Direkt aus Mexiko-Stadt berichtet für uns Sandra Weiss:
Mit einer bunten Kundgebung von Teilnehmenden aus der ganzen Welt hat am 1. Mai das 16. Weltsozialforum in Mexiko-Stadt begonnen. Künstlerinnen, Aktivisten, Akademikerinnen und Arbeiter aus der ganzen Welt trafen sich nach vier Jahren Pause erstmals wieder von Angesicht zu Angesicht und marschierten zum Auftakt gemeinsam durch die Innenstadt. „Die Welt steht vor enormen Herausforderungen wie Krieg und Klimawandel. Wir wollen zusammen alternative Lösungen ausarbeiten“, sagte Myrna Frien, die aus den Niederlanden angereist war.
Eine Woche lang soziale Themen
Noch bis kommenden Freitag werden dutzende Veranstaltungen stattfinden zu Themen wie Ernährungssouveränität und Landrechte, digitale Inklusion und Handel, Gewaltfreiheit und Feminismus, Kindersoldaten in Afrika oder Demokratiebewegungen in Asien. Die Veranstalter erwarten bis zu 3000 Teilnehmer täglich und mindestens so viele, die über Internet-Plattformen virtuell teilnehmen. Brot für die Welt ist ebenfalls mit einer Delegation vor Ort und wird die Themen Menschenrechte, Migration, zivilgesellschaftliche Beteiligung und die globale Ernährungskrise in den Vordergrund stellen. Mexikanische Partnerorganisationen berichten über Menschenrechtsverletzungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Angriffe auf Aktivistinnen und Medienschaffende.
Die Stimmung am ersten Tag war fröhlich und wurde von unterschiedlichsten Teilnehmerinnen und Teilnehmern genutzt, um ihre Anliegen zu unterstreichen. „Wir Künstler werden von den Regierungen vernachlässigt und nur als Unterhalter gesehen. Aber wir wollen zeigen, dass wir Teil des Wandels sind“, sagte die mexikanische Künstlerin Melissa Cosilion. „Die Pandemie hat uns geschwächt, aber wir haben hart gearbeitet und melden uns zurück“, sagte der Kanadier Mario Gil.
Corona, Klimawandel, Krieg in der Ukraine
Für Rosa Elvia Zúñiga vom mexikanischen Organisationskomitee ist die Vernetzung der globalen Zivilgesellschaft wichtiger denn je. „Wir haben gerade eine globale Gesundheitskrise hinter uns, aber es gibt noch viele unsichtbare Pandemien wie den Klimawandel und die Zerstörung der Natur“, sagte Zúñiga, die dem Lateinamerikanischen und Karibischen Rat für Volksbildung (CEEAL) angehört. Die Antworten darauf könnten nicht Staaten und Unternehmen überlassen werden.
Krieg und Militarisierung werden ihr zufolge ein Schwerpunkt des Treffens sein. „Gewalt gibt es in vielen Formen“, führt die Mexikanerin an, deren Land seit 2006 einen blutigen Drogenkrieg erlebt mit über 350.000 Toten und 100.000 Verschwunden. „Gewalt ist alltäglich, gegen Frauen, gegen wirtschaftliche Schwächere, gegen Migranten oder Menschen anderer Hautfarbe“, sagt sie. Dank Brot für die Welt konnten in letzter Minute zwei Friedensaktivistinnen aus der Ukraine eingeflogen werden, darunter Nina Potarska. Ihr Auftritt wird mit Spannung erwartet, denn die russische Invasion in der Ukraine hat die Linke in Lateinamerika gespalten.
Gerechte Alternativen zum Kapitalismus
Ein zweiter Schwerpunkt ist wirtschaftliche Gerechtigkeit. Die Pandemie hat gezeigt, dass solidarische und umweltfreundliche Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftsmodell nötig sind. „Der Krieg in der Ukraine überschattet andere wichtige Fragen wie zum Beispiel, was wir aus der Pandemie gelernt haben und wie wir eigentlich leben wollen“, sagt Francisco Mari, politischer Referent von Brot für die Welt. Er sieht das Forum deshalb als Chance für die Zivilgesellschaft, wieder stärker Einfluss zu nehmen auf solche gesamtgesellschaftlichen Debatten. Für viele Organisationen ist das Weltsozialforum ein willkommener Ort, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen, da sich angesichts des Aufstiegs autoritärer Regime weltweit die Spielräume dafür verringern.
Das Weltsozialforum wurde 2001 als Gegenveranstaltung zu den Gipfeln der Welthandelsorganisation, dem Weltwirtschaftsforum in Davos und den Weltwirtschaftsgipfeln der G8-Staaten ins Leben gerufen. Das evangelische Entwicklungswerk Brot für die Welt ist Gründungsmitglied des Weltsozialforums.