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Grenze zu - Problem gelöst? Lehren vom Balkan

Was passiert, wenn Deutschland seine Grenzen für Asylsuchende schließt? Unsere Partnerorganisation Border Violence Monitoring Network, die in Griechenland und auf dem Balkan aktiv ist, warnt: Der Versuch der Abschottung ist zum Scheitern verurteilt. Er führt zu einer weiteren Informalisierung der Migration, zu mehr Leid und Ausbeutung durch kriminelle Schleusernetzwerke.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Gräber von Menschen, die beim Versuch ertranken, den Grenzfluss Drina zwischen Bosnien und Serbien zu überqueren.

Zeugnis der tödlichen Abschottungspolitik auf dem Balkan: Gräber von Menschen, die beim Versuch ertranken, den Grenzfluss Drina zwischen Bosnien und Serbien zu überqueren.

Schutzsuchende an den deutschen Außengrenzen abzuweisen, ist eine Kernforderung von CDU/CSU bei den laufenden Koalitionsverhandlungen. Die SPD hat dagegen (europa-)rechtliche Bedenken. Doch was wären die praktischen Effekte dieser Maßnahme? Darüber habe ich mit Claudia Lombardo Diez von unserer Partnerorganisation Border Violence Monitoring Network (BVMN) gesprochen.

BVMN ist seit 2017 insbesondere in den Balkanstaaten aktiv und unterstützt Opfer von gewalttägigen Pushbacks. Auf Druck der EU und ihrer Mitgliedsstaaten rüsteten die Balkanstaaten ab 2016 ihre Grenzen auf. Mit finanzieller und logistischer Unterstützung der EU (z.B. durch Frontex, aber auch die Bundespolizei) versuchen diese Staaten seither, Flucht- und Migrationsrouten Richtung Westeuropa zu blockieren. Der Balkan gilt als Laboratorium der Politik harter Grenzschließungen.

 

CDU/CSU wollen die deutschen Außengrenzen temporär für Schutzsuchende schließen und damit mehr Ordnung in der Migrationspolitik schaffen. Vor dem Hintergrund eurer Arbeit in den Balkanstaaten: ist das eine vielversprechende Strategie?   

Nein. Was wir in Kroatien, Bosnien-Herzegowina oder Bulgarien in den vergangenen knapp zehn Jahren erlebt haben, sind alles andere als geordnete Verhältnisse in der Migration. Im Gegenteil: die Aufrüstung der Grenzen hat zum einen zu einer Brutalisierung der Migrationsabwehr geführt – mit hohen menschlichen Kosten – und zum anderen die Informalität weiter ansteigen lassen.

Was meinst du damit?

Menschen, die man an den Grenzen zurückweist, lösen sich nicht in Luft auf. Falls sie nicht interniert werden, bleiben sie meist in Grenznähe. Sie verstecken sich in Wäldern oder leerstehenden Gebäuden und versuchen bei nächster Gelegenheit erneut, unerkannt über die Grenze zu gelangen. Da sie weder im Staat diesseits noch jenseits der Grenze willkommen sind, weder hier noch da einen regulären Aufenthaltstitel oder Unterstützung bekommen, sind sie zum Leben in der Illegalität verdammt. Ordnung sieht anders aus.

Im Sondierungspapier der möglichen zukünftigen Koalitionspartner heißt es, Zurückweisungen sollen „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ erfolgen. Würde das nicht für Ordnung sorgen?

Ich möchte erst einmal festhalten, dass die Zurückweisung von Schutzsuchenden an den eigenen Staatsgrenzen geltendem EU- und Völkerrecht widerspricht. Es wird aber auch praktisch nicht funktionieren. Der österreichische Innenminister hat bereits angekündigt, von Deutschland zurückgewiesene Personen nicht zurückzunehmen. Deutschland müsste hier also einseitig vorgehen. Die Folge wäre, dass Menschen in der Grenzregion festsitzen, die niemand haben will, für die sich niemand zuständig erklärt.

Kannst du bitte etwas genauer beschreiben, wie Zurückweisungen auf dem Balkan konkret ablaufen?

Hinter dem unverfänglichen Begriff „Zurückweisung“ verbergen sich oft sehr brutale Praktiken. Wir dokumentieren seit Jahren, wie viele Schutzsuchende bei Pushbacks misshandelt werden – oder sogar ums Leben kommen. Oft werden die Menschen auf der anderen Seite der Grenze einfach ihrem Schicksal überlassen – egal in welchem Zustand sie sich befinden. Greifen Sicherheitskräfte auf der anderen Seite der Grenze die Menschen auf, werden sie meist inhaftiert – Tage, Wochen oder sogar Monate. Manchmal kommt es zu Kettenabschiebungen von einem Land ins nächste. Diese Zustände sind für Menschen, die in ihrer Heimat und auf der Flucht viel Entbehrung und Gewalt erlebt haben und Schutz suchen, völlig unhaltbar. Die Risken einer (Re-)Traumatisierung sind sehr hoch.

Kommen wir einmal zu den Zahlen: Sind verstärkte Grenzkontrollen ein erfolgreiches Instrument, um irreguläre Migration zu reduzieren?

In den Balkanländern haben die Grenzschließungen nur zeitweise zu einem Rückgang bei den registrierten irregulären Grenzübertritten geführt. Im Jahr 2019 gab es rund 15.000 Aufgriffe, 2022 146.000 und 2023 99.000.

Wir nehmen aber Veränderungen bei den Migrationsmustern war: Es ist schwieriger geworden, mit Migrant*innen und Schutzsuchenden, die Richtung Westeuropa wandern, in Kontakt zu kommen. Migrant*innen ohne gültige Papiere meiden mittlerweile Städte, reisen vermehrt in der Nacht und auf schwer zugänglichen, oft auch gefährlichen Routen. Damit versuchen sie den Pushbacks durch die Sicherheitskräfte zu entgehen – und bringen sich immer wieder in Lebensgefahr. Letzten Sommer haben wir dokumentiert, dass zehn Menschen beim Versuch ertrunken sind, den Grenzfluss Drina zwischen Bosnien und Serbien zu überqueren – darunter eine Familie mit einem Baby.

Europäische Regierungen rechtfertigen verstärkte Binnengrenzkontrollen auch damit, kriminellen Schleusernetzwerken das Handwerk legen zu wollen.

Ein Blick auf den Balkan zeigt uns: das Gegenteil ist der Fall. Je härter die Abschottung, desto mehr floriert das Geschäft von Schleusern. Migrant*innen und Schutzsuchende werden in die in die Illegalität gedrängt, da es an legalen Flucht- und Migrationswegen fehlt. Sie sind oft auf die Dienste der Schleuser angewiesen – und zugleich besonders anfällig für Ausbeutung. Es klingt paradox, aber: Die aktuelle EU-Politik spielt kriminellen Schleusern in die Hände.

Zum Abschluss: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Politik auf die Arbeit eures Netzwerkes?

Wie schon erwähnt wird es schwieriger für uns, mit Migrant*innen und Schutzsuchenden in Kontakt zu treten. Das liegt nicht nur an der zunehmenden Verheimlichung der Migration, sondern auch daran, dass die Internierung von aufgegriffenen Migrant*innen zugenommen hat. Die zweite große Herausforderung ist die Kriminalisierung unserer Arbeit. Viele EU-Mitgliedstaaten üben starken Druck auf die Mitgliedsorganisationen unseres Netzwerks und andere Verbündete aus. Menschenrechtsorganisationen werden wiederholt beschuldigt, sich an illegalen Aktivitäten zu beteiligen, wie zum Beispiel der Erleichterung des illegalen Grenzübertritts. Das bedeutet viel Stress für uns - und eine Menge zusätzlicher Arbeit, um uns zu schützen, zum Beispiel durch genaue Arbeitsprotokolle.

Besorgniserregend ist, dass die EU-Kommission nun in dieselbe Richtung geht. Sie hat eine neue Richtlinie vorgelegt, mit der sie die Beihilfe zur irregulären Ein- und Durchreise bekämpfen möchte (die Facilitation Directive). Ein Problem dabei: im aktuellen Text ist der Begriff der Beihilfe so breit definiert, dass auch die Arbeit von humanitären Helfer*innen und Menschenrechtsverteidigern darunterfallen kann. Die EU kriminalisiert Flüchtende und mit ihnen solidarische Menschen, die Gewalt und Unrecht an den Grenzen anprangern. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

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