Interview

„Wir müssen aufstehen und hoffnungsvoll bleiben.“

Seit seiner frühen Jugend engagiert sich Benjamin Dörfel für den Klimaschutz. Was den 20-Jährigen dabei antreibt, was ihn frustriert und was er sich von der Politik und seinen Mitmenschen wünscht, erklärt der Vorsitzende des Jugendausschusses von Brot für die Welt im Interview.

Von Redaktion am
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Benjamin Dörfel ist eines der Gesichter der EKD-Kampagne #KlimaGerechtWerden.

Sie sind eines der Gesichter der EKD-Kampagne #KlimaGerechtWerden. Wie kam es dazu? Und warum machen Sie bei der Kampagne mit?

Klimagerechtigkeit ist schon seit vielen Jahren ein Thema, das mich sehr umtreibt und für das ich mich leidenschaftlich engagiere – unter anderem bei Brot für die Welt Jugend, die ich 2017 mitgegründet habe. Deshalb hat die EKD angefragt, ob ich bei der Kampagne mitmache. Für mich ist das eine gute Möglichkeit, für radikalen Klimaschutz zu werben. Mein Eindruck ist, dass die Kirche es sehr ernst meint, aber ihre gesellschaftliche Reichweite durchaus noch mehr für einen umfassenden Beitrag für globale Klimagerechtigkeit nutzen sollte. Und ich finde es wichtig, dass sie Stellung bezieht und Menschen ins Licht rückt, die für den Klimaschutz streiten.

Wie sieht Ihr Engagement konkret aus?

Ich versuche den Beitrag zu leisten, den ich als Privatperson, Mitglied meiner Kirchengemeinde und als Schüler bzw. Student leisten kann. Privat verzichte ich zum Beispiel wo immer es geht auf das Auto und ernähre mich vegetarisch. In meiner Kirchengemeinde haben wir dafür gesorgt, dass wir Ökostrom beziehen, die Energieeffizienz erhöhen und Bienen und Insekten Raum geben. In meiner Schule war ich viele Jahre lang in der Klimaretter:innen-AG aktiv, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt – durch konkrete Maßnahmen wie etwa konsequente Mülltrennung, durch Bildungs-Projekttage, aber auch durch Diskussionsveranstaltungen mit Politiker:innen. Außerdem bringe ich mich in der Bewegung „Fridays for Future“ ein.

Was hat Sie zu Ihrem Engagement motiviert?

Die Umwelt-Filme und Luftaufnahmen von Yann Arthus-Bertrand, einem französischen Journalisten und Umweltschützer, haben mich schon früh nachhaltig beeindruckt. Daraus habe ich die Motivation mitgenommen, mich für diesen wunderbaren Planeten einzusetzen. Ein Schlüsselereignis war für mich dann ein Projekttag an meiner Schule, bei dem ich gemerkt habe: Das Thema Klimakrise ist zukunfts- und lebensentscheidend, nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Im Unterricht spiegelt sich das Thema ja nur in Ansätzen wider. Dabei ist es doch eine Menschheitsaufgabe, nachhaltig leben zu lernen.

 

„Ich schwanke zwischen Optimismus und Resignation.“

Bislang geht es beim Klimaschutz ja nur sehr langsam voran. Wie kommen Sie damit klar?

Ich schwanke immer wieder zwischen Optimismus und Hoffnung auf der einen und Resignation und Verzweiflung auf der anderen Seite. Was mich deprimiert, ist die weitgehende Untätigkeit von politischen Verantwortlichen. Wissenschaftler:innen sagen schon seit Jahrzehnten, wo die Probleme liegen und was getan werden muss. Die politisch Verantwortlichen wissen das auch, sie haben ja Beraterorganisationen wie den Weltklimarat IPCC. Es fehlt jedoch am Willen, es fehlt an der Umsetzung, weil Investitionen in Klimaschutz und in die ökologische Transformation nach wie vor eher als negativ belastender Kostenfaktor verstanden werden, statt als positive Investitionen in die Zukunft, die es sozial gerecht zu verteilen gilt.

Wie lässt sich das ändern?

Wir müssen unsere Ökonomie so umgestalten, dass wir auf diesem begrenzten Planeten nicht von unendlichem Wachstum träumen. Wenn wir nachhaltig leben möchten, können wir nicht weiterhin mehr Ressourcen verbrauchen als der Planet auch regenerieren kann – daher sollten wir beispielsweise mehr in Kreisläufen wirtschaften. Wir können nicht blind der Logik von kurzfristigem Profit folgen, sondern müssen auf die langfristigen Folgen unseres Handelns achten. Das sogenannte moderne Wirtschaftssystem ist in dieser Form zutiefst ausbeuterisch, verstärkt Ungerechtigkeiten und bewirkt Zerstörung. Daher sollten vorhandene Initiativen zur Verstärkung des ökologischen Umbaus politisch bewusst unterstützt werden.

Was erhoffen Sie sich dabei von der deutschen Politik?

Mit unserem westlichen historischen CO2-Ausstoß tragen wir die Schuld für ganz viel Leid auf der Welt. In vielen Regionen verlieren die Menschen ihre Lebensgrundlagen. Wir tragen das mit und belügen uns mit Schönrederei, verschieben systemische politische Entscheidungen auf das Konsumverhalten von Individuen. Diese tiefen Ungerechtigkeiten machen mich traurig und wütend – weil wir daran etwas ändern können. Wir sind ja nicht ohnmächtig; wir werden ohnmächtig, wenn wir jetzt noch lange warten – wenn sich Klimasysteme und Kipppunkte wie der arktische Permafrostboden so weit verändern, dass wir Menschen darauf keinen Einfluss mehr nehmen können.

Was fordern Sie konkret?

Eigentlich müssten die politisch Verantwortlichen nur die Berichte des Weltklimarates konsequent lesen und entsprechend handeln. Da steht fast alles drin. Stattdessen stuft die EU plötzlich Erdgas und Atomkraft als nachhaltig und finanzierungswürdig ein – gegen recht zähen Widerstand der Bundesregierung, dafür aber auf Druck unter anderem von Frankreich. Das macht mich fassungslos! Der Kollaps der Zivilisation steht vor der Tür. Und den Regierenden fällt nichts Anderes ein, als fossile Energien weiter zu unterstützen?

Und von der Bundesregierung?

Der groß inszenierte Aufbruch der Ampel reicht halt nicht – es sind völlig unzureichende nationale Maßnahmen. Was wir jetzt brauchen, ist ein ehrgeiziger Reduktionspfad, der uns bis spätestens 2035 auf netto-null bringt, verbunden mit einem hohen CO₂-Preis. Lasst uns dafür eine konsequente Wende hin zu erneuerbaren Energien gestalten: Wir müssen Subventionen von fossilen Energien streichen und erneuerbare Energien massiv subventionieren. Wir wollen nicht weiter von Energie abhängig sein, die Leben zerstört. Momentan bezieht die EU jeden Tag aus Russland Energieträger im Wert von 600 Millionen Euro, die direkt in Putins Kriegskassen fließen – damit machen wir uns erpressbar. Den Import von Kohle, Öl und Gas aus Russland müssen wir so schnell es geht herunterfahren und den Übergang für alle Menschen sozial gerecht gestalten. Und wir müssen die vielen Ausbildungsberufe im Umwelt-, Energie- und Agrarbereich attraktiver gestalten, damit es uns gelingt, die Energiewende technisch zügig umzusetzen. Und die Politik muss sich den Gerechtigkeitsfragen stellen: Gerade mit Blick auf Menschen, die intersektional benachteiligt sind und durch rassistische, patriarchale oder koloniale Systeme am meisten leiden. Wir können das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht immer weitertreiben, da es Ungerechtigkeiten verstärkt und unser aller Lebensgrundlagen zerstört. Wir müssen dringend für echten Wohlstand sorgen und in ein harmonisches und respektvolles Verhältnis mit der Natur finden. Sonst wird uns das Zögern von heute alsbald auf die Füße fallen.

 

„Man kann aus Engangement auch viel Kraft schöpfen.“

Wie kommen wir dahin?

Sich von schlechten Nachrichten bedrücken zu lassen, reicht leider nicht. Wir müssen alle aufstehen und aktiv werden, die Augen öffnen und dafür kämpfen, das Schlimmste zu verhindern. Die Fridays for Future-Bewegung hat eine große soziale Dynamik entfacht. Ihr gehören ja längst nicht nur Kinder und Jugendliche an, sondern Menschen aus allen Alters- und Berufsgruppen: Wissenschaftler:innen, Ärzt:innen, Unternehmer:innen, Architekt:innen, Ingenieur:innen oder Künstler:innen. Sie alle gehen gemeinsam mit uns auf die Straße. Das finde ich großartig. Ich kann jede und jeden nur ermutigen: Bleibt hoffnungsvoll. Engagiert euch. Bringt Euch in sozialen Bewegungen & Organisationen ein. Nehmt am nächsten Klimastreik teil. Man kann daraus auch ganz viel Kraft schöpfen. Denn die Klimakrise hat ja auch das Potenzial für eine bessere Zukunft. Indem wir uns ihr entgegenstellen, können wir gemeinsam eine lebenswertere Welt schaffen: eine Welt, in der niemand Angst um seine Existenz haben muss, alle die gleichen Rechte haben und im Einklang mit der Natur leben. Wenn wir die Klimakrise meistern, haben wir einen großen Beitrag für unsere Zivilisation geleistet.

Benjamin Dörfel studiert Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Nebenher arbeitet er als Trainer und Seminarleitung in der Jugendbildung und Demokratie-Pädagogik.

Interview: Thorsten Lichtblau

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