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Struktureller Hunger durch Landverknappung

Seit dem Beginn des Ukrainekriegs ist die globale Nahrungsmittelkrise in aller Munde. Produktionsausweitungen und Freihandel sollen das Problem lösen. Hunger lässt sich langfristig jedoch nur durch die Stärkung der Ernährungssouveränität im Globalen Süden bekämpfen. Diese ist eng mit dem gesicherten Zugang zu fruchtbarem Ackerland und mit ausreichender Wasserversorgung verbunden.

Von Dr. Ingrid Jacobsen am
Noliver Hanzala Gemüsebäuerin in Sambia

Noliver Hanzala, Gemüsebäuerin in Sambia

Hunger als Waffe?

Ausgelöst durch den Ukrainekrieg steuern wir auf die größte Ernährungskrise seit dem zweiten Weltkrieg zu. Der mörderische Überfalls Russlands auf die Ukraine hat dabei einen beträchtlichen Anteil an der Zuspitzung des globalen Hungers. Durch eine Blockade der Weizenausfuhr aus den ukrainischen Häfen wird Getreide, welches sich bereits vor dem Krieg stark verteuert hatte, auf dem Weltmarkt verknappt, und die Preise steigen rasant. Hohe Energiepreise, Exportstopps und ungebremste Lebensmittelspekulation befeuern diese Entwicklung. Viele bereits jetzt hoch verschuldete Staaten, wie beispielsweise der Libanon, Somalia oder die Demokratische Republik Kongo müssen Öle und Getreide für Bevölkerungsgruppen, die auf subventionierte Nahrungsmittel angewiesen sind, auf dem Weltmarkt zu stark überhöhten Preisen hinzukaufen und diese Preise auch an bedürftige Menschen weitergeben. Insbesondere Bevölkerungsgruppen in urbanen Gebieten des Globalen Südens, die von Erwerbseinkommen leben und ihre Nahrungsmittel in cash kaufen müssen, rutschen dadurch in Armut und Hunger ab. Sie werden auf die Dauer nicht stillhalten. Hungerrevolten wie bereits in den 2008er Jahren werden die Staatsgefüge als Ganzes bedrohen, so die Befürchtung.

Zunahme des weltweiten Hungers seit 2016

Wer jedoch den drohenden Hunger mit all seinen unmenschlichen Folgen allein Putin in die Schuhe schieben will, der greift zu kurz. Die Hungerzahlen nehmen bereits seit 2016 kontinuierlich zu. Durch COVID 19 ist die Zahl der Hungernden seit 2019 um 150 Millionen auf 828 Millionen gestiegen. 2020, also schon vor dem Krieg, konnten sich 3.1 Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung mehr leisten, das sind 112 Millionen mehr als 2019. Dabei ist die weltweite Nahrungsmittelproduktion eigentlich ausreichend, um die Menschheit gesund zu ernähren. Es wird also Zeit, die tiefergehenden, strukturellen Ursachen des Hungers unter die Lupe zu nehmen, und die sind komplex.

Landverknappung als Hungerursache

Im Globalen Süden liefern kleinbäuerliche Familienbetriebe bis zu 70% der Nahrungsmittelproduktion. Diese haben jedoch immer größere Schwierigkeiten, Zugang zu fruchtbarem Ackerland und zu einer zuverlässigen Wasserversorgung zu bekommen. Hauptursache hierfür ist der zunehmende Druck auf Ackerland und Wasserversorgung durch die Agrarindustrie, die Exportprodukte für den internationalen Handel herstellt, unter anderem für Futtermittel für die Fleischproduktion in Europa. Auch die Ausweisung von Flächen für den Naturschutz tragen im Globalen Süden zur Verknappung von Flächen bei. Durch Infrastrukturprojekte, die insbesondere fruchtbares Ackerland in stadtnähe versiegeln, geht weiteres Land verloren. Zunehmend werden aber auch landbasierte Klimaschutzprojekte, die viele Flächen für die Herstellung von Bioethanol für unsere Mobilität und für „grüne“ Kohle für die Stahlproduktion im Globalen Norden in Beschlag nehmen, zum Problem.

Nahrungsmittelproduktion auf städtischen Grüngürteln

In den Städten des Globalen Südens werden Menschen, die ihren Lebensunterhalt unterbezahlt als Tagelöhner:innen oder Kleinhändler:innen verdienen müssen, durch rasant steigende Nahrungsmittelpreise besonders hart getroffen. Dabei ließen sich auch städtische Armutsgruppen aus regionaler Produktion ernähren. Laut der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen befinden sich 60% der Bewässerungslandwirtschaft und 35% des Regenfeldbaus in einem Umkreis von 20 km um die Städte herum, also auf den fruchtbaren Grüngürteln der Städte (FAO 2019). Gerade diese Flächen geraten aufgrund ihrer guten Infrastrukturellen Anbindung massiv unter Druck. Mit Nutzungen außerhalb der Landwirtschaft, wie beispielsweise Wohnungsbauprojekten, Einkaufszentren oder Touristenresorts lassen sich dort weit höhere Renditen erwirtschaften als durch Landwirtschaft. Eine Vorherrschaft von Marktmechanismen führt hier zu einer massiven Verdrängung der Nahrungsmittelproduktion.

Ernährungssouveränität stärken

Kurzfristig führt kein Weg daran vorbei, die Nahrungsmittelnothilfe auszuweiten und zu intensivieren, um viele Menschen vor dem Hungertod zu bewahren. Mittel- und langfristig sollte der Globale Süden jedoch vom Welthandel unabhängiger werden. Erfahrungsgemäß kommen landwirtschaftliche Betriebe, die wenig abhängig von externen Inputs wie Düngemitteln und Pestiziden und vom Nahrungsmittelimporten sind, am besten durch Ernährungskrisen. Fruchtbares Agrarland und Wasservorräte im Globalen Süden müssen in erster Linie der lokalen Nahrungsmittelproduktion dienen. Sie dürfen nicht der Exportwirtschaft untergeordnet werden, auch wenn diese scheinbar progressiv dem Klimaschutz dienen soll. Eine Stärkung agrarökologischer Anbaumethoden kann der Außenabhängigkeit von Pestiziden und Düngemitteln entgegentreten.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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