Kaum ein Phänomen des Klimawandels illustriert die Folgen der Erderwärmung so stark wie die Gletscherschmelze. Seit dem Beginn der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts haben die Gletscher mehr als die Hälfte ihrer Fläche und ein Drittel ihres Volumens eingebüßt. Seit den 1990er Jahren nimmt die Schmelze rasant zu. 2023 haben die Gletscher 600 Gigatonnen Wasser verloren, das ist der größte Verlust in den letzten 50 Jahren. Studien gehen davon aus, dass sich das Schmelzen weiter beschleunigen wird und Gletscher bis zum Ende dieses Jahrhunderts fast vollkommen von der Erdoberfläche verschwunden sein werden.
Hauptursache ist die Erderwärmung. Jedoch kommt es auch zu sich selbst verstärkenden Effekten: Wenn Eisflächen tauen und eine dunkle Erdoberfläche zum Vorschein kommt, wird Sonneneinstrahlung weniger reflektiert und die Erdoberfläche heizt sich stärker auf als es unter einer Schnee- oder Eisdecke der Fall wäre. Das wiederum beschleunigt die Schmelze. Dieser Effekt ist unter Klimaforschern als „Eis-Albedo-Rückkopplung“ bekannt.
Gletscher als Süßwasserspeicher
Es gibt auf unserem Planeten gigantische Mengen an Wasser, jedoch sind nur drei Prozent davon Süßwasser. Diese drei Prozent, die für das Überleben der Menschen und den Erhalt der Ökosysteme unabdingbar sind, sind zu gut zwei Dritteln in Schnee oder Eis, also in Gletschern und in Dauerfrostgebieten gebunden. Konkret ist die Versorgung von fast zwei Milliarden Menschen mit Trinkwasser, Wasser für die Nahrungsmittelproduktion und Wasser für die Energieerzeugung von Gletscherwasser, Schneeschmelze und Bergquellen abhängig und durch das dauerhafte Abschmelzen der Gletscher direkt gefährdet.
Doch Trinkwasserquellen und Nahrungsmittelproduktion sind durch die Gletscherschmelze auch indirekt bedroht. Die schwindenden Gletscher verändern das lokale Klima und führen damit zu einer Veränderung der Niederschlagsmuster – Regenzeiten setzen zu früh oder sehr viel später ein als üblich. Zudem verändern sich die Abflussbahnen des Schmelzwassers, wodurch ehemals gut bewässerte landwirtschaftliche Flächen trockenfallen und andere Gebiete von bisher ungekannten Überschwemmungen heimgesucht werden, die die Ernten bedrohen.
Steigende Meeresspiegel
Zudem führt die Gletscherschmelze zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Im 20. Jahrhundert ist dieser bereits um 15 Zentimeter gestiegen, also etwa 1,5 Millimeter pro Jahr. Laut Klimabericht des Weltklimarats vom April 2022 hebt sich der Meeresspiegel gegenwärtig mit etwa 3,7 Millimetern mehr als doppelt so schnell wie im vergangenen Jahrhundert und dieser Anstieg beschleunigt sich zunehmend. Das hat bereits jetzt weitreichende Folgen. In tief gelegenen, küstennahen Gebieten bricht immer häufiger Meerwasser in die Grundwassersysteme ein und macht große Landstriche für die Nahrungsmittelproduktion unbrauchbar. Küstenregionen in Bangladesch und Inselgruppen in Südostasien versinken im Meer.
Weltweit 62 Prozent aller Städte mit mehr als acht Millionen Einwohner*innen liegen am Meer – sie sind den zunehmenden Küstenerosionen, Überflutungen und Wirbelstürmen besonders ausgeliefert. Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel verschlingen bereits jetzt gigantische Summen. Insbesondere Länder des Globalen Südens, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben, sind kaum in der Lage, ihre Bevölkerungen vor den Folgen des Meeresspiegelanstiegs zu schützen.
Rettet die Gletscher!
Die Vereinten Nationen rufen zum diesjährigen Weltwassertag am 22. März zur Rettung der Gletscher auf. Die Herausforderung ist gewaltig: Selbst bei einer Beschränkung der Erderwärmung auf unter zwei Grad gegenüber dem Zeitraum 1850 bis 1900, also dem Beginn der Industrialisierung, würde sich die Gletscherschmelze weiterhin beschleunigen. Dabei steuern wir laut aktuellem Weltklimabericht – mit Blick auf die bis Ende 2020 umgesetzten Klimapolitiken – sogar auf eine mittlere globale Erwärmung von 3,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 zu. Damit (nicht nur) die Gletscher eine Zukunft haben, müssen die Treibhausgasemissionen also weltweit massiv reduziert werden.
Die neue Bundesregierung sollte die Weichen dafür stellen, indem sie konsequent Wirtschafts-, Energiepolitik und Klimaschutz zusammendenkt. So sollten alle klimaschädliche Subventionen, die allein in Deutschland rund 65 Milliarden Euro umfassen, auf den Prüfstand. Beispielsweise könnte eine Abschaffung des Dieselsteuer- und Dienstwagenprivilegs 15,5 Milliarden Euro und knapp 34 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Die Landwirtschaft als zweitgrößter Emittent von Treibhausgasen, muss auf Agrarökologie umgestellt, die industrielle Fleischproduktion durch angepasste Viehhaltung ersetzt werden. Klimaschutz und Klimaanpassung in der kommunalen Daseinsfürsorge gehören als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Sicher ist: Wir können uns keine weiteren vier Jahre ohne substantiellen Klimaschutz mehr leisten.