Alle Menschen, die in Europa Asyl beantragen, sollen in Drittstaaten überführt werden und dort ihre Verfahren durchlaufen. Das zumindest forderten CDU und CSU im Wahlkampf. Keine gute Idee, meint Eva Tennina von unserem italienischen Kooperationspartner Progetto Diritti. Deren Rechtsanwälte begleiten den Italien-Albanien-Deal seit Beginn juristisch. Sie vertreten sieben der insgesamt rund 70 Schutzsuchenden, die bisher nach Albanien überstellt wurden – aber auf Anordnung italienischer Gerichte längst alle in Italien ihre Verfahren durchlaufen. Die Lager in Albanien selbst sind leer. Der Italien-Albanien-Deal ist eine Geschichte des Scheiterns – und gleichzeitig brandgefährlich, erklärt Eva Tennina im Interview.
Worum geht es im Italien-Albanien-Deal?
Italien und Albanien haben einen Vertrag geschlossen, der es Italien erlaubt, Asylverfahren von bestimmten Personengruppen nach Albanien auszulagern. Dazu hat Italien zwei Lager in Albanien errichtet. In der Hafenstadt Shëngjin sollen die Schutzsuchenden identifiziert und registriert, im nordalbanischen Gjadër die Asylschnellverfahren durchgeführt werden – nach italienischem Recht und mit italienischen Beamten, die per Video zugschaltet werden. Die Kosten dafür sind sehr hoch. Unsere Regierung selbst hat sie mit 653 Millionen Euro für die ersten fünf Jahre beziffert.
Ist so ein Vorgehen von italienischem und EU-Recht gedeckt?
Wir sind der festen Überzeugung, dass Italien mit seinem Vorgehen grundlegende Rechte von Asylsuchenden verletzt. Prinzipiell ist die Überstellung nach Albanien jedoch erstmal rechtlich möglich, weil sich Italien eines Tricks bedient: Überstellt werden nur Personen, die auf hoher See aufgegriffen und noch nie italienisches Territorium betreten haben. Auf den Schiffen führen die italienischen Behörden eine Selektion durch - nach Albanien sollen nur gesunde, erwachsene Männer überstellt werden, die aus italienischer Sicht geringe Chancen auf Anerkennung als Geflüchtete haben, weil sie aus sogenannten sicheren Herkunftsländern stammen.
Wie funktioniert das Modell bisher?
Gar nicht. Die italienische Regierung hatte ursprünglich angekündet, dass 36.000 Asylsuchende pro Jahr ihre Verfahren in Albanien durchlaufen würden. Seit Oktober 2024 hat sie drei Versuche gestartet, ihre Pläne umzusetzen und insgesamt 73 Personen nach Albanien verschifft. Doch all diese Personen mussten aufgrund gerichtlicher Interventionen aus Rom binnen weniger Tage nach Italien überstellt werden. Die Lager sind heute fast menschenleer, da die Betreiberfirma auch den Großteil des Personals aus Albanien abgezogen hat.
Was hat das Gericht in Rom beanstandet?
Die Einstufung von Bangladesch und Ägypten als sichere Herkunftsländer, die die italienische Regierung vorgenommen hat. Nur diese Einstufung ermöglicht es Italien, Personen aus diesen Ländern in Asylschnellverfahren zu stecken und nach Albanien zu überführen. Laut Ansicht des Gerichts in Rom ist eine pauschale Einstufung beispielsweise von Ägypten als sicheres Herkunftsland mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar – und hält im Übrigen einem realistischen Blick auf die autoritäre Regierung Al-Sisis auch nicht stand. Regierungschefin Meloni versucht trotzdem, ihr Prestigeprojekt durchzudrücken, und attackiert dabei fast täglich die Justiz als befangen und parteiisch. Letztendlich muss nun der Europäische Gerichtshof klären, welche Regeln für die Einstufung von sicheren Herkunftsländern gelten.
Ist dies das einzige rechtliche Problem des Modells?
Bei weitem nicht. Es gibt so viele Probleme, dass ich hier nur einige wenige nennen kann. Da ist zum Beispiel die Vorselektion auf den Schiffen, die nicht funktioniert. Bei allen drei Überstellungen landeten auch Minderjährige oder besonders vulnerable Personen in Albanien – die gar nicht an Bord der Schiffe hätten sein dürfen. Das Recht auf Verteidigung ist für die Asylsuchenden in Albanien extrem eingeschränkt, da sie von den Behörden nur mangelhaft über ihre Rechte aufgeklärt werden und anwaltliche Vertretung per Video prinzipiell nur schwer funktioniert. Das ganze Verfahren ist extrem undurchsichtig. Die Lager in Albanien gleichen zudem Hochsicherheitsgefängnissen, in die Menschen gesperrt werden, die keinerlei Straftaten begangen haben. Im Gegenteil, oft handelt es sich um Opfer von Gewalt oder Folter, die durch die Inhaftierung auf den Schiffen und in den Lagern retraumatisiert werden können.
Warum hält die italienische Regierung trotz allem an ihren Plänen fest?
Die italienische Regierung verfolgt mit ihrem Vorgehen drei Ziele. Erstens sind die Überstellungen Teil einer Propagandaschlacht. Undokumentierte Migrant*innen werden als Feinde und Gefahr inszeniert, die von Italien ferngehalten werden müssen. Zweitens möchte unsere Regierung sich als europäischer Pionier darstellen – als erstes Land, welches ein Modell zur Auslagerung von Asylsuchenden implementiert. Damit haben sie ja teilweise auch Erfolg. Bis heute bezeichnen viele in Brüssel und den EU-Mitgliedsstaaten das Italien-Albanien-Modell als „innovative Lösung“ – in völliger Ignoranz des faktischen Scheiterns.
Drittens – und das ist besonders gefährlich – nutzt Meloni die Auseinandersetzung um das Italien-Albanien-Modell auch dazu, das italienische Justizsystem insgesamt zu diskreditieren. Sie versucht immer wieder, sich mit Regierungsdekreten über negative Gerichtsentscheide hinwegzusetzen. Die unabhängige Justiz ist Meloni ein Dorn im Auge, weshalb sie einen fundamentalen Umbau des italienischen Rechtssystems anstrebt. Die Attacken gegen die Entscheidungen des Gerichtshofs und der Versuch, die Entscheidungskompetenz in der Sache auf eine andere Gerichtsbarkeit zu übertragen, sind Teil dieser Strategie.
Das klingt besorgniserregend. Um zum Schluss zu kommen: Für Sie spricht also nicht viel dafür, dass Deutschland dem italienischen Beispiel folgen und konkrete Auslagerungsmodelle vorantreiben sollte?
Auf keinen Fall. Die Auslagerung von Asylverfahren ist extrem kostspielig und schafft viele neue Probleme, ohne ein einziges zu lösen. Es ist unglaublich, wie viel Zeit und wie viele Ressourcen in den Aufbau und die Verteidigung eines Modells gesteckt werden, das einfach nicht funktioniert. Diese Ressourcen bräuchten wir dringend, um ordentliche Asylverfahren in Italien durchzuführen und an nachhaltigen Lösungen für unsere migrationspolitischen Herausforderungen zu arbeiten.
Ein kurzer Nachtrag zur deutschen Diskussion: 2024 hat das BMI fünf ganztätige Anhörungen durchgeführt, in denen Möglichkeiten zur Auslagerung von Asylverfahren geprüft wurden. Der Zwischenbericht, der auf den Anhörungen und den eingereichten Stellungnahmen der geladenen Expert*innen (darunter einer Stellungnahme von Brot für die Welt) basiert, wurde im Sommer 2024 veröffentlicht. Er kommt zu einer überwiegend kritischen Einschätzung. Auf den Endbericht, der ursprünglich für Dezember 2024 angekündigt war, warten wir bis heute. Seit Längeren heißt es aus Regierungskreisen immer wieder, der Endbericht befinde sich in der Endredaktion.