der Ukraine und in den Nachbarländern bereitgestellt werden. Nach Berechnungen von VENRO werden bis zum Ende der Legislaturperiode mindestens 30 Mrd € mehr für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe benötigt. Außerdem müssen auch hierzulande erhebliche Mittel für die Flüchtlingshilfe aufgewendet werden. Dass die EU Menschen aus der Ukraine unbürokratisch Aufnahme gewähren und diesen einen Aufenthaltsstatus von bis zu drei Jahren gewähren will, ist zu begrüßen. Jetzt geht es darum, diese Menschen nicht nur zu versorgen, sondern sie auch zu integrieren.

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa stärken

Die OSZE bietet trotz allen Reformbedarfs eine wichtige Basis für den langfristigen Aufbau einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur. Sie wurde bisher vom Auswärtigen Amt mit ca. 25 Mio € jährlich gefördert. Sie müsste jedoch von den Mitgliedstaaten mit deutlich mehr Mitteln ausgestattet werden als bisher, damit ihre Potenziale ausgeschöpft und weiterentwickelt werden können. Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag neue Initiativen für die Stärkung von Rüstungskontrolle und Abrüstung angekündigt. Dafür hat die OSZE wichtige Instrumente geschaffen. Diese gilt es langfristig zu stärken.

Analysefähigkeit durch Friedens- und Konfliktforschung erhöhen

Politisches Handeln benötigt fundierte Wissengrundlagen. Dabei ist die Bundesregierung maßgeblich auf die Expertise der Friedens- und Konfliktforschung angewiesen. Deren Finanzierung muss endlich eine solide Grundlage erhalten. Das betrifft zum einen die unterfinanzierte Bundesstiftung „Deutsche Stiftung Friedensforschung“, für die der Wissenschaftsrat eine deutliche Kapitalaufstockung empfohlen hat. Damit sie ihre satzungsgemäßen Aufgaben langfristig erfüllen, also gleichermaßen Grundlagenforschung und politikrelevante Analysen fördern kann, müsste ihr bisheriges Kapital (25 Mio) verdreifacht werden. Um Initiativen für Rüstungskontrolle voranzubringen (siehe Koalitionsvertrag), braucht es zudem eine institutionelle Förderung und dauerhafte Finanzierung von interdisziplinärer Expertise aus den Technik-, Natur- und Sozialwissenschaften. Ein solcher „Wissens-Hub“ sollte ebenfalls aus Bundesmitteln gespeist werden. Auch in anderen Feldern (Völkerrecht, Prävention, internationale Institutionen, Zivilgesellschaft, Geschichte, bis hin zur Friedenspädagogik) muss die Friedensforschung an Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen verstetigt werden.

Appell an die Mitglieder des Deutschen Bundestags

Die HaushälterInnen und Abgeordneten des Deutschen Bundestags sollten den vom Kabinett vorgelegten Budgetentwurf sehr kritisch hinterfragen, den Bedarf in den beschriebenen Bereichen berücksichtigen und andere Akzente zu setzen. Sie dürfen nicht zulassen, dass riesige Summen in Rüstung investiert und gleichzeitig zivile außen- und entwicklungspolitische Ansätze gekappt werden. Der Wunsch nach Neuausrichtung deutscher und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik unter dem Eindruck des Angriffskriegs gegen die Ukraine ist verständlich und wird in die Beratungen für eine „nationale Sicherheitsstrategie“ einfließen (eine solche wurde im Koalitionsvertrag angekündigt). Aber das sollte nicht dazu führen, dass jetzt vorschnell langfristig Mittel in militärische Investitionen umgelenkt werden, die dringend für die Bewältigung der zahlreichen globalen Herausforderungen benötigt werden. Es gilt, die Klimakrise, Pandemien und Artensterben aufzuhalten, gerechte Lebensperspektiven zu schaffen und Krisen und Kriegen weltweit vorzubeugen. Für den sozialverträglichen ökologischen Umbau unserer Gesellschaft müssen ebenfalls ausreichende Mittel vorgehalten werden. Auch das ist relevant für Sicherheit, denn die Resilienz demokratischer Gesellschaften hängt ganz wesentlich davon ab, ob sie sich so rasch wie möglich von fossilen Energieträgern unabhängig machen können.

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