Die EU, Indien, Südafrika und die USA arbeiten an einem Kompromiss-Papier zur Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19-Medikamente, einem sogenannten TRIPS Waiver. Ein Zwischenstand ist vor Kurzem öffentlich geworden und hat heftige Kritik ausgelöst bei Politiker*innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wissenschaftler*innen. Auch die Weltgesundheitsorganisation und UNAIDS sprechen sich gegen den Text aus, Brot für die Welt lehnt ihn ebenfalls ausdrücklich ab.
Der Vorschlag ist unzureichend
Der Kompromissvorschlag entspricht in keiner Weise dem ursprünglich von Indien und Südafrika eingebrachten Antrag. Er ist zu eng gefasst und bietet keine ausreichenden Maßnahmen für einen gleichberechtigten Zugang zu Covid-19-Technologien (Impfstoffen, Medikamenten, Diagnostika und Schutzmaterialien). Er stellt keine Vereinfachung, sondern eine Verkomplizierung der notwendigen Bedingungen für die Produktion und den Import oder auch Export dieser dar, da zusätzliche Bestimmungen eingeführt werden sollen. Produktionshemmende Barrieren, bedingt durch geistige Eigentumsrechte, können dadurch nicht überwunden werden. In einer Zeit, in der bereits lebensrettende Medikamente für Covid-19 in reichen Ländern zur Verfügung stehen, in ärmeren Ländern aber wieder in großen Teilen unzugänglich sind, ist es inakzeptabel, dass sich der mögliche Kompromissvorschlag nur auf Impfstoffe bezieht und andere lebenswichtige Produkte ausschließt. Somit birgt dieser Text die Gefahr einer weiteren Verschärfung der massiven Ungleichheiten.
Diese Kritikpunkte haben wir gemeinsam mit Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und Oxfam in einem Factsheet zusammengefasst, das unter anderem Mitgliedern des Bundestags und wichtiger Ministerien zur Verfügung gestellt wurde.
Die folgenden Änderungen am Entwurf sind dringend erforderlich:
- Die sofortige Einbeziehung von Covid-19-Therapeutika, Diagnostika und medizinischer Ausrüstung. Der aktuelle Entwurf bezieht sich nur auf Covid-19 Impfstoffe. Aktuell sehen wir insbesondere am Beispiel der Medikamente Baricitinib und Paxlovid (Nirmatrelvir/Ritonavir), dass der Zugang zu bezahlbaren Behandlungen in vielen Ländern stark eingeschränkt ist. Dabei werden diese in einkommensschwachen Ländern mit niedrigen Impfquoten dringend benötigt, um zu verhindern, dass Menschen an Covid-19 sterben.
- Alle Länder sollten die Möglichkeit haben, die Ausnahmeregelung zu nutzen. Der Kompromissvorschlag sieht vor, dass nur diejenigen Länder Gebrauch von der Regelung machen dürfen, die 2021 weniger als 10% der global genutzten Impfstoffe exportiert haben und den WTO-Status eines (selbsterklärten) Entwicklungslandes haben. Der konkrete Ausschluss von Ländern ist ein Novum und erschwert die weltweite Versorgung mit Covid-19- Technologien. Von der Nutzung ausgeschlossen wären insbesondere Länder, die eine wichtige Rolle bei der Versorgung ärmerer Länder innehaben (können), wie China und Brasilien.
- Zusätzliche Barrieren für Länder, bzw. Unternehmen, in die Produktion einzusteigen oder Impfstoffe zu importieren/ exportieren, müssen verhindert werden. Dazu zählen die vorgesehene Pflicht zur Auflistung von Patenten, das Erfordernis einer Notifizierung der WTO und die Verhinderung von Wiederausfuhren von Vakzinen, was eine Weitergabe überschüssiger Impfdosen weiter erschweren würde.
- Alle geistigen Eigentumsrechte müssen freigegeben werden, die für die Herstellung von Impfstoffen und anderen Covid-19-Technologien entscheidend sind, einschließlich nicht offengelegter Daten, Geschäftsgeheimnisse, Urheberrechte. Der Fokus des aktuellen Entwurfs liegt auf Patenten, die nur eines von vielen geistigen Eigentumsrechten sind. Die weiteren genannten Eigentumsrechte sind eigenständige, von Patenten getrennte Schranken und müssen ebenfalls aufgehoben werden.
Wir raten dringend davon ab, den aktuellen Kompromissvorschlag zu verabschieden und fordern nachdrücklich von der Bundesregierung und der Kommission der Europäischen Union, auf die erforderlichen Änderungen zu drängen um einen umfassenden TRIPS-Waiver zu verhandeln. Dieser muss alle WTO-Mitgliedstaaten einbeziehen und vor allem die Bedürfnisse der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen berücksichtigen, die durch die ungleiche Verteilung der Covid-19-Technologien am stärksten beeinträchtigt wurden.
Dafür muss besonders die lokale Produktion gestärkt werden. Geistige Eigentumsrechte sind hierfür eine Barriere, die überwunden werden muss. Ziel muss sein, qualifizierten Herstellern weltweit zu ermöglichen schnell in die Produktion der lebensnotwendigen Covid-19-Technologien einzusteigen und die Abhängigkeit von wenigen Herstellern zu verringern.
Nur so können die Menschenrechte aller Menschen weltweit gleichermaßen geschützt und die Pandemie wirkungsvoll eingedämmt werden.