Frau Knollmann-Ehrlich, warum können Fachkräfte ein Trauma erleiden?
Viele unserer Fachkräfte kommen in Länder, in denen vorher Konflikte getobt haben. Andere erleben bei Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen, aber auch bei Seuchenausbrüchen wie Ebola oder Bürgerkriegen im DR Kongo immer wieder Leid, Tod oder Zerstörung. Zusätzlich zu der Sorge um die Menschen und Kolleg:innen vor Ort kommt die um das eigene Leben und die eigene Gesundheit. Auch Überfälle, Einbrüche und Bedrohungen können traumatisieren. Oder nehmen Sie Corona: In Lateinamerika und Asien gab es harte Lockdowns. Zeitweise durfte und wollte angesichts der hohen Infektionsraten und geringen Krankenhausoptionen niemand die Wohnung verlassen. So eine Isolation kann sehr belasten, zumal etliche Fachkräfte damals auch nicht in ihre Heimatländer zurückreisen konnten; viele Grenzen wurden ja sehr schnell geschlossen und Flugverbindungen eingestellt. All das belastet die Seele massiv und kann sie krankmachen.
Welche Rolle spielt dabei, dass jede zweite Fachkraft allein reist?
Partner und Familie können eine wichtige Stütze sein. Aber auch wer alleine ausreist und längerfristig im Land ist, hat meistens soziale Strukturen aufgebaut und einen Freundes- und Bekanntenkreis vor Ort.
Wie kann man die mentale Gesundheit dieser Menschen stärken?
Das beginnt schon präventiv vor der Ausreise. Wir bereiten die Fachkräfte – je nachdem, wohin sie ausreisen – etwa durch Sicherheitstrainings und Workshops zu Resilienz darauf vor, mit mentalem Stress umzugehen sowie belastende Situationen zu erkennen und besser zu verarbeiten. Psychosoziale Gesundheit ist wesentlich, um gute, professionelle Arbeit zu leisten. Sie ist aber auch wichtig, um Partnerorganisationen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, überhaupt beraten und unterstützen zu können. Die Fachkräfte lernen in dieser Vorbereitung auch, wie sie eigene Belastungsgrenzen rechtzeitig erkennen. Das ist nicht immer einfach, schon gar nicht bei einem anspruchsvollen Job. Leicht gerät man in ein Hamsterrad und achtet zu wenig auf sich selbst. Während des Einsatzes bieten wir aus diesem Grund eine professionelle Supervision an. Nach der Rückkehr steht der oder die jeweilige Supervisor:in für ein Debriefing zur Verfügung, also für Auswertungsgespräch. Dennoch: Das alles kann keine Therapie ersetzen, wenn es tatsächlich zu einem Trauma gekommen und die Seele zu stark verletzt ist.
Wird diese Unterstützung angenommen?
Vor der Ausreise sind die Resilienz-Seminare für alle Fachkräfte verpflichtend. Danach bleibt es eine freiwillige Sache, aber viele nehmen diese Unterstützung an. Während des Einsatzes lassen sich etwa zwei von drei Fachkräften durch eine:n Supervisor:in begleiten; das Ganze findet in einem geschützten Raum statt. Hört ein Supervisor oder eine Supervisorin längere Zeit nichts von der zu begleitenden Person, haken er oder sie auch mal nach. Und je nach Vertrauensverhältnis legen wir es einer Fachkraft, die offensichtlich an ihre Grenzen gekommen ist, auch nahe, sich wieder psychologische Unterstützung zu holen. Aber es bleibt letztlich eine individuelle Entscheidung. Fakt ist jedoch: Wer seelische Not hat, bekommt Hilfe. Und in der Regel sperrt sich auch niemand dagegen.
Am 24. Juni findet in der Villa Elisabeth in Berlin die Veranstaltung „Welt im Gepäck“ statt, um Fachkräften, die im Ausland arbeiten, zu ehren und ihnen zu danken. Die Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hält die Festrede. Wer sich selbst für eine solche Aufgabe interessiert, findet hier Informationen.